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Kunstwart und Kulturwart — 35,2.1922

DOI issue:
Heft 7 (Aprilheft 1922)
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Bernhardt, Josef: Aus Joseph Bernharts "Kaplan"
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https://doi.org/10.11588/diglit.14435#0033

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E

in stürmischer Regentag. Trotzdem pfeifen die Stare und loben sich
ihr Leben.

Die Schulstunde nahm einen ungewohnten Verlauf. Ich hätte über das
Kapitel Tierquälerei etwa mit der Bemerknng, daß es Schädlinge gibt,
die man töten darf, hinweggleiten und so mein Ansehen bei den Kindern
makellos erhalten können. Ich zog es anders vor, sprach meinen ganzen
Fall bis in die Einzelheiten durch, als wäre er mir nur als ein Beispiel
zugestoßen, an dem ich mich selbst nnd andere zum Nachdenken über
geheimnisvolle Dinge des Lebens bringen soll. Ls ist nicht zuviel ge-
sagt, wenn ich behaupte, daß die Wirknng dieser absonderlichen Katechese
ergreifend war und die Stnnde mit unvergeßlicher Weihe schloß. Viel--
leicht lag's nur im Ton der Stimme, vselleicht in der ungewohnten Offen-
heit des Lehrenden, eine eigene Angelegenheit, die irgendwie mit dem Hauch
persönlicher Schuld behaftet ist, aufzudecken. Ohne daß ich nur einen
Augenblick sür meine Autorität gefürchtet HLtte, sagte ich ungefähr das
folgende: Kinder, wir handeln heute von der Tierquälerei. Ihr werdet
denken, ein Kaplan, der eine Katze anschießt, sollte gar nicht davon sprechen.
Aber ich sage euch, ich möchte darüber mit uiemand lieber sprechen als
mit euch, weil ihr daran so gut lernen könnt, wie ich gelernt habe. Also,
ich wollte kleine Stärlein vor dem Tode retten — ihr kennt die lieben
Vögel, die so possierlich schwatzen, so emsig bauen und in fröhlichen
Schwärmen am Himmel wandern, als wären sie leibhaftig dem Frühling
aus der Hand geflogen. Kann man es mitansehen, daß eine Katze sie
auffrißt? Mir taten sie leid, und so schoß ich auf die Katze. Aber was
habe ich angerichtet! Das arme Tier verkroch sich, blutet jetzt im stillen und
nimmt keine Nahrung. Ihr sagt vielleicht: das geschieht ihr recht, der
Mörderin. Ich aber frage euch: kann die Katze dafür, daß sie grausam
ist? Gott hat sie als Katze erschaffen, hat ihr alles gegeben, was sie zum
Rauben und Morden braucht: ein scharfes Auge, das sogar bei Nacht
sieht, einen leisen, sammetweichen Tritt, spitze Krallen zum Klettern und
Zerfleischen. Er hat sie andern Tieren zum Feind gegeben; warum —
das wissen wir nicht. Es ist nun einmal so, daß die Tiere einander auf-
fressen müssen, wenn sie leben sollen. Der Rabe auf dem Feld hackt die
Schnecke aus ihrem Haus heraus, der Vogel schnappt die Mücke mitten
unterm Tanzen und Singen weg, der Walfisch frißt die Heringe zu
Tausenden. Und seht die Pflanzen an! Der Same muß verderben,
damit ein Baum, eine Blume wachse; das Laub, das jetzt frisch und grün
in der Sonne leuchtet, muß fallen und verfaulen und den Boden düngen,
damit neue, junge Bäume aus der Erde sprießen. Das Neue kommt
stets aus dem toten Alten, jede Kraft aus einer Verwesung, das Leben
aus dem Tode. Betrachtet selbst den Stein! Erst wenn zehntausend Iahre
ihn zu Staub und Erde gemacht, bringt er grünendes Leben hervor. Alles
in der Welt ist nicht für sich selber da, sondern für etwas anderes. And
seien es die schönsten Blumen auf der Wiese, die unser Auge vor
Freude glänzen lassen: alle verborren sie und werden Futter für das
Vieh. So hat jedes Ding den Beruf, zu dienen; es muß sich für das andere
opfern. Ist es mit dem Menschen anders? Deine Mutter litt Oualen,
als du zur Welt kamst, dein Vater arbeitet im Schweiß seines Angesichts,
du selbst sitzest hier in der Schule, um etwas Richtiges zu werden und zu
schaffen. Was du aber wirst und arbeitest, gehört nicht dir allein. Seht
hinaus auf den Schulhof! Da stehen die Obstbäume und zeigen schon die

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