Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstwart und Kulturwart — 35,2.1922

DOI Heft:
Heft 9 (Juniheft 1922)
DOI Artikel:
Avenarius, Ferdinand: Künstler, helft euch und uns!
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14435#0147

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
btndung nrit dem Volk wieder gewinnen. Eine noch so täuschend vet-
vielfältigende, eine noch so modern ausführende Industrie und ein Vertrieb
mit wohltätiger Tombola für Notleidende kann ihnen dabei so wenig helsen,
wie ein immer weiteres Aufblasen und Aberaustrengen der Nrheberrechts-
mechanik.

Das war zunächst der echteste und größte „praktische" Erfolg unsrer
„Bewegung", daß sie „die Künstler an die Front" brachte. In der vor-
„industriellen" und im bewußten Siune vor-„kapitalistischen" Zeit waren
„die Künstler an der Front" in dem Siune, daß der Künstler im Maler oder
Baumeister, im Handwerker, im Bauern, in der Hausfrau so gestaltete, wie
es ihm Freude machte. Besondere Kunstberufe hatte man aus den verschie-
denen Tätigkeiten ja noch gar nicht heraussublimiert. Heute sind noch
lange nicht Künstler an allen „Fronten", an welchen sie auch unter unsern
jetzigen sozialen und wirtschaftlichen Verhältnissen sich und uns allen
nützen könnten.

Votivbilder und Marterln allerdings wird unser Volk voraussichtlich
nicht mehr sehr viele verwenden. Doch könnten statt Torten, Weinbrand-
Flaschen und Zigaretten-„Packungen" zu Gedenktagen künstlerische Ge-
schenke sich wieder einbürgern, die, mit der Hand gezeichnet oder gemalt, als
Silhouette geschnitten, als Plakette oder Münze oder auch in Ton model-
liert, als Schachfiguren geschnitzt, als Scheiben geglast, als Ringe geformt
würden, und das alles von Künstlern, ob sie auf ihren Künstlertitel
auch keinen Anspruch erheben. Heute sind solche Geschenke Seltenheiten.
Sie könnten in dem Maße billiger werden, wie die Gewohnheit sie
üblicher machte. Dann aber: warum lassen sich unsre Geschäfte uicht
Firmenschilder von Künstlern maleu? Ich uenne nur die zwei Namen
Holbein und Watteau zur Erinuerung daran, was für Leute ehedem Laden-
schilder malten. Nnsre Kaufleute wendcn an alles, was Reklame heißt,
sie wenden auch an ihre Firmenschilder soviel Geld, es sind auch soviel
kunstsinnige Leute unter ihnen, daß mir für mein Teil das Begreifen ver-
sagt, wenn ich die geschmackvolle oder geschmacklose Kälte unsrer Straßen-
schilder mit der Tatsache vergleiche, daß für Annoncen das „heranziehen"
von Künstlern den gescheiten Geschäften sich ja schon lange von selber versteht.
Daß in Einzelfällen der Verzicht aus Bild und Buntheit sehr wohltuu kaun,
bleibt unbestritten. Warum aber überall, auch in einer Kunststadt wie
München, der sozusagen geheiligte Geschäftsstil für alle Firmenschilder die
Nüchternheit ist, das fasse ich nicht. Künstlerische Schilder, vor allem
quer in die Straßen schauende „Nasenschilder" mit Farbenfrohsinn, dazu
auch schöne Schmiedeeisenarbeiten, wie wir sie früher ja meisterten, und
unsre Straßen werden dadurch wieder fröhlicher. Das Höchste, das Freu-
digste werden sie dem Auge allerdings erst dann wieder zeigen, wenn
die Häuserfassadeu selbst wieder, wie damals zu unsrer Kunstblütezeit, statt
in „steingrau" und „lehmgelb" iu wohlgestimmteu Farben harmonisch bei-
einander stehen, wie neuerdiugs wieder eiu paar Plätze.

Was tun unsre Künstlervereine, um für all solche Ar°
beit anzuregen, zu vermitteln, im Publikum und bei
ihren Mitgliedern zu erziehen? Was tun sie, um hier zugleich
sich und der Zeit mit Schönheit zu hclfen? Anders gesagt: um das Leben
mit Kunst als seiner eigenen Blüte zu schmücken? Der eiue und der andere
Künstlerverein irgendwo, vielleicht der hat die Aufgabe erkannt, hier aus
der Not der Aeit eine Tugend zu machen. Der eine und der andere. Aber
alle könnten zugreifen, organisieren und helfen. A

s23
 
Annotationen