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Kunstwart und Kulturwart — 35,2.1922

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Heft 9 (Juniheft 1922)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14435#0192

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Wir geheir aber alle miteinander zu-
grunde, wenn wir uns nicht dazu er-
ziehen können, derlei hinzunehmen,
wie fremde Dogmen, die nnsre ge-
meinsamen N o tw en d igk ei-
ten gar nicht berühren. Denn die
Menschen sind einmal so: wer sie
als Narren oder gar Schurken oder
Narren- und Schurkengenossen behan-
delt, wer ihre Götter und Halbgötter
schlecht macht, mit dem zusammen zu
arbeiten, wird ihnen schwerer. Wir
müssen es ihnen aber leicht machen.

Und wie treiben wir's? Wieder ein-
mal zwei Fälle, wie man's heut links
und rechts gleich töricht anfängt.

Der ehemalige Kronprinz hat seine
Erinnerungen herausgegeben. Zu dem
Buch wäre manches Kritische zu sagen,
über das Inhaltliche wie über das For-
male. Gut gewesen wäre ein weit deut-
licheres Unterscheiden zwischen dem,
was wirklich der Kronprinz, und dem,
was auf seine Mitteilungen hin und
mit seiner Zustimmung ein Schriftstel-
ler geschrieben hat. Nnbestreitbar ist
bei solcher Autorschaft natürlich das
sachliche Interesse an den Mitteilungen
als solchen. Was das Persönliche an°
geht: jedenfalls erzählt hier einer, den
sein Erleben aufs nächste anging. Daß
der Kronprinz nach Abstammung und
Erziehung nicht anders als mit den
Vorstellungen und Gefühlen einer nun
vergangenen Zeit auffassen konnte, ver-
steht sich von selbst. Bemüht man sich
nun auf der Linken darum, den Kron-
prinzen aus seinen Bedingungen her-
aus zu begreifen und begreifen zu
machen? In einigen Fällen sicher,
aber bei der Mehrheit tut man das
nicht, denn man meint, eine „mildere"
Beurteilung dieser Persönlichkeit
könnte den Mann gefährlicher machen.
Der Kronprinz hat in seinem Leben,
für die Mehrheit Anshmpathisches
reichlich getan, das wird nun vorge-
bracht und macht natürlich die Leser
von vornherein gegen das Buch be-
fangen. Daß es auch unter den ganz
evident vom Kronprinzen selbst verfaß-
ten Äußerungen eine Menge Gescheites
und Sympathisches bringt, wird igno-
riert oder mit Hohn abgetan, während
es vom wirklichen Politiker auch auf
der Linken mit etwas mehr eigenem
Nachdenken gerade im Sinn seiner

Linksgedanken verwendet werden
könnte, ohne den Kronprinzen neu
zu beschimpfen.

Das Seitenstück zu diesen Torhet-
ten links bot ganz ebenso töricht auf
der Rechten der Münchener Prozeß,
den man in Zukunft nach Eisner
benennen wird. Einige Stellen der
Eisnerschen „Kürzungen" sind der
Wirkung nach ganz unzweifelhaft
Fälschungen, und zwar Fälschungen,
die praktisch wie Hochverrat wirkten.
Eisner, als Politiker ahnungsloser
Dilettant, war als „Temperament"
Schwärmer, er sah in Menschen wie
Wilson, ja wie Clemenceau Idealisten
und zugleich Menschen solcher Macht,
daß er wie F. W. Förster überzeugt
war, ein möglichst weites Vloßstellen
der Regierenden von ehedem, ein rück-
haltloses Beksnnen einer deutschen
Hauptschuld am Kriege werde uns ret-
ten, dazu aber sei auch ein zweckmäßi-
ges Kürzen und Stilisieren erlaubt.
Daß Eisner etwa, wie der Fälscher
Anspach, persönliche Vorteile mit sei-
nem Tbeiben erstrebt oder gar Geld
dafür empfangen hätte, ist meines Wis-
sens bei diesem Prozeß nicht einmal
bohauptet worden. Ein sicheres Arteil
sittlicher Art über Eisner wäre nur
möglich, wenn man ihn selbst eindring-
lich befragen und sein Innerstes ent-
hüllen könnte, wenn also die dumme
Kugel eines gutgläubigen Fanatikers
von rechts her ihn nicht getroffen
hätte. Nun frage ich: ' war jetzt ein
moralisches Nrteil über Eisner
überhaupt nötig? Der Tatbestand
ist geklärt, bringen die jetzigen Ankla-
gen gegen den Ermordeten als einen
niederträchtigen Vaterlands-Verräter
irgendwelchen politischen Nutzen? Die-
jenigen, welche in ihm aus ihrer per-
sönlichen Bekanntschaft heraus einen
reinenj Mjenschen sehen, müßten es
zugeben, wenn man ihnen nach diesem
Prozesse sagte: er war ein Schwärmer,
der seine Aufgabe nicht verstand und
unsrer gemeinsamen Sache dadurch
furchtbar geschadet hat. Wenn wir ihn
aber beschimpfen, so sagen sie: wir
kannten ihn doch, und wenn ihr ihn so
beurteilt, so zeigt uns das nur, wie
blind ihr seid.

Sollen politisch so Verschiedenden-
kende, wio Freunde des Kronprinzen

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