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Kunstwart und Kulturwart — 35,2.1922

DOI issue:
Heft 10 (Juliheft 1922)
DOI article:
Erdmann, Karl Otto: Debattier-Technik und die Kunst, recht zu behalten
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14435#0253

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unerbittlich: wer seinen Fahneneid brichi, ein am Altar feierlich abgegebenes
Gelübde nicht hält, ist ein Lump, ein meineidiger Verbrecher. Nie und
nimmer mache ich hier Zugeständnisse." Wer sich solchergestalt an seinem
eigenen Pathos berauscht, an dem prallen alle Gegengründe wie an einem
Eisenpanzer ab: die schönsten Auseinandersetzungen über die nur bedingte
Verpflichtung promissorischer, womöglich erzwungener Gelübde sind aus-
sichtslos und würden den Gegner nur noch eigensinniger machen. Man sage
daher: „Ihre strengen Ansichten sind gewiß sehr imponierend; immerhin
ist es schmerzlich, aüch allgemein verehrte Personen, wie etwa Luther, als
Lumpen enthüllt zu sehn; der ja auch sein feierlich und einst freiwillig abge-
legtes Mönchsgelübde gebrochen hat." Daraufhin wird der andere sofort ein-
lenken. Man hat nicht nötig, noch überhaupt etwas zu sagen. Er wird selbst
entwickeln, wann und inwiesern der Bruch eines Gelöbnisses nicht nur statt-
haft, sondern sogar eine sittliche Tat ist; und man braucht sich zum Schluß
nur dieser Darlegungen wörtlich zu bedienen, um im Ausgangspunkt des
Streites hinsichtlich der Bedingtheit eines promissorischen Lides recht zu
bekommen. Denn seine eigenen Gründe muß der Gegner wohl oder übel
gelten lassen.

Es ist immer empfehlenswert, Widerlegungen mit einer Zustimmung zu
beginnen und seine Einwände in die Form eines offenen Problems zu
kleiden. Hat sich einer in eine einfache Formel verrannt, mit der er glaubt,
verwickelte Verhältnisse abtun zu können; liebt er es, aus gewissen Nachteilen
ja auf anscheinenden Widersinnigkeiten einer Theorie oder einer praktischen
Einrichtung herumzureiten, dann leugne oder beschönige man diese Nachteile
und Widersinnigkeiten in keiner Weise, zeige aber ihr unvermeidliches Auf-
treten auch auf anderen Gebieten, wo sie der Gegner willig in den Kauf zu
nehmen gewohnt ist. Nehmen wir an, ein überzeugter Monarchist greife das
allgemelne gleiche Wahlrecht mit den üblichen Gründen an: „Niemals werde
ich begreifen, daß die Stimmen eines großen Staatsmannes, eines erleuch-
teten Denkers, eines hervorragenden, Tausende von Arbeitern ernährenden
Großindustriellen, dasselbe Gewicht im Staatsleben haben sollen, wie die
Stimmen eines ungebildeten Handlangers oder unbedeutenden Müßig-
gängers und Parasiten der Gesellschaft!" Auf diese Ausführungen nicke man
nachdenklich und beifällig mit dem Kopse: „Sie haben gewiß nicht so unrecht;
das, was S-ie anführen, ist in der Tat nicht ganz leicht zu begreifen; ebenso
schwer etwa, wie daß ein unbedeutender, vielleicht junger, auf den meisten
Gebieten unerfahrener, vielleicht sogar eitler, ruhmsüchtiger oder charakter-
loser Monarch tausendmal mehr im Staate zu bedeuten hat, als der von
Ihnen mit Recht gerühmte erleuchtete Denker, große Staatsmann oder her-
vorragende Industrielle; daß seine einzige Stimme der gesamten Volksver-
tretung oder bewährten Ministern die Wage hält. Auch das verstehe, wer
kann!" Es ist zu vermuten, daß der auf diese Weise Angeredete eine solche
„abstrakte und schematische Denkweise", die dem wirklichen Leben mit seinen
Verwickelungen nicht gerecht wird, abzulehnen versucht. Er wird etwa ent-
gegnen, daß die Macht des Monarchen nur scheinbar so groß ist, daß sie
immer dem Einfluß der höheren Intelligenz und Erfahrung seiner Ratgeber
unterstehe; er wird vor allem betonen, daß „natürlich" alle menschlichen Ein-
richtungen unvollkommen seien und daß es nur darauf ankomme, große Vor-
teile gegen unvermeidliche Nachteile in den Kauf >zu nehrnen usw. Damit
hat er aber selbst die Grundsätze auch für die Verteidigung des allgemeinen
gleichen Wahlrechts geliefert, die man ihm gegenüber murori8 murancki8

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