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Kunstwart und Kulturwart — 35,2.1922

DOI issue:
Heft 10 (Juliheft 1922)
DOI article:
Erdmann, Karl Otto: Debattier-Technik und die Kunst, recht zu behalten
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https://doi.org/10.11588/diglit.14435#0254

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anwerrden kann. Wird er dadurch auch nicht aus einem Feinde zu einem
Freunde des genannten Wahlrechts, so wird er doch an der durchschlagenden
Kraft seines ihm früher unsehlbar dünkenden Lieblingseinwands irre. Und
das ist immerhin schon ein kleiner Gewinn.

Eine solche „pädagogische Dialektik" ist gewiß nützlich und nicht zu beanj-
standen. Und harmlos sind auch Mittel, wie die kleine ilinschmeichelung
des Gsgners, die „captatio benevolerltiae"; oder der gute Rat, man solle
seinen Zuhörern gegenüber sich immer des „w ir" bedienen, also sich, ein-
schließen, wenn man ihnen etwas Unangenehmes zu sagen hat, während rnan
beim Loben immer die Anrede „ihr" zu gebrauchen habe. „Ihr Lehrer habt
nun einmal Neigung zur Herrschsucht und Pedanterie" — das klingt an-
maßend und fordert Widerspruch heraus,- sagt man aber im Tone des
Biedermanns: „W i r Schulmeister sind nun einmal ein wenig herrschsüchtig
und pedantisch", so findet man eher offene Ohren. —

II. Allerhand Debattierkniffe

cv^eben solchen berechtigten oder doch harmlosen Kunstgriffen gibt es zahl-
^^lose unlautere und niedrige Mittel, um schelnbar Recht zu behalten. Sie
können zwar nur eine augenblickliche Wtrkung erzielen und auf die Dauer
niemanden täuschen, aber sie finden unendlich oft, selbst in ernsthaften Dis-
kussionen, Anwendung. Hterher gehören alle Arten der unsachllchen Kampfes-
weise, vor allem das „Persönlichwerden": man geht auf die Gründe des
Gegners überhaupt nicht ein, sondern sucht sie durch Herabsetzung seiner
Person von vornherein als unbeachtlich hinzustellen: „Sie wollen nur immer
opponieren — es macht Ihnen Spaß, sich als den Paradoxen und Radikalen
aufzuspielen", — „Sie glauben ja selbst nlcht, was Sie sagen." Oder: „Sie
sind noch zu jung, um Hier mitreden zu können; wenn Sie älter sind, und
mehr Erfahrung haben, wollen wir weiter reden." Bon diesem „Persönlich-
werden" ist das, was Aristoteles die Widerlegung Lvb-pconov nennt,
oder die „grZumeatalio aci per^onam" zu unterscheiden. Darunter ist
die auf die Person des Gegners zugeschnittene Beweisführung zu verstehn:
man benutzt Gründe, an die man selbst nicht glaubt, von denen inan aber
annimmt, daß sie den Gegner überzeugen; man gebraucht etwa, ohne selbst
Spiritist oder Vegetarier oder Phrenologe zu sein, deren Dogmen einem
Anhänger dieser Lehren gegenüber. Vor allem gehört hierher die Spekulation
auf die Interessen und den Vorteil des Gegners. Stellt ein Hausbesitzer
oder Landwirt eine soziale Theorie auf, so braucht man sich. gar nicht um
ernstliche Gegengründe zu bemühen, wenn man nachweisen kann, daß bei
der Durchführung dieser Theorie auch die Hausbesitzer oder Landwirte zu
ftärkeren Lasten herangezogen werden müßten. Die Gegner werden dann
meist sofort umschwenken. — Ein unverschämter, aber wirkungsvoller Streich
ist es, sich auf beliebige Winkelautoren zu berufen und diese als große Auto-
ritäten hinzustellen. „Was" — so schreit man den Gegner an — „Sie kennen
nicht den großen Nationalökonomen Bibitz? Ia, nehmen Sie mir nicht
übel, wenn Sie nicht einmal Bibitz kennen, wie wollen Sie da über wirt-
schaftliche Fragen mitreden?" Worauf dann der andere ganz beschämt ob
seiner großen Kenntnislosigkeit klein beigibt. — Manche wissen sich dadurch
eins überlegene Stellung zu verschaffen und einen guten Abgang zu sichern,
daß sie den Gegner verblüffen, indem sie dessen sprachliche Tropen, etwa
Ironie oder Hyperbeln, wörtlich nehmen. Ein persönliches Erlebnis dieser
Art ist mir in lebhafter Erinnerung: ein anscheinend durchaus im Recht be-

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