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Kunstwart und Kulturwart — 35,2.1922

DOI Heft:
Heft 11 (Augustheft 1922)
DOI Artikel:
Rathenau, Walther: Aus Walther Rathenaus Schriften
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https://doi.org/10.11588/diglit.14435#0320

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dies ist seine Verantwortung: aus niederem Geist göttlichen Geist zu ver-
klären. Erlösung aber bedeutet, das; diese Berklärung aus eigner Kraft
nicht möglich ist, daß dem guten Willen die rettende Kraft zu tzilfe kommt.

Guter Wille, Vertrauen und Liebe öffnen unsere tzerzen den gött-
lichen Strahlen, die uns allerwäi'ts umfließen, und helfen die tzerzen
unserer Brüder öffnen. tzierin ist alle Glaubens- und Sittenlehre be-
schlossen; es gibt kein Tun und Vollbringen, das selig macht, selig macht
nur die Gesinnung. Es gibt kein sittliches Handeln, sondern einen sitt-
lichen Zustand, der unrechtes tzandeln ausschließt. Es gibt keine absoluten
Werte außer jenen dreien, die uns dem Reich der Seele entgegenführen,
alle anderen irdischen Güter sind bestenfalls Mittel.

Ich glaube, daß im vollendeten Reich der Seele alle Erscheinungen
und Kategorien der intellektualen Welt beendet sind, mit thnen die
kämpfende Individualität, die Vergänglichkeit und die intellektuale Ein-
sicht. Hier liegt die Grenze unserer Sprache nnd Vorstellungskraft.
Es versagen alle Symbole.

Nur ein geringes und unvollkommenes Bild möchte ich andeuten, um
eine Abstufung zu versinnlichen, die vom raum-zeitlichen Erkennen hin-
weg die Richtung zu einer unmittelbaren, adäquaten Einsicht ahnen läßt.
Man lehrt uns die Geschichte eines Landes, und wir gewinnen ein zeit-
liches Bild. Es geschieht, daß wir später dieses Land durchstreifen, es reiht
sich Erlebnis an Erlebnis, Ort an Ort, auf den Linien unserer Fahrt durch^-
dringen wir das Gleichzeitige. In der Erinnerung aber verschmilzt alles,
es entsteht in uns ein Bild, in dem das Räumlich-Zeitliche in eine un-
trennbare Einheit verwachsen ist, das wir mit allen inneren und Lußeren
Sinnen besitzen. Wir wissen mehr, als wir gesehen und erfahren haben.
Unser Geist HLlt uns eine eigene Schöpfung vor Augen, und wohin wir
ihn konzentrieren, glauben wir wahrzunehmen, was ist und was war, was
sein kann und was nicht sein kann, fast möchten wir sagen, was werden
wird. Und dennoch dies alles nicht an der doppelten Schnur von Raum
und Zeit, sondern innerlich, gefühlt, organisch.

Ich glaube, daß mein einfaches Bekenntnis nichts enthält, was nicht in
höchster Vollkommenheit in den heiligen Schriften aller Zeiten verkündet
ist. Was wir in uns zu schaffen glauben, wird stets die einseitige, dunkle
Spiegelung der nie zu erfassenden Wahrheit sein. Doch die Mannigfalt
der Spiegelungen in der Vielzahl der Seelen gibt uns die Vielseitigkeit
des Erlebnisses, deren wir bedürfen, und die Wiederkehr der großen
Züge gibt uns die Gewißheit einer abgebildeten Wahrheit. Unser Glau-
bensleben aber wird neu und lebendig, wenn nicht tote Schriften und
verbriefte Ordnungen das Wort verwalten, sondern wenn es von neuem
beginnt, in allen tzerzen zu zeugen und zu keimen.

Für unser weltliches Leben entnehmen wir dem Glauben und dem Wort
die Werte und die Maße. Nennen wir es das Reich des Himmels,
das Reich Gottes oder das Reich der Seele, was uns ihm nähert, ist gut,
was uns entfernt, ist schlecht. Glück, Leben, Wohlstand, Macht, Kultur,
tzeimat, Nation, Menschheit sind die Höchsten irdischen Werte. Wohl
dem, der keinen von ihnen zu opfern braucht, für den sie Mittel zum Gött-
lichen bleiben. Wir aber werden sie messen an den Maßen der Seele,
des Glaubens und der Gerechtigkeit, und wo sie das Maß nicht erfüllen,
da müssen sie sich fügen oder weichen.

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