Lange konnte sich der absolute Raum, als Erlebnis und als Gestaltung,
nicht halten. Die Spannkraft der menschlichen Seele ertrug nicht dauerndes
Entrücktsein, der bürgerliche Wohlstand lähmte sie überdies und so wurde
die Einheit des Raumes durch immer mehr Zutaten aus der Tageswelt,
ja Gassenwelt zerstört. So kunsthandwerklich schön die hölzernen und
schmiedeeisernen, die ehernen und steinernen Kleinschöpfungen der späten
Gotik sind, ihr Einfluß auf die Umgestaltung des religiösen Erlebnisses
steht außer Zweifel. Auch das Gemälde, seiner raumgebundenen Monu-
mentalität beraubt und zum beliebig plazierbaren Tafelbild gemacht, zeugt
von einem anderen Intensitätsgrad, von einer ganz anderen Form reli-
giösen Erlebens. Es geht nicht an, Religion zu definieren und mit ganz
bestimmten Lebensäußerungen zu verbinden, aber soviel mag einleuchten,
daß die Religiosität des absoluten Raumes, des absoluten Wortes etwa
der liturgischen Gesänge und später der absoluten Musik, z. B. des Barocks,
die tiefste und mit fremden „Belangen" am wenigsten belastete ist. Ieden-
falls streben die ernsthaftesten Gottsucher unserer Tage einem ähnlichen
mystischen Gotterlebnis zu und wir werden deshalb als bedeutendsten und
vollkommensten Kirchentyp der Zukunft den der absoluten Religion zeichnen,
die schon eigentlich überkonfessionell ist.
Der Raum gab als solcher schon den Grundakkord, aus dem sich die
strengen Melodien zweier Friese etwa herausspannen, die vom Portal zum
Chor über Säul' und Pfeiler mit den Andächtigen hinzogen, oder aber die
rhythmische Gebundenheit einiger Apostelgestalten im Chor. Im Tym-
Panon der Portale, am Lettner, an den Kapitellen war wohl auch noch
Bildwerk angebracht, aber kein plauderndes: Gott der Herr in einer
Mandorla sitzend, von Engeln getragen, vielleicht auch einmal das Iüngste
Gericht oder Christus im Grab. Aber immer ohne plauderndes Bei-
werk. Das kam erst später. Amd wenn schon geschwatzt wurde, danu
geschah es an der Außenwand der Kirche. Das Ganze war Musik gleich-
mäßiger Rhythmen, linearer Harmonien. Raumgefühl war erstrebt
und Wirklichkeit geworden, das innere Ruhe und Sicherheit gab. Die
Bilderfeindlichkeit des Islam und die Bilderstürmereien des christlichen
Mittelalters sind tief begründet in der Erkenntnis, daß von einem gewissen
Punkte an die Kunst Feindin der Religion wird, sobald sie nämlich auf-
hört, ihr ohne jedes Selbständigkeitsstreben dienstbar zu sein. Iakob
Burckhardt schreibt in seinen „Weltgeschichtlichen Betrachtungen" über
die besondere Bedingtheit der Religion durch Kunst und Poesie: „Beide
haben von jeher in hohem Grade zum Ausdruck des Religiösen beigetragen.
Allein jede Sache wird durch ihren Ausdruck irgendwie veräußerlicht und
entweiht. Schon die Sprache übt Verrat an den Sachen. . . . Vollends
aber ist die Kunst eine Verräterin, erstens indem sie den Inhalt einer
Religion ausschwatzt, d. h. das Vermögen der tieferen Andacht wegnimmt
und ihm Augen und Ohren substituiert, Gestalten und Hergänge an die
Stelle des Gefühls setzt und dieses damit nur momentan steigert, zweitens
aber, indem ihr eine hohe und unabhängige Eigentümlichkeit innewohnt,
vermöge deren sie eigentlich mit allem auf Erden nur temporäre Bünd-
nisse schließt und auf Kündigung." Später weist Burckhardt auf die
zeitweilige Gegenwirkung der Religion hin (wir sagen wohl besser: der
Kirche), die im Bestreben, nur das Heilige an den Dingen darzustellen,
von der Totalität der lebenden Erscheinung abstrahiert „und natürlich neben
dem gleichzeitigen Vollbelebten um ein Großes zurücksteht". Solche Ver-
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nicht halten. Die Spannkraft der menschlichen Seele ertrug nicht dauerndes
Entrücktsein, der bürgerliche Wohlstand lähmte sie überdies und so wurde
die Einheit des Raumes durch immer mehr Zutaten aus der Tageswelt,
ja Gassenwelt zerstört. So kunsthandwerklich schön die hölzernen und
schmiedeeisernen, die ehernen und steinernen Kleinschöpfungen der späten
Gotik sind, ihr Einfluß auf die Umgestaltung des religiösen Erlebnisses
steht außer Zweifel. Auch das Gemälde, seiner raumgebundenen Monu-
mentalität beraubt und zum beliebig plazierbaren Tafelbild gemacht, zeugt
von einem anderen Intensitätsgrad, von einer ganz anderen Form reli-
giösen Erlebens. Es geht nicht an, Religion zu definieren und mit ganz
bestimmten Lebensäußerungen zu verbinden, aber soviel mag einleuchten,
daß die Religiosität des absoluten Raumes, des absoluten Wortes etwa
der liturgischen Gesänge und später der absoluten Musik, z. B. des Barocks,
die tiefste und mit fremden „Belangen" am wenigsten belastete ist. Ieden-
falls streben die ernsthaftesten Gottsucher unserer Tage einem ähnlichen
mystischen Gotterlebnis zu und wir werden deshalb als bedeutendsten und
vollkommensten Kirchentyp der Zukunft den der absoluten Religion zeichnen,
die schon eigentlich überkonfessionell ist.
Der Raum gab als solcher schon den Grundakkord, aus dem sich die
strengen Melodien zweier Friese etwa herausspannen, die vom Portal zum
Chor über Säul' und Pfeiler mit den Andächtigen hinzogen, oder aber die
rhythmische Gebundenheit einiger Apostelgestalten im Chor. Im Tym-
Panon der Portale, am Lettner, an den Kapitellen war wohl auch noch
Bildwerk angebracht, aber kein plauderndes: Gott der Herr in einer
Mandorla sitzend, von Engeln getragen, vielleicht auch einmal das Iüngste
Gericht oder Christus im Grab. Aber immer ohne plauderndes Bei-
werk. Das kam erst später. Amd wenn schon geschwatzt wurde, danu
geschah es an der Außenwand der Kirche. Das Ganze war Musik gleich-
mäßiger Rhythmen, linearer Harmonien. Raumgefühl war erstrebt
und Wirklichkeit geworden, das innere Ruhe und Sicherheit gab. Die
Bilderfeindlichkeit des Islam und die Bilderstürmereien des christlichen
Mittelalters sind tief begründet in der Erkenntnis, daß von einem gewissen
Punkte an die Kunst Feindin der Religion wird, sobald sie nämlich auf-
hört, ihr ohne jedes Selbständigkeitsstreben dienstbar zu sein. Iakob
Burckhardt schreibt in seinen „Weltgeschichtlichen Betrachtungen" über
die besondere Bedingtheit der Religion durch Kunst und Poesie: „Beide
haben von jeher in hohem Grade zum Ausdruck des Religiösen beigetragen.
Allein jede Sache wird durch ihren Ausdruck irgendwie veräußerlicht und
entweiht. Schon die Sprache übt Verrat an den Sachen. . . . Vollends
aber ist die Kunst eine Verräterin, erstens indem sie den Inhalt einer
Religion ausschwatzt, d. h. das Vermögen der tieferen Andacht wegnimmt
und ihm Augen und Ohren substituiert, Gestalten und Hergänge an die
Stelle des Gefühls setzt und dieses damit nur momentan steigert, zweitens
aber, indem ihr eine hohe und unabhängige Eigentümlichkeit innewohnt,
vermöge deren sie eigentlich mit allem auf Erden nur temporäre Bünd-
nisse schließt und auf Kündigung." Später weist Burckhardt auf die
zeitweilige Gegenwirkung der Religion hin (wir sagen wohl besser: der
Kirche), die im Bestreben, nur das Heilige an den Dingen darzustellen,
von der Totalität der lebenden Erscheinung abstrahiert „und natürlich neben
dem gleichzeitigen Vollbelebten um ein Großes zurücksteht". Solche Ver-
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