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Kunstwart und Kulturwart — 35,2.1922

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Heft 12 (Septemberheft 1922)
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Bonus, Arthur: "Staatbildende Kraft"?
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https://doi.org/10.11588/diglit.14435#0388

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noch heute das Frankenreich Frankreich, das Gotenland Gotalanien, Lata--
lonien, das Vandalenland Vandalitia oder Vandalusia, Andalusien, das
Angelnland England, das Langobardenland Lombardei erinnern, auf die
spätere uördliche, von der das Rudererland Rußland, das Normannenland
die Normandie den Klang der Namen bewahrt haben, und auf die dritte,
rückwärts nach Osten gerichtete der Kreuz-- und Preußenzüge mit den slämisch-
deutschen Staatenbildungen im Orient und in Ostelbien. Wir sehen da
deutlich genug, wie die jungen neuen Staaten überall aus den Fußspuren
der germanischen Ankömmlinge aufsprießen. Gleichzeitig mit dieser dritten
Wanderung entstehen die deutschen Städterepubliken durchs ganze Land,
die sich zu jenen breiteren Freistaatenbildungen von unten her zusammen--
fügen, von denen die Hansa am berühmtesten geworden ist.

Krapotkin in seinem Buch von der „gegenseitigen Hilfe in Tier-- und
Menschenwelt" (deutsch Leipzig (908) läßt diese großartigen Bildungen mit
ihren Domen und Rat-- und Kaufhäüsern die einzige Kultur darstellen,
die Europa seit der Antike gehabt hat, und stellt sie über jene. Sie ging
unter nach seiner Darstellung vor allem durch die Kurzsichtigkeit, mit der
sie nur für sich allein sorgte, nur sich allein frei zu halten für nötig hielt,
nicht aber auch die Bauernschaft, auf deren Zufuhren sie doch angewiesen
war. Den solchergestalt im Stich gelassenen Bauernschaften gelang es
seltner als den ummauerten Städten, die Nnterwerfung abzuwehren; die
Schweizer Eidgenossenschaft, in der beide zusammenhielten, machte eine
rühmliche Ausnahme. Ich erwähne diese warnenden Aufstellungen Kra-
potkins, obwohl sie unsern Zusammenhang unterbrechen, einmal, weil sie
zeigen, daß das nicht über die Stadt Hinauskommenkönnen eine wieder-
kehrende Schwierigkeit zu bleiben scheint, und besonders, weil wir heute
wieder in der Gefahr stehen, einen Gegensatz zwischen Stadt und Land
aufzureißen.

Wie dem sei, so werden wir den Eindruck erhalten haben, daß es an
staatenbildender FLHigkeit unsrer Rasse, uns Deutsche eingeschlossen, offen-
bar nicht fehlt. Sie scheint vielmehr eine ungewöhnlich starke plastische Krast
in dieser Richtung bewährt zu haben.

Was hat es denn aber mit jenen zu Anfang angedeuteten Erfahrungen
auf sich?

Leider sehr viel. Die Germanen haben überall in dsr Welt feste Staaten
gegründet, ein eigenes Haus ist ihnen auf die Dauer noch nie gelungen.
Skandinavien ist in drei Kleinstaaten zerfallen. Die Niederlande teilten sich
in Holland und Flamland. Der Bismarcksche Staat gründete eine, wie sich
gezeigt hat, nur scheinbare Festigkeit auf das halbslavische Preußen. Nnter
großem äußeren Druck hat dann der Sozialismus etwas wie einen gut-
gefügten Staat im Staate gebaut, und wir lebten schoü seit langem der
Hoffnun-g, es solle ihm gelingen, einstmals den alternden Obrigkeitsstaat
ablösen zu können. Waren die Massen des Volksgrundes organisiert,
so schien eine genügend breite Anterlage für die Weiterorganisation des
Volksganzen über diesem mit lebendigen Klammern hinausgreifenden Bo-
den gegeben. Aber siehe da, alsbald splittert ein linker Flügel ab und eine
Großmacht zerlegt sich in zwei Ohnmächte. Im älteren Süd- und West-
deutschland aber erwacht der eingeborne Tausendjahrfeind Deutschlands,
sein eigentlicher „Erbfeind", der Partikularismus, der blinde Hadergeist,
die Sonderbündelei, der schielende Volksverrat.

Deutschland leidet nicht an einem Mangel, sondern an einem Äberfluß

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