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Kunstwart und Kulturwart — 35,2.1922

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Heft 12 (Septemberheft 1922)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14435#0390

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solcher Wörter festgelegt: eiri Fischge-
richt, ein Geschworenengericht; ein frisch
gsöltesSchloß, ein verwunschenes Schloß.
Aber verhängnisvoll wird die feine,
die versteckte Vieldeutigkeit, wenn die
gleichbenannten Begriffe sich teil-
weijse decken, wenn ihre Grenzen in--
einanderfließen nnd nur schwer ausein--
anderzuhalten sind. Man denke an die
verschiedene Bedeutung von Kapitalis-
mus, Bildung, Kunst, Philosophie,
Idealismus. Mas läßt sich nicht alles
unter „Demokratie" verstehen? Ab-
strakte Prinzipien mannigfaltigster Alrt
und ganz entgegengesetzte geschichtliche
Gestaltungen. Und diese Tatsache läßt
sich in mehrfacher Meise für das Recht-
behalten ausnützen. Man kann z. B.
in seinen Voranssetzungen die Morte
in anderem Sinn gebranchen als in
den Folgerungen und anf diese Weise
die schönsten Trugschlüsse bilden. —
Sieht man im Verlauf einer Debatte,
daß man seine Behauptungen nicht auf-
recht erhalten kann, dann deutet man
die gebrauchten Morte ein wenig an-
ders, man macht allerhand feine Ve°
griffsunterscheidungen, Wodurch es viel-
leicht noch gelingt, sich herauszureden.
Auch um die Thesen des Gegners anzu-
fechten, ist es vorteilhaft, dessen Morten
einen weiteren oder engeren Sinn un-
terzuschieben. lknd Dausende stehen so
sehr im Banne der Sprache, sie sind
so wenig an begriffliche Analhsen ge-
wöhnt, daß sie diesen einfachen Kunst-
griff überhaupt nicht, oder doch zu spät
durchschauen. Man denke z. B. an die
landläufigen Streitigkeiten naiver Men-
schen über die Möglichkeit oder Anmög-
lichkeit der biblischen Wunder. Da muß
man immer wieder hören, es sei gedan-
kenlos und verbohrt, Wunder zu leug-
nen, da wir doch ununterbrochen von
tausend Mundern umgeben seien. Sind
nicht zahllose Naturerscheinungen un-
erklärlich und geheimnisvoll? Ist es
nicht ein ewig bestaunenswertes Wun-
der, daß sich die Apfelblüte zum Apfel
entwickelt, daß aus der Lichel ein Baum
entsteht, daß aus einem Ei ein lebeudes
Wesen schlüpft? Kann jemand diese
Vorgänge „erklären", sie auch nur
fassen? — Warum sollte man da nicht
an seltener auftretende Wunder glau-
ben? Eine solche Beweisführung ist
natürlich nur auf Grund der Doppel-

deutigkeit des Wortes „Wunder" mög-
lich. Versteht man unter diesem Aus-
druck alles, was nicht restlos erklärbar
ist, dann sind in letzter Linie alle
rsalen Naturvorgänge Wunder. Ver-
steht man aber unter ihm ein willkür-
liches Eingreifen in das regelmäßige,
auf ewigen Gesetzen beruhende Natur-
geschehen, dann handelt es sich um Er-
scheinungen ganz anderer Art. Nnd
nur die Möglichkeit der letzteren wurde
ja vom Gegner bestritten. Daß aus der
Lichel eine Eiche keimt, daß das Huhn
aus dem Ei sich entwickelt, mag man
ein Wunder nennen, aber nur ein
Wunder im ersten Sinn. Ein Wunder
im zweiten Sinn wäre es erst, wenn
jemand vermöchte, durch Anblasen aus
einer Eichel eine Birke wachsen zu las-
sen, oder durch Handauflegen zu bewir-
ken, daß aus einemHühnerei ein Schwan
oder Basilisk kriecht. Der Trugfchluß,
aus der Möglichkeit der ersten Art die
Wöglichkeit der zweiten Art zu folgern,
ist kaum weniger plump nnd entspricht
genau dem logischen Schulbeispiel:

Alle Strauße laufen auf zwei Beinen;
Der Blumenstrauß ist ein Strauß;
Also läuft der Blumenstrauß auf zwei

Beinen!

Handelt es sich aber um Worte,
deren verschiedene Vedeutungen enger
miteinander verflochten, die schwieriger
auseinanderzuhalten und zu zerglie-
dern sind, als Strauß und Strauß oder
Wunder und Wunder, dann ist es be-
greiflich, daß die auf ihnen beruhenden
Trugschlüsse auch jcharfsinnigere Geg-
ner täuschen.

»Deutsche Dichtung in «euer Zeit"
^vlbert Soergels „Dichtung und
^4-Dichter der Zeit" ist ein reinliches
Buch. Es will nicht mehr sein, als eine
Reihenfolge geschmackvoller Einzeldar-
stellungen, die viel gut gewähltes bio-
graphisches Material, maßvolle Arteile,
ausführliche Nacherzählungen wichtiger
Werke und reichliche Lextproben ent-
halten. Das Buch soll jetzt ümgearbei-
tet und bis zur jüngsten Gegenwart er-
gänzt werden. Da schreibt Friedrich
von der Lehen ein Buch „Deutsche
Dichtung in neuer Zeit" (Verlag
Eugen Diederichs, Iena), das Soergels
Leistung einfach in minder umfassender
Form abwandelnd wiederholt, schein-
 
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