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Kohl, Thomas; Schneidmüller, Bernd [Bibliogr. antecedent]; Weinfurter, Stefan [Bibliogr. antecedent]
Lokale Gesellschaften: Formen der Gemeinschaft in Bayern vom 8. bis zum 10. Jahrhundert — Mittelalter-Forschungen, Band 29: Ostfildern, 2010

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.34742#0205

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5. Kirchen und Klerus

5.1 Kirchen

Wenn Kirchen und ihre verschiedenen Erscheinungsformen als Ortskirchen, Klös-
ter oder Bischofskirchen in ihrer Bedeutung für die frühmittelalterliche Geschichte
kaum zu überschätzen sind, ist in dieser Zeit die Quellenlage für die nicht-
monastischen Kirchen schwierig; gerade Niederkirchen lassen sich in Urkunden
oder hagiographischen Quellen kaum genauer fassen. Die Ausnahme zu dieser
Regel, die für das gesamte Frankenreich, aber auch für den größten Teil der
sonstigen frühmittelalterlichen mediterran-europäischen Welt außer Norditalien
gilt, war Bayern': Nirgendwo sonst häufen sich die Erwähnungen von Kirchen
und ihren Anteilen; sie wurden verschenkt, getauscht sowie als Prekarie und
Lehen vergeben. Insgesamt kommen in 230 Freisinger Urkunden aus der Zeit vor
dem Jahr 1005 Kirchen vor, das heißt in etwa 15 Prozent aller Urkunden. Aus
Regensburg sind es 27, aus Passau neun, also je etwa zehn Prozent. Die Bischofs-
kirchen, allen voran Freising, warben in den Jahren zwischen ca. 770 und 830
massiv um die Tradition von Kirchen. Bischof Arbeo erwarb in seiner Amtszeit
764—83 etwa 25 Kirchen, seine Nachfolger Atto (783-811) und Hitto (811-35) waren
noch erfolgreicher, allein 806-8 gewann Atto 25 Kirchen zumindest nominell für
Freising. In der Schäftlarner und Niederaltaicher Überlieferung sind je drei
Kirchen (zehn bzw. fünf Prozent), in Mondsee vier (ca. drei Prozent) erwähnt.
Damit zeigt sich, dass die Bischofskirchen deutlich mehr Kirchen besaßen und
tradiert bekamen als die Klöster mit Ausnahme von Schäftlarn. Dies hängt sicher-
lich mit der bischöflichen Zuständigkeit für Niederkirchen und den Versuchen der
karolingischen Reformzeit, eine kanonische Kirchenordnung aufzubauen,
zusammen.
Die außerordentlich gute Überlieferungslage für lokale Kirchen in Bayern
beruht einerseits darauf, dass die erhaltenen Urkundensammlungen und Tradi-
tionsbücher dieser Zeit im Frankenreich im Allgemeinen nicht aus Bischofs-
kirchen, sondern aus Klöstern stammen^, andererseits auf der Politik der Bischöfe,
möglichst viele Kirchen zu erwerben. Zu den interessantesten Quellen gehört eine
Salzburger Liste von Parochialkirchen, die für die behandelten Gebiete

1 Vergleichbare Verhältnisse lassen sich am ehesten in Lucca erkennen; auch hier sind die
Traditionen der Bischofskirche überliefert. Zu den dortigen kirchlichen Verhältnissen FEINE,
Langobardisch-italisches Eigenkirchenrecht, in: ZRG KA 30 1941,1-95 (Teil I), 31 1942,1-105
(Teil II) und 32 1943, 64-190 (Teil III).
2 S. die Anteile der Kirchentraditionen bei den großen Klöstern St. Gallen (700-799 5,03%, 800-
840 2,69%, 840-899 3,88%), Lorsch (2,59%) und Weißenburg (7,18%) bei Wilfried HARTMANN,
Die Eigenkirche: Grundelement der Kirchenstruktur bei den Alemannen?, in: Die Ale-
mannen und das Christentum. Zeugnisse eines kulturellen Umbruchs, hg. v. Sönke Lorenz,
Barbara Scholkmann (Schriften zur Südwestdeutschen Landesgeschichte 48), Leinfelden-
Echterdingen 2003,1-11, hier 7-9.
 
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