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Kohl, Thomas; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Lokale Gesellschaften: Formen der Gemeinschaft in Bayern vom 8. bis zum 10. Jahrhundert — Mittelalter-Forschungen, Band 29: Ostfildern, 2010

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https://doi.org/10.11588/diglit.34742#0374

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8.2 Der lokale Raum - das Dorf und seine Umgebung

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mittleren Grundbesitzerschicht. Sie hatten zwar Besitz an mehreren Orten, aber
nur selten wirklich große geschlossene Landstücke an mehr als fünf bis zehn
Orten. Manche mittleren und kleineren Landbesitzer waren lokal orientiert, traten
also nur in einem der Untersuchungsgebiete oder dessen unmittelbarer Nach-
barschaft auf. Teilweise erscheinen Menschen auch in mehreren Gebieten als
Zeugen oder Landbesitzer, jedoch nur recht selten über eine Diözese hinaus.
Daneben gab es zahlreiche Menschen, über die verfügt wurde, die also unfrei oder
minderfrei waren, oder die nur schemenhaft in den Quellen zu erkennen sind, wie
die kleineren Freien oder viele Minderfreie. Für die einzelnen Bewohner der
bayerischen Dörfer, von Ampermoching, Seekirchen oder Tegernbach dürften sich
die Lebensbedingungen materiell nicht sehr von denen ihrer fränkischen, lango-
bardischen und alemannischen Zeitgenossen unterschieden haben. Allerdings war
es in Bayern - zumindest bis ins 10. Jahrhundert - weit wahrscheinlicher, an einem
Ort zu leben, an dem es mehrere Eigentümer gab, als etwa in der Ile de France,
aber wesentlich unwahrscheinlicher, seinen eigenen Besitz zu bearbeiten, als in
den Weinbaugebieten am Mittelrhein.

8.2 Der lokale Raum - das Dorf und seine Umgebung
Eine Struktur, in die die Menschen unmittelbar eingebunden waren, wurde im
Verlauf der Untersuchungen besonders herausgehoben, weil sie in der bisherigen
Forschung stark vernachlässigt wurde: Der lokale Raum, also das alltägliche Um-
feld, das aufgrund der fragmentierten Siedlungsstruktur mehrere benachbarte
Dörfer und Weiler umfassen konnte. In die nachbarschaftlichen Beziehungen
waren alle Bewohner in unterschiedlicher Weise eingebunden, die freien wie die
unfreien. Sie manifestierten sich in der gemeinsamen Nutzung zentraler Ein-
richtungen wie Kirchen, Mühlen und wohl auch Schmieden sowie im
gemeinsamen Anrecht auf die Nutzung der Allmenden.
Die Lex Baiuvariorum zeichnet mit ihren zahlreichen Bestimmungen zu
Nachbarschaftsstreitigkeiten, Zäunen und Wegrechten das Bild eines eher
bäuerlichen Zusammenlebens^. Auch die Rolle der lokalen Zeugen wird hier
beschrieben; bei Streitigkeiten über Besitzverhältnisse durften etwa nur com-
marcan/' aussagenA Damit zeigt sich die große Bedeutung, die Konflikte auf der
Dorfebene, im Bereich der kleineren Grundbesitzer zumindest in der Ent-
stehungszeit der Lex für die führenden Kreise Bayerns hatten. Dem steht nicht
entgegen, dass sich einige Titel der Lex auf die aristokratische Lebenswelt
beziehen^.
Die wirklich lokalen Gestalten, die kleinen Freien, erscheinen fast nur dann in
den Quellen, wenn sie als Zeugen einer Investitur genannt sind, wenn also das
,Erinnerungskataster' in Aktion trat. Dabei handelte es sich um die informelle
Gruppe, die die Deutungshoheit über die Eigentumsverhältnisse und Nut-
zungsrechte der verschiedenen Besitzstücke besaß, also die Grenzen bestimmen

36 S.o. 3.1.1.
37 Tit. 17,1-2, vgl. TF 58 (773.07.09).
38 Wenn etwa in tit. 21 von Herrenhöfen und Beizjagd die Rede ist.
 
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