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Kohl, Thomas; Schneidmüller, Bernd [Bibliogr. antecedent]; Weinfurter, Stefan [Bibliogr. antecedent]
Lokale Gesellschaften: Formen der Gemeinschaft in Bayern vom 8. bis zum 10. Jahrhundert — Mittelalter-Forschungen, Band 29: Ostfildern, 2010

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https://doi.org/10.11588/diglit.34742#0319

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6. Zeugen und Amtsträger

6.6 Zeugen und Amtsträger
Sicherheit lässt sich bei der Auswertung der Zeugenreihen auch bei großer
methodischer Sorgfalt nicht erzielen, und es bleibt eine Reihe offener Fragen. In
allen Phasen der Untersuchungszeit, ob in Zeiten ausgedehnter oder schwacher
Urkundentätigkeit, mit größeren oder kleineren Zeugenreihen, stellt sich immer
wieder das letztlich unlösbare Problem der Identifizierung von Trägern gleicher
Namen. Je nach zugrunde liegendem Gesellschaftsbild lassen sich häufige
Namensnennungen auf eine Person beziehen; wenn es eindeutig mehrere gab, so
können sie als Verwandte betrachtet werden. Im anderen Extrem könnte man von
einer stark lokalisierten Gesellschaft ausgehen, in der jede Namensnennung in
einer anderen Umgebung als anderes Individuum identifiziert wird. Es ist sicher,
dass viele der Zeugen nicht nur in ihrer lokalen Umgebung tätig waren, sondern
sehr häufig auch weite Strecken zurücklegten, um dort Zeugendienste zu leisten -
Erwähnungen als Verwandte und gleiche Mitzeugen etwa machen Identitäten
auch über lange Distanzen hoch wahrscheinlich. So lässt sich erkennen, dass die
meisten bekannten Zeugen nicht an einen Ort oder eine Kleinregion gebunden
waren - auch wenn sie möglicherweise lokale Schwerpunkte hatten.
Zwar lassen sich trotz dieser Probleme einzelne Gruppen unter den Zeugen
identifizieren, aber welche Gemengelage von Interessen und Bindungen letzt-
endlich dazu führte, dass ein Mann Zeugendienste leistete und dies auch in der
Urkunde vermerkt wurde, ist im Einzelfall schwer zu erkennen. Gehörte er zu den
Freunden, Verwandten, Klienten und Vasallen des Bischofs bzw. der Bischofs-
kirche, die als Zeugen einer Tradition aufgenommen wurden, um die Position des
Bischofs bei einem eventuellen Konflikt zu stärken? Oder war er ein örtlicher
Landbesitzer, angesehen und wohlhabend genug, um als Teil des
,Erinnerungskatasters' einer lokalen Funktionselite anzugehören? Gehörte er zu
den Freunden oder der Familie des Tradenten, der bei diesem wichtigen Akt die
Unterstützung seiner Familie haben wollte und sich gegen mögliche Erbansprüche
seiner Verwandten absicherte? War er einfach nur zufällig an einem Ort an-
wesend, an dem eine Tradition durchgeführt wurde und nahm als angesehener
Mann ohne besondere Beziehungen zu der einen oder anderen Partei an dem
feierlichen Akt teil? Gehörte er zu einer Gruppe von Männern, die nach einer
Besitzstreitigkeit vor Gericht das Urteil eines Prozesses durchsetzen sollten, oder
war seine Zeugentätigkeit durch ein Amt bedingt?
All diese Motivationen, die sich ergänzen und keinesfalls gegenseitig
ausschließen, spielten in der Zusammensetzung der Zeugengruppen, wie sie uns
heute überliefert sind, eine Rolle. Entscheidend für die Überlieferung war auch,
welche Zeugen die Schreiber vor Ort und später die Kopisten für entscheidend
hielten. Man darf annehmen, dass diese Entscheidungen je nach Schreiber bzw.
Kopist und den Umständen immer wieder neu und anders getroffen wurden.
Nicht zuletzt hatte sicherlich auch die Neigung der Schreiber und Kopisten, in
einem bestimmten Moment alle Zeugen aufzunehmen oder zu entscheiden, dass
die Namen von drei oder zehn Zeugen auch genügten - man könnte sagen die
Tagesform -, einen erheblichen Einfluss auf unsere heutige Quellenbasis. Man
kann erkennen, dass im Zweifelsfall eher die Namen der lokalen Persönlichkeiten
 
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