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Isis.
noch schwer sagen — mag es sein, daß die Tracht noch lebendig war19); möglich ist auch,
daß, wie alle die Bilder des Hellenismus auf die eine Statue zurückgehen, in saitischer Zeit
solche Statuen aus einer berühmten „modernisierten" Isis des Neuen Reiches abgeleitet und
weitergebildet wurden.
Auf noch einem Wege scheinen wir zum gleichen Punkt zu kommen. Schon früher fanden
wir, daß der Stuhl, auf dem die freie Göttin sitzt20), und ihr Schemel von dem Sarapisbild über-
nommen sind. War das richtig, so konnte die sitzende Isismutter im Mantel frühestens unter
Ptolemaios I. entstanden sein. Ward aber Isis schon unter diesem König mit dem griechischen
Sarapisbild verbunden, wo doch Osiris, der Ägypter, ihr Gatte war, dann geschah ihr dies wohl
nur unter der griechischen Form, kaum der Ägypterin. So scheint wiederum der Schluß not-
wendig, daß Ptolemaios aus politischen Gründen sie erst hellenisiert hat, während unter Alexander
der Isis Αιγύπτια das strenge Kultbild mit dem Mantel entstand (Anm. 2).
Auch auf die Darstellung des Gesichts, der Haartracht, des Kopfschmucks unserer Terra-
kotten muß die Untersuchung eingehen, bevor eine inhaltliche Erklärung zulässig ist. Wir
berücksichtigen dabei wohl, daß der Bildner mitunter willkürlich verfahren konnte, je nach
Material und Technik sogar verzichten mußte, seine Vorlagen genau zu wiederholen.
Die Köpfe der Stehenden, 27, 28, die dem strengen Typus zugehört, sind, über den
Versuch spielerischer Imitation hinaus, bewußt ägyptisiert (28). Der fremde Stil fördert auch
am stärksten die Typisierung. Von diesen weiter ab stehen das feine Köpfchen 24 und das
gröbere 30; alle anderen aber offenbaren die Göttin als Nichtägypterin, als Griechin: Die
junge, elegante Alexandrinerin, den Schönheitstypus des frühen Hellenismus, 17, 19, 21, wohl
auch 37; die behäbige Bürgerin, 22, 25, 26; eine breitschlächtige Matrone vom Land, 23,
36, 3821). Der Zufall ist bei dieser Scheidung nicht im Spiel; ein Blick auf die Tafeln 19
bis 23, 33—35 lehrt uns, daß nicht etwa technisches Unvermögen oder nur der zeitliche Ab-
stand vom Original solche Formunterschiede erzeugten; es ist das ein dem individuellen Ver-
mögen entwachsenes Wollen, eine Mode, die den alten Formen den Geschmack (vor allem)
der verschiedenen sozialen Gruppen aufzwingt. Das Götterbild ist nur das Gestalt gewordene
Kulturbedürfnis der Gruppe, die es verehrt: πάντα τά θεϊα ανθρώπινα.
Der Eindruck des Nichtalltäglichen, Überindividuellen — kein einziges dieser Gesichter ist
freilich ganz frei von persönlichen Zügen — wird erzeugt, erhöht durch die Haarordnung.
Die Frisur aus gereihten, dichten Spirallöckchen, die in zwei Rollen bis zu den Brüsten reichen
und breit auf den Rücken fallen, 24, ist eine vorgriechische Tracht, besonders beliebt bei dem
strengen Typ und die Grundform, aus der man durch Vereinfachung, Lockerung, Lösung, Verzicht
auf das falsche zugunsten des natürlichen Haars die anderen gewinnt. In 27 und 28 fallen
die gleichen Löckchen loser zur Schulter. 30 (vgl. 29) trägt Spirallöckchen, große Korkzieher-
locken rahmen das Gesicht ein. Die übrigen erreichen eine ähnliche Wirkung mit dem natür-
19) Das ist — bei unserer mangelnden Kenntnis der Spätzeit — immer noch offen zu halten. Daß der Mantel noch
gekannt war, zeigt das Relief in Alexandrien, an das mich Schaefer erinnert, Maspero, Musee Egypt. II. pl. XL = v. Bis-
sing-Bruckmann Taf. 101, jetzt auch bei Schaefer, Aeg. Kunst S. 22, 3.
2°) Ich weiß wohl, daß Isis die „auf dem schönen Thron" ist. Aber als man von der alten Form des Thrones, ihrem
Schriftzeichen, abwich, hat man da keine andere als zufällig die des Sarapisthrons gefunden?
21) Abgesehen von den angegebenen Stücken vgl. man ferner Leiden, Aeg. Mon. I, XVII, 1437, Schmidt, Graesk-Aeg.
Terr., pl. IV (ähnl. Stück bei Arndt), vgl. auch die Bronzen, unten Anm. 54. Zum „Typus vom Land" z. B. die gleich zu
nennende Gruppe. Außerhalb Ägyptens gefundene Darstellungen betonen ebenso wie Ausläufer des strengen Typus die
Schlankheit besonders, die doch auch als Ideal fast durchweg die alte ägyptische Kunst beherrscht, was mir nicht unwich-
tig scheint für die Abhängigkeit der Typen im oben entwickelten Sinn (Anm. 14).
Isis.
noch schwer sagen — mag es sein, daß die Tracht noch lebendig war19); möglich ist auch,
daß, wie alle die Bilder des Hellenismus auf die eine Statue zurückgehen, in saitischer Zeit
solche Statuen aus einer berühmten „modernisierten" Isis des Neuen Reiches abgeleitet und
weitergebildet wurden.
Auf noch einem Wege scheinen wir zum gleichen Punkt zu kommen. Schon früher fanden
wir, daß der Stuhl, auf dem die freie Göttin sitzt20), und ihr Schemel von dem Sarapisbild über-
nommen sind. War das richtig, so konnte die sitzende Isismutter im Mantel frühestens unter
Ptolemaios I. entstanden sein. Ward aber Isis schon unter diesem König mit dem griechischen
Sarapisbild verbunden, wo doch Osiris, der Ägypter, ihr Gatte war, dann geschah ihr dies wohl
nur unter der griechischen Form, kaum der Ägypterin. So scheint wiederum der Schluß not-
wendig, daß Ptolemaios aus politischen Gründen sie erst hellenisiert hat, während unter Alexander
der Isis Αιγύπτια das strenge Kultbild mit dem Mantel entstand (Anm. 2).
Auch auf die Darstellung des Gesichts, der Haartracht, des Kopfschmucks unserer Terra-
kotten muß die Untersuchung eingehen, bevor eine inhaltliche Erklärung zulässig ist. Wir
berücksichtigen dabei wohl, daß der Bildner mitunter willkürlich verfahren konnte, je nach
Material und Technik sogar verzichten mußte, seine Vorlagen genau zu wiederholen.
Die Köpfe der Stehenden, 27, 28, die dem strengen Typus zugehört, sind, über den
Versuch spielerischer Imitation hinaus, bewußt ägyptisiert (28). Der fremde Stil fördert auch
am stärksten die Typisierung. Von diesen weiter ab stehen das feine Köpfchen 24 und das
gröbere 30; alle anderen aber offenbaren die Göttin als Nichtägypterin, als Griechin: Die
junge, elegante Alexandrinerin, den Schönheitstypus des frühen Hellenismus, 17, 19, 21, wohl
auch 37; die behäbige Bürgerin, 22, 25, 26; eine breitschlächtige Matrone vom Land, 23,
36, 3821). Der Zufall ist bei dieser Scheidung nicht im Spiel; ein Blick auf die Tafeln 19
bis 23, 33—35 lehrt uns, daß nicht etwa technisches Unvermögen oder nur der zeitliche Ab-
stand vom Original solche Formunterschiede erzeugten; es ist das ein dem individuellen Ver-
mögen entwachsenes Wollen, eine Mode, die den alten Formen den Geschmack (vor allem)
der verschiedenen sozialen Gruppen aufzwingt. Das Götterbild ist nur das Gestalt gewordene
Kulturbedürfnis der Gruppe, die es verehrt: πάντα τά θεϊα ανθρώπινα.
Der Eindruck des Nichtalltäglichen, Überindividuellen — kein einziges dieser Gesichter ist
freilich ganz frei von persönlichen Zügen — wird erzeugt, erhöht durch die Haarordnung.
Die Frisur aus gereihten, dichten Spirallöckchen, die in zwei Rollen bis zu den Brüsten reichen
und breit auf den Rücken fallen, 24, ist eine vorgriechische Tracht, besonders beliebt bei dem
strengen Typ und die Grundform, aus der man durch Vereinfachung, Lockerung, Lösung, Verzicht
auf das falsche zugunsten des natürlichen Haars die anderen gewinnt. In 27 und 28 fallen
die gleichen Löckchen loser zur Schulter. 30 (vgl. 29) trägt Spirallöckchen, große Korkzieher-
locken rahmen das Gesicht ein. Die übrigen erreichen eine ähnliche Wirkung mit dem natür-
19) Das ist — bei unserer mangelnden Kenntnis der Spätzeit — immer noch offen zu halten. Daß der Mantel noch
gekannt war, zeigt das Relief in Alexandrien, an das mich Schaefer erinnert, Maspero, Musee Egypt. II. pl. XL = v. Bis-
sing-Bruckmann Taf. 101, jetzt auch bei Schaefer, Aeg. Kunst S. 22, 3.
2°) Ich weiß wohl, daß Isis die „auf dem schönen Thron" ist. Aber als man von der alten Form des Thrones, ihrem
Schriftzeichen, abwich, hat man da keine andere als zufällig die des Sarapisthrons gefunden?
21) Abgesehen von den angegebenen Stücken vgl. man ferner Leiden, Aeg. Mon. I, XVII, 1437, Schmidt, Graesk-Aeg.
Terr., pl. IV (ähnl. Stück bei Arndt), vgl. auch die Bronzen, unten Anm. 54. Zum „Typus vom Land" z. B. die gleich zu
nennende Gruppe. Außerhalb Ägyptens gefundene Darstellungen betonen ebenso wie Ausläufer des strengen Typus die
Schlankheit besonders, die doch auch als Ideal fast durchweg die alte ägyptische Kunst beherrscht, was mir nicht unwich-
tig scheint für die Abhängigkeit der Typen im oben entwickelten Sinn (Anm. 14).