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Weber, Wilhelm; Königliche Museen zu Berlin / Ägyptische Abteilung
Mitteilungen aus der Ägyptischen Sammlung: Text — Berlin, 2.1914

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52

Horos.

4. Horos (Tafel 4-14).
Als der gute König Osiris vom tückischen Bruder Seth erschlagen war und Isis endlich
seinen Leichnam wiedergefunden hatte, vollzog sie klagend an ihm die Totenbräuche; darauf
weckte sie des Toten männliche Kraft, ruhte als Falkenweibchen auf ihm, empfing von ihm
und gebar ihm einen Sohn in der Einsamkeit des Sumpflandes. In steter Gefahr wuchs dieser
heran zum Rächer seines Vaters; als Sieger ward zur Freude der Götter Horos König der
Lebenden, wie der verstorbene Vater Herr drunten im Totenreich geworden war.
Einfach und sinnvoll geben diese Bilder des Mythos den großen Schlußakt des Osiris-
dramas wieder1). In ihm vergegenständlicht sich die Form, in der das ägyptische Gesamtvolk
sich zur Einheit zusammenfühlt; darum läßt durch ihn die fromme Phantasie der Jahrtausende
sich anziehen, darum sinnt und wirkt sie an ihm und knüpft aus dem Mythos wahrhaft einen
Teppich von orientalischer Pracht: aus dem flimmernden Spiel seiner Linien und Farben
erfaßt unser Auge kaum das Gewirre der Fäden, bestaunt nur die leuchtenden Muster2).
Das Wunder der Belebung des Toten3), die Bilder der Empfängnis4), der Niederkunft5)
der tapferen Göttin sind Gegenstand menschlich-frommer Betrachtung, symbolischer Spekulation
geworden. Die religiöse Kraft der Masse weilt gern bei der Kindheitsgeschichte des nach-
geborenen Horos, der — ein rechter orientalischer Märchenprinz — aus Niedrigkeit und Gefahr
zu Ehren und Glanz aufsteigt als Ebenbild seines Vaters6).
Von allen Kräften der schaffenden Natur hat die Sonne das ägyptische Volk am stärksten
beeinflußt. Daher ist oder wird allzeit der Gott der Lebenden, gleichviel welches Namens, ein
Sonnengott, sein autokratischer König; auch er wird menschlich gedacht, durchlebt den Lebens-
prozeß der Menschen, entsteht und wächst und altert. Kosmologische Spekulation hat — hier
zuerst in der Welt — das wundersame Bild geformt von dem Sonnenkind, das in der aus dem
Urwasser aufsprossenden Lotosblume sitzt. Als Mann erlegt der Sonnengott seinen Feind, die
Gewitterwolke; in der Sonne der Jahreszeiten sieht man das Kind, den Mann, den Greis7).
Aus alten Zeiten haben die geschlossenen Gruppen der Gaue ihre Götterfamilien sich be-
wahrt. Sonnenkinder finden wir auch unter ihnen. Früh müssen vom einen zum anderen die
mythischen Motive und Bilder gewandert, die Kräfte, Funktionen an alle verteilt, ähnliche
Wirkungen von allen ersehnt worden sein. Ihre Namen sind zahllos — wieviele Horos gibt es

!) Ich verweise statt vielem auf Erman, Religion2, S. 38 ff. Zimmermann, Die äg. Religion n. d. Darst. der Kirchen-
schriftsteller usw. 1912, 19 ff., der mir eben noch bekannt wird, hat meist nur ungesichtetes Material.

2) Ich sehe nicht, wie z. Β. das Durcheinander bei Plutarch, de Iside 13 ff., sich entwirren läßt.

3) Vgl. Lit. bei Erman, a. a. 0. S. 40, Anm. 20; Zimmermann a. a. 0. S. 27.

4) Die Spekulation hat sich des Themas bemächtigt. Am 9. Epiphi soll Isis empfangen haben; am 18. Phaophi soll sie
es Thoth mitgeteilt haben. Äg. Zeugnisse bei Zimmermann, a. a. 0. S. 26, Anm. 3 u. 4; vgl. dazu Plutarch, de Isid. 65,
wo sie am 6. Phaophi inne wird, daß sie schwanger ist — das übrige ist Kontamination zweier verschiedenen Lehren von
der Geburt um die Wintersonnenwende und die Frühlingsnachtgleiche.

5) S. vor. Anm.; ferner Erman, a. a. 0. S. 40, Zimmermann, a. a. 0. S. 27.

6) Die Mutter nährt das Kind: oben S.38, unten S. 63 f.; das Kind wird von Buto behütet, Erman, a. a. 0. S. 40; [Plu-
tarch 18: ihr Sohn weilt in Buto]. Gefahren: Skorpionstich, Erman, a. a. 0. S. 180; Zimmermann, a. a. 0. S. 28; Brand: Schaefer,
Äg. Zeitschr. 1898, 129 ff. ; Das Kind im Kasten: Schaefer, ebenda 1904, 83. Das Kind geht spielen und jagen wie ein Menschen-
kind, wird krank und bedarf der Hilfe der Dämonen: Erman, Äg. Zeitschr. 1895, 48 ff., Zaubersprüche für Mutter und Kind,
pass. — Osiris kommt zum Sohn, ihn zu rüsten, Plutarch, de Iside 19; vgl. unten S. 67. Kampf und Sieg: Zeugnisse bei
Erman, a. a. 0. S. 41; Zimmermann, a. a. 0. S. 30. Anderes: Reitzenstein, Hell. Wundererzählungen S. 104 ff.

7) Zeugnisse aus später Zeit bei Boll, Sitzb. Heid. Akad. 1910, 16, 43.
 
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