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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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1. Heft
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Rittland, Klaus: Die Ehen des Herrn von Brenkhusen, [1]
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Otto, Friedrich: Im Fliegerlager
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0022

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MODERNE KUNST.

MODERNE KUNST.

11



Im Fliegerlager.
Von Friedrich Otto.

Jamals, als ich zum ersten Fluge geladen war, war meine Begeisterung
noch groß. Um drei Uhr nachts stand ich auf. Um 3^ Uhr ging es
mit dem kleinen Auto des Fliegers, der mich zu einem Passagierfluge
abholte, durch die beängstigend ruhige Großstadt, und um 41/» Uhr donnerten von
den Schuppen in Johannisthal die schweren Verschließbretter nieder. Wie die
Tiere des Urwaldes den ersten Strahl der Morgensonne mit frohlockendem
Massengeschrei empfangen, so begrüßen die Johannisthaler die frühe Sonne mit
diesem Schuppentürsalut. Die Maschinenvögel werden sichtbar. In der schrägen
Sonne werden die Metallteile hell, sie zittern wie kleine Flammen. Ein paar
Monteure klettern auf dem großen Vogel herum, dessen Drahtsehnen leise fröstelnd
zu erschauern scheinen. Der Flieger zieht sich eine graue Wollmütze über den
Kopf, jemand tritt vorsichtig an den Propeller heran, der hart und häßlich aus-

[Nachdruck verboten.]

sieht, wenn er untätig ist, aber sich im Fluge wie eine Aureole um den Motor
legt, von dem er seine Kraft empfängt. Der Mann vor dem Motor reckt sich so
hoch er kann empor und faßt den schräg vorstehenden Propellerflügel an. Dann
zieht er ihn in einem bestimmten sachgemäßen Ruck herab, wobei er sofort zurück-
tritt. Denn wenn der Motor anspringt, so verwandelt sich der tote Holz- und
Metallvogel in ein lebendes Wesen, bereit, über Menschen hinweg seine Heimat auf-
zusuchen, den Himmel. Aber der Motor will noch nicht. Nur die Ventilnüstern
geben ein schnaufendes Geräusch von sich, wie es ein Seehund macht, der an
die Oberfläche des Meeres kommt und blitzschnell eine Ladung schlechter Luft
von sich stößt und eine Ladung guter in sich zieht. Der Flieger steht auf und
gießt den erkälteten Zylindern aus einer Spritzkanne je einen Schuß Benzin in den
Bauch. Dann tritt der Monteur wieder an den Propeller und Blitz und Donner, auf


„Ich wäre Ihnen sehr dankbar.“
Während sie miteinander die breite, zum Mainufer
führende, jetzt von Studenten sehr belebte Straße hinab-
schritten und dann links in die Seitengassen einbogen,
plauderte Fanny zutraulich über ihre Lebensverhältnisse.
Ihr Vater, der Bandagist Alois Wurzler, war vor drei-
viertel Jahren gestorben. Jetzt hatte ein Vetter das
Geschäft übernommen. Die Familie lebte aber noch in
der alten Wohnung, weil sich die Mutter von den ver-
trauten Räumen nicht trennen wollte. Die überflüssigen
Zimmer vermietete man an Studenten. Die beiden
jüngeren Brüder lebten auch noch mit der Mutter und
Schwester zusammen. Der eine war bei der Post, der andere Kommis
in einem Schnittwarengeschäft. Der älteste hatte eine Stellung in
Bamberg. „Der ist der Gescheidtste von uns; er ist Provisor in einer
Apotheke!“
Auf den Provisor schien sie sehr stolz zu sein. — Das Lädchen
existierte wirklich noch, nur daß der alte, freundlich überredungskräftige
Manasse durch einen jungen, ebenso überredungskräftigen Manasse er-
setzt war.
Brenkhusen fand unter dem alten Plunder ein sehr eigenartiges
kleines Weihwasserbecken im Rokokogeschmack und kaufte es.
„Für Sie selber?“ fragte Fanny.
Er überlegte. „Vielleicht -— für eine Freundin in Hannover, die
auch solche Sachen liebt.“
Fanny wurde neugierig. „Eine junge Freundin?“
Er lächelte. „Nicht mehr ganz jung.“
„Aber — ob sie sich darüber auch freuen wird? Ich tät’ mich nit
über so was Altes freuen; ’s ist ja schon ganz verbogen. Für Sachen
so zum Mitbringen, wissen Sie, da könnt’ ich Ihnen einen Laden raten,
in der Theaterstraß’ — aber goldig sind die Sächelchen da!“
Die Theaterstraße war ziemlich weit. Also bat er sie, ob sie ihn
nicht hinführen möchte. Sie überlegte.
„Ja, ich möcht’ schon, aber“ plötzlich schienen ihr Bedenken zu
kommen; ein paar junge Mädchen, die sie gegrüßt, hatten sich lächelnd
nach ihr umgeschaut, „w'issen Sie, die Leut’ sind hier so dumm, gleich
wird getratscht. Ach was, ich kehr’ mich nit dran. Mit Ihnen kann
ich schon auf der Straße gehen, gelt, da kann keiner was bei finden?“
Er lächelte bittersüß. Eine Anspielung auf seine vorgeschrittenen
Jahre!?
Natürlich war der Laden in der Theaterstraße so, wie er ihn sich
vorgestellt hatte. Eine kleine Scheußlichkeit neben der andern: gläserne
Briefbeschwerer mit dem Würzburger Schloß, wacklige geschnitzte Uhr-
ständer und Emailbroschen, auf denen „Andenken an Würzburg“ stand.
Aber Fanny war entzückt.
Er kaufte, was sie besonders schön fand. Dann war es hohe Zeit
zur Heimkehr geworden.
Bewundernd ruhten seine Blicke auf der rüstig neben ihm Schreiten-
den. Wie wundervoll war sie gewachsen! Und wie schön sie ging, leicht,
federnd und würdevoll zugleich. Nie hatte er noch eine Gräfin gefunden,
die sich so vornehm trug wie dieses Bürgerkind. [Fortsetzung folgt]

letzte Reservewinkelchen hielt er sich noch frei. — Er sah jetzt auf seine
Uhr — das Bekanntwerden war ihm doch fast ein bißchen zu rasch
gegangen — und meinte, der Weg zu seinem Hotel am Mainquai wäre
doch ziemlich weit und die Mittagsstunde nahe; der Doktor schlug harm-
los vor, daß man sich ja heute Abend wiedertreffen könne, „im Platzschen
Garten, da ist Konzert!“
Im ersten Moment wollte Brenkhusen Ausflüchte machen, da sah er
in die freundlich fragenden Augen des schönen Fanneri und sagte:
„Gern“.
Beim Abschiede wurden herzhafte Händedrücke gewechselt. — —
Als Brenkhusen durch die krummwinkligen Straßen, die ihm in
dieser Stadt so lieb und vertraut waren, seinem Gasthause am Mainquai
zuschritt, war er in wunderlich verträumter Stimmung, wie losgelöst von
der festen Erde, losgelöst von der Gegenwart. —
„Der Steinwein hat’s in sich“, sagte er leise vor sich hin. „Ja, dieser
alte. Feuerwein, der wirkt ganz sonderbar auf das Menschengemüt.“
Im Halbtraume, beim Nachmittagsschläfchen, kam eine Sehnsucht
über Brenkhusen, das „Ivättchen“ wieder aufzusuchen. Ob es noch lebte?
Warum nicht? Aber als er die Augen aufschlug, erschrak er über den
törichten Gedanken. Um Gotteswillen, nein. Das Kättchen war sicher-
lich eine schwer stampfende Maschine geworden, eine Bürgersfrau von
der derbsten Sorte. — Eigentlich hatte er sich ja auch eben im Halb-
schlummer gar nicht nach dem drallen Jugendschätzchen gesehnt — —
ein schönes, stolzes Profil hatte er vor sich gesehen. Er freute sich
doch auf heute Abend.
Den Nachmittag benutzte er zu einem behaglichen Schlendergange
durch die innere Stadt. Er suchte die Bauten auf, die von der mittel-
alterlichen Herrlichkeit der Bischofsstadt erzählen: das alte Rathaus mit
dem Eckardsturm, den Dom mit der Fülle seiner Bischofsdenkmäler, mit
Riemenschneiders Kruzifix und dem wundervollen Taufstein aus dem
13. Jahrhundert; weiter ging er durch den schönen Kreuzgang und trat


in das Neumünster, die älteste Kirche
Würzburgs, in deren Gärtchen Walther
von der Vogelweide begraben sein soll.
Er glaubte, die Einzelheiten längst
vergessen zu haben, und nun lebte doch
alles wieder auf. Schon halb verwischte,
von der Zeit verschleierte Eindrücke
traten wieder in lebendigen Farben her-
vor; er spürte den Geschmack der
einst genossenen Freuden wieder, jener
Freuden, die er mit den wenigsten seiner
Korpsbrüder und guten Kameraden hatte
teilen können, und die doch beinahe
stärker auf ihn gewirkt hatten, als das
eigentlich studentische Leben; — was
war er damals für ein stark empfinden-
der, aufnahmefähiger Junge gewesen,
eine Phonographenplatte sein Gemüt; wie gut sich die einst aufge-
nommenen Töne erhalten hatten! Heute wurde ihm klar, daß hier in
dieser Stadt etwas in ihm geboren war, das seither einen bleibenden
Bestandteil seines Wesens gebildet, das sein Leben unendlich bereichert
hatte: die Freude am Alten, die Liebe zu den Resten vergangener Kultur,
das Verständnis für die Poesie des Einst.
— — Vom Neumünster wandte er sich wieder der Domstraße zu.
Irgendwo in der Nähe mußte das Antiquitätenlädchen sein, in dem er
damals so manchen kleinen Schatz erstanden hatte; ob er sich wieder
dort hinfand? Da fiel sein Blick auf ein Schaufenster: „Alois Wurzler,
Bandagen, Gummiwaren und chirurgische Instrumente“ stand auf dem
Schild. Und plötzlich fiel es Brenkhusen ein, daß das schöne Mädchen
heute früh die Domstraße erwähnt hatte. Sie wohnte in der Domstraße.
Hier wohnten ja nur Geschäftsleute. Ob sie mit dem Bandagisten-

Paul Halke: Im Fliegerlager. Im Luftraum.
geduld kam über ihn, als ob er noch das verliebte Studentchen
wäre vom Jahre—ja, wie lange war es doch her? Sechsund-
zwanzig Jahre! sagte er halblaut vor sich hin, als ob er mit
dieser Zahl die Ungeduld bannen könnte.
Aber nun ließ ihn die Vorstellung nicht wieder los.
Er trat vor den Aushängekasten eines Photographen. Wer so auf-
fallend hübsch ist, läßt sich gern photographieren. Vielleicht fard er sie
unter den vielen Würzburger Schönheiten, die hier, in koketter Auf-
machung, nebeneinander hingen.
Aber er suchte vergebens.
Da schlug eine helle Stimme an sein Ohr: „So vertieft in die hübschen
Mädchen, Herr von Brenkhusen?“
Er blickte auf.
Sie stand vor ihm. Seine sehnsüchtigen Gedanken hatten sie her-
beigezogen. Er würde es nie zugegeben haben, aber er glaubte an so etwas.
Sein Aufleuchten verriet ihr die Freude über das Wiedersehen.
Zuerst hatte sie geschwankt, ob es nicht zu keck wäre, ihn anzu-
reden. Jetzt wurde sie ganz sicher. „Gelt, Sie wollen gern wissen, wer
die große Blonde ist? Das ist die Fräul’n Balzer vom Stadttheater. Und
die, wo so herzig lacht, das ist die Fräul’n Scheel, die
Tochter vom Professor Scheel. Fragen Sie mich nur,
wenn Sie eine wissen wollen, ich kenn’ sie alle.“
Er ließ sich geduldig die Schönheiten erklären, die
ihn ganz und gar nicht interessierten, und sann dabei
über ein Mittel nach, das Zu-
sammentreffen zu verlängern.
Er fragte Fräulein Wurzler

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nach dem Altertumshändler, den
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er vor sechsundzwanzig Jahren mit
seiner Kundschaft beehrt hatte,
ob der kleine Laden wohl noch
existierte. „ Manasse hieß der
Mann, aber die Straße weiß ich
nicht mehr genau. Gibt es nicht
eine Johannitergasse hier in der
Nähe?“ Er tat sehr hilflos fremd
und erreichte seinen Zweck.
„Ich glaub’ schon, in der Johannitergasse ist so ein Lädchen. Soll
ich Sie hinführen?“ meinte Fräulein Wurzler.

geschähe des Alois V urzlcr
zusammenhing?
Der wenig schöne Name war
mit einem Male wie ein derber
Schwamm über Brenkhusens
Altertümlcrträumereien gefahren und hatte
die zarten Farben weggewischt. Er stand
wieder mitten in der Gegenwart und freute
sich, als die Turmuhr durch sechs volltönende
Schläge ihm meldete, daß der Abend nicht
mehr fern war. — Brenkhusen mußte über
sich selber lächeln. Wahrhaftig, eine Un-

Paul Halke: Im Fliegerlager.
Ein Sonntag in Johannisthal.
 
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