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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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1. Heft
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Otto, Friedrich: Im Fliegerlager
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0025

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MODERNE KUNST.

Boe übers Feld. Ein paar Apparate schwanken mehr, als es ihren Insassen
recht ist, und einige brechen die Morgenarbeit ab. Es wird windig. Das ist die
Zeit, wo die Sturmschwalben überhaupt erst hervorkommen. Sie imponieren
den jungen Fliegern gewaltig und verwirren deren Grundsätze. Dann gegen acht
Uhr schläft die Fliegerei meist ein. Je schneller und heftiger der Wind auf-
springt, um so eher. Um so gewaltiger ist der Eindruck, wenn bei einem
Wetter, wo man keinen fliegenden Hund hinausjagen würde, plötzlich von irgend-
woher aus der weiten Welt ein berühmter Uberlandflieger sich auf dem sturm-
gepeitschten Flugfeld niederläßt. Doch solche Ereignisse sind ja immer selten,
und wir warten denn auch nicht auf sie, sondern begeben uns mit den Fliegern
in das Fliegerkaffee oder Fliegerrestaurant im nahen Johannisthal. Viele der
Flieger, die meisten haben nicht Frau und Kind, sind oft sogar noch selber halbe
Kinder und daher gern gesellig beisammen, da sie nicht bei den Eltern wohnen
können. Das Restaurant ist ein Stück Heimat für sie. Die fast ständige Herberge.
Die Wände sind ein kleines Museum. Voller wehmütiger und voller schöner
Erinnerungen. Ein Stückchen Holz von dieser oder jener Maschine, die einem
lieben Kameraden das Leben kostete. Seltener sind schon halb vergilbte Photo-

druck und Lärm. Sie hindern den ruhigen Genuß an der Betrachtung der Erdei
solange sie noch als auffallende Erscheinungen empfunden werden. Anderseits
beruhigten sie auch, denn sie sind die Bürgen, daß die Kraft, die uns trägt,
noch wirkt. Daß der Schwindel wider alles Erwarten ausbleibt, hat, soweit ich
darin eigene Erfahrungen besitze oder gesammelt habe, hauptsächlich drei Gründe.
Erstens sitzt man in einer modernen Karosserie wie in einer oben offenen Tonne
und braucht gar nicht nach unten zu sehen, wenn man nicht will. Da aber die
Schwindelwirkung durch senkrechte Linien erzeugt wird, kann für einen, der
nicht hinabsieht, auch diese Wirkung nicht eintreten. Zweitens sind gar keine
Senkrechten da, weil die Erde mit ihren Senkrechten für ein hochfliegendes
Flugzeug völlig in nichts versinkt. Fliegt man aber nahe über der Erde, so daß
Senkrechte wirken könnten, so verhindert die Schnelligkeit, daß diese Linien
dem Flieger als solche sichtbar werden können. Nur unter ganz ungünstigen
Umständen wäre Schwindel denkbar. So wurde Latham einmal vom Schwindel
gepackt, als er den Eiffelturm umflog. Da Eiffeltürme aber sehr selten sind,
kann jeder Passagier sicher sein, daß er beim Fliegen völlig schwindelfrei bleibt.
Seine großen Tage hat Johannisthal während der Flugwochen. Dann kann

j








graphien. Plakate von Fernflügen, die der
Geschichte angehören. Es ist recht inter-
essant in dem Fliegerrestaurant.
Eine nicht geringe Rolle spielt auf dem
Flugfeld der Passagier. Am drolligsten ist
wohl der, der wochenlang alle Tage mit aufs
Flugfeld kommt, weder Zeit noch Kosten
scheut, um einmal mitfliegen zu können und
dann, wenn endlich der große Moment ge-
kommen ist, sich schleunigst vom Felde
begibt. Doch Scherz beiseite. Viele, viele
möchten heute gern einmal mitfliegen, um
dies Gefühl kennen zu lernen. Es ist deshalb vielleicht nicht uninteressant, wenn
ich aus eigner Erfahrung kurz mitteile, wie ich meinen ersten Flug als Passagier
mit Direktor Hellmuth Ilirth machte. Auf dem Flugplatz bestieg er sofort seine
für die Armee bestimmte Taube und unternahm zunächst einen Alleinflug, weil er
nie einen Passagier mitnimmt, wenn er nicht erst einmal eine Runde allein mit
dem Apparat geflogen ist. Unterdessen kleidete mich der Flieger Keidel ein.
Ich bekam einen Fliegerhelm auf den Kopf gestülpt, der mit einer Art Schuppen-
kette unter dem Kinn, befestigt wurde. Dazu einen steppdeckenartigen Shawl,
der wie eine Boa constrictor um meinen Ilals gewickelt wurde. In diesem
Theateraufzuge mußte ich bei der Mordshitze vom Schuppen bis zum Startplatz
rennen, wo Herr Ilirth unterdessen heruntergegangen war und auf mich wartete.
Atemlos und ohne lange Zeit zur Aufregung zu haben, kletterte ich in die ziemlich
hohe Maschine empor, versank dann in der Karosserie wie ein Einsiedlerkrebs
in seine Muschel und harrte der Dinge. Der Motor sprang an. Es war schon
ziemlich dunkel. Dicht vor mir jachterten die Feuerzungen der Auspuffgase
aus. den Rohrstutzen. Ohrenbetäubend, nervenerregend, aber auch das ganze
Denken in Anspruch nehmend, war der Lärm. Ich hatte weder Zeit noch Raum
für ängstliche Gefühle. Das Davonstürmen nach dem Loslassen war herrlich,
die Trennung von der Erde merkte ich nur am Versinken des Bodens. Keine
Spur von Schwindel, der in fast allen Fällen selbst bei denen ausbleibt, die nicht
vom Balkon eines Hauses herabsehen können ohne Schwindel oder Wahnvor-
stellungen zu bekommen. Gewöhnen mußte ich mich nur an den starken Luft-

Paul Halke: Im Fliegerlager.
Der Motor tritt in Tätigkeit.
man die so seltsam wirkenden Silhouetten unserer Flieger sehen. Sturzkappe
und Schutzbrille, dazu der Anzug aus einem Stück und der breite Shawl; das
ist die beliebteste Fliegeruniform. Beliebt nicht nur bei den Fliegern, sondern
vor allem auch bei den Damen. Wie ein Magnet wirkt eine moderne Flieger-
figur auf die Blicke der Jugend und der Damen. Die Jugend sieht in dem
Flieger einen Helden, auch die Frauen bewundern seinen Mut. Skeptiker unter
den Fliegern wie unter den Nichtfliegern sagen jedoch, die Fliegerei sei ein
Beruf wie jeder andere, bloß ein bißchen gefährlicher. Einem tüchtigen Über-
landflieger aber muß man doch ganz besondere Eigenschaften zuschreiben: Mut,
Konzentrationsgabe, schnellste Geistesgegenwart, viele Sach- und Fachkenntnisse.
Er muß also in vieler Plinsicht weit über den Durchschnittsmenschen veranlagt
sein. Doch zurück zum Flugfeld! Während der Flugwochen von Johannisthal
sieht man auf dem grünen Rasen vor der großen Tribüne wirklich schon recht
hübsche Bilder gesellschaftlichen Lebens und Treibens. Auch an stimmungs-
voller Eigenart fehlt es nicht. Ein Megaphon vom Zielrichterhaus kündet mit
überirdischer Kraft: „Achtung, links oben in den Wolken über der Zeppelin-
halle wird ein Pfeildoppeldecker sichtbar.“ — Tausend Köpfe drehen sich in
die Richtung, und richtig, noch halb in grauen Wolkenfetzen hängend sieht
man einen Überlandflieger kommen. Jetzt erspäht er das Feld und stürzt
in steilem Gleitflug herab aus der Höhe auf die ihm entgegenjubelnde Erde.
Er hat eine weite Strecke mit viel größerer Geschwindigkeit zurückgelegt,
als sie dem schnellsten Schnellzuge möglich ist.
 
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