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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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4. Heft
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Rittland, Klaus: Die Ehen des Herrn des Brenkhusen, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0122

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48

MODERNE KUNST.

Spaziergang anzutreten, als der Portier ihm die Karte reichte, und das
Herz klopfte ihm wie einem Primaner, der sich am Postschalter sein
erstes Billet-doux „unter Chiffre A. E.“ äbholt, als er die Unterschrift
las. Fanny bedankte sich für die schöne Ansichtskarte und bedauerte
in wohlgesetzten Worten, daß er an der Partie nach Veitshöchheim nicht
teilgenommen hatte. Der Park würde ihm sicher gefallen haben, da alles
dort schon in Blüte stünde. Ganz unten, sehr viel kleiner gekritzelt,
standen noch die Worte: „Schade, ich hatte mich so sehr auf den Nach-
mittag gefreut!“ Das „sehr“ war unterstrichen. Und diese paar Worte
wehten Curt Brenkhusen an wie ein lieber, unbeschreiblich süßer, warmer
Hauch. Das unterstrichene „sehr“ wirkte wie ein Seufzer. Ein Wörtchen
von Zaubergewalt.
Deutlich sah er das Bild des schönen Mädchens vor sich, als ob sie hier
neben ihm schritte an den Ufern des leicht bewegten, blauen Lago Maggiore.
Er ging seinen Weg im Traume, halb unbewußt.
Im Traume folgte er dem Zuge der Menge, und auf einmal befand
er sich, ohne daß er eigentlich eine Wasserfahrt beabsichtigt hatte, an
Bord eines kleinen Dampfers, der nach dem südlichen Ende des Sees
fuhr. Eine italienische Sängerbande war unter den Passagieren, darunter
ein Tenor von wunderbarem Klangreiz, und die alten verliebten, heiß-
blütigen Melodien — Santa Lucia, Ti voglio ben’ assai, La Sorrentina —
zogen mit der linden Abendluft über die Wellen hin, zu den bewaldeten
Ufern. Wohlbekannte, oft vernommene Lieder — und doch war es
Brenkhusen, als ob er sie zum ersten Male hörte.
Wie ein Strom feuriger, alles fortreißender Lebenslust ergossen sich
diese Töne in seine Seele, sie weckten jeden Nerv in ihm, sie drangen
in sein Blut, und ein Lachen klang durch sein Gemüt, durch seine Sinne,
ein Lachen übermütiger Daseinswonne.
Starke, fröhliche Sicherheit ergriff ihn, jubelnde Zuversicht. —
„Schrecklich abjedroschene Melodien, wie?“ sagte ein jovialer Berliner,
der neben ihm auf der Bank saß, „ich hab’ sie schon zum Halse 'raus,
so oft wie ich in Italien jewesen bin, aber es jiebt ja noch immer naive
Jemüter, die janz weg sind, wenn sie die „Santa Lucia“ hören. Na ja,
so die verliebten Leutchen“ —
Er zeigte schmunzelnd auf ein junges Paar, das, zärtlich aneinander-
geschmiegt, Hand in Hand, mit verzückten Augen am Ende des Dampfers
saß. Ein zweites Pärchen, gegenüber, war noch weit etwas ungenierter;
er hielt den Arm um ihren Leib geschlungen, sie schmiegte den Kopf
an seine Schulter.
Und der joviale Berliner zwinkerte Brenkhusen zu, als ob er sagen
wollte: „So ist nun das junge Volk. Wir reifen Männer lächeln
darüber, wie?“
Er ahnte nicht, wie jung sein Nachbar war, ganz liebeverlangender,
leidenschaftlich sehnender Jüngling. „Sie sind die einzig Weisen auf
dieser unvollkommenen Erde,“ dachte Brenkhusen und erhob sich, um,
über die Schiffsbrüstung gebeugt, den Blick in die aufschäumende, hell
saphirblaue Flut zu versenken, „und wenn sie die dümmsten Streiche
gemacht haben und ihr Liebesbund vielleicht eine große Torheit ist vor
der Welt. Sie sind dennoch die einzig Weisen. Denn sie reißen den
Becher des Lebens an sich und trinken das Glück, und alle Rätsel, alle
Nöte und grauen Angstgespenster des Daseins sinken zusammen wie
Zunder, wenn die große Flamme auflodert, die höchste Steigerung des
Lebens, in der es hinausgreift über die Schranken der Einzelexistenz —
die Flamme der Schöpferkraft“
„Venite all 'agile“ — „Barchetta mia!“
sang der Tenor, lyrisch schmelzend, und das braune Mädel mit der
Geige sog sich fest mit seinen Glutaugen an der Gestalt des strammen,
zerlumpten Burschen.
Am nächsten Morgen reiste Brenkhusen ab. Er hatte noch keinen
Entschluß gefaßt. Nur Wiedersehen mußte er sie, nur einmal noch sie
Wiedersehen.
V.
Stundenlang war er gestern die Domstraße auf und ab geschlendert,
und an der Musikschule vorbei und über die Juliuspromenade. Er
hoffte auf einen freundlichen Zufall, aber der stellte sich nicht ein.
Und er hätte Fanny so gern zufällig wiedergetroffen — — unver-
abredet.

Was sollte er nun tun? Besuch machen? Ja, ob man im Hause
Wurzler überhaupt gewohnt war, Besuche zu empfangen — so in der
gewöhnlichen Weise?
Aber es blieb ja nichts anderes übrig.
Er stieg die steilen, dunklen Treppen des alten Bürgerhauses empor.
Ein kleines, nicht sehr sauberes Dienstmädchen öffnete ihm die Tür, lief
gleich darauf kichernd fort und kam dann ohne die schmutzige Schürze
wieder. Mit feuerrotem Kopf, äußerst verlegen, starrte sie den Fremden
an, der nach den beiden Damen fragte. Die Frau Wurzler sei noch
nicht vom Markte zurück. „Und Fräulein Fanny?“ „Ja, die ist weg
— schon vor einer Stund’ — mit dene beiden Fräulein Müllers, weil
doch heute die Singstunde ausgefallen ist; ich mein’ halt, sie sind zum
Käppeli ’nauf.“
Die Kleine schien es für ihre Pflicht zu halten, ihre Damen ausführ-
lich zu entschuldigen.
Und als Brenkhusen ihr seine Karten reichte, drehte sie die beiden
zierlichen Blättchen bewundernd zwischen den Fingern herum.
— — Das Käppeli! Natürlicher konnte man sich ja gar nicht be-
gegnen. Zum Käppeli ging jeder Fremde.
Eilenden Schrittes wandte Brenkhusen sich dem andern Mainufer zu,
er schritt an der hochgelegenen Zitadelle vorüber und an der alten
Burkarduskirche, immer nahe am Flußufer hin, und stieg dann langsamer
— denn auf diesem Wege konnte man sich kaum mehr verfehlen —
den Nikolausberg hinan, auf dem das Wallfahrtskirchlein mit dem Kapu-
zinerhospiz steht, das vielbesuchte „Käppeli“.
Ein wunderschöner Weg. Zur Linken das blühende Maintal, zur
Rechten die sonnengesegneten Höhen, die die edlen Weine, den Stein-
wein und Leisten, tragen.
Brenkhusen stand manchmal an den Leidensstationen still, die Bild-
werke zu betrachten. Er wollte seine Aufmerksamkeit auf irgendetwas
ablenken. Er war ein nervöser Mensch, und die Spannung quälte ihn.
Fast wie ein körperliches Leiden empfand er das Übermaß dieses leiden-
schaftlichen Entgegenharrens.
Jetzt stand er vor einer der letzten Stationen, in einiger Entfernung,
um die betende Bäuerin nicht zu belästigen, die da kniete, zwischen
ihrem ungeheuren Marktkorb und ihrem kleinen Buben. Der Bub hatte
ein Gittergestell mit gackernden Hühnern, neben sich stehen und schien
seine Aufmerksamkeit nur in sehr geringem Maße dem Gebetbüchlein zu-
zuwenden, das er in den sonnengebräunten, schmutzigen Händchen hielt.
Er hatte aber eine strenge Mutter.
Brenkhusen hörte sie eifrig summen.
„Maria, du Gebenedeiete unter den Weibern — — — Maria, bitt’
für uns — —“, so drang es zu dem Lauschenden herüber. Und da-
zwischen: „Schorschl, schau ins Buch und nit auf die Hühner — —
heilige Schmerzensmutter — — Schorschl, wisch’ dir die Nase!“ Ein
kräftiger Rippenstoß; Schorschl schien aber die mütterlichen Ermahnungen
vornehm zu ignorieren.
„Hohe Plimmelskönigin — reine Magd — Saubub, drecketer, woannst
jetzt nit aufhörst zu schnaufen —“
Und ehe der unbotmäßige Schorschl und der teilnehmende Zuhörer
es sich versahen — klatsch! unterbrach eine schallende Ohrfeige das
fromme Gesumme.
Brenkhusen ging lachend weiter. Die kleine Szene hatte ihn er-
frischt, hatte seine zerquälten Nerven beruhigt.
Schneller stieg er jetzt empor. Nun mußte er das Käppeli bald
erreicht haben, — eine neue Station, wohl die letzte?
Da hielt er den Schritt an. Er fühlte, wie ihm das Blut ins Gesicht
stieg.
Drei Mädchen kamen ihm entgegen, zwei Blonde in buntgeblümten
Sommergewändern und in der Mitte eine Große, Schwarzgekleidete.
Tiefes Rot ergoß sich über das schöne, junge Gesicht. Und wie ein
Jauchzen klang ihr Gruß.
„Sie? Ach Sie! Ach, daß Sie wieder da sind!“ Strahlend reichte
sie ihm beide Hände entgegen. „Geht’s nur weiter,“ rief sie dann den
Freundinnen zu, „ich komm' gleich nach.“
Die Beiden entfernten sich grüßend, mit schlauem Lächeln, als ob
sie sagen wollten: „Da können wir lange warten!“
 
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