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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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Buss, Georg: Spanische Malerei der Gegenwart
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0128

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54

MODERNE KUNST.

Augen schloß, war er in Deutschland noch kaum gekannt. Kaum zwanzig Jahre
sind es her, daß sein Name und seine Werke bei uns gerühmt wurden. Er ist
derjenige, der in der Zeit des Verfalls die spanische Eigenart noch hochgehalten
hat. Die nach ihm gekommen sind, blieben schwankende Erscheinungen, auch
der impressionistisch angehauchte farbenfreudige Fortuny, der um so mehr das
eigentlich spanische Element vermissen läßt, als er von ausgesprochener Vor-
liebe für den Orient und das französische Rokoko befangen war.
Fortuny wurde in Deutschland ebenfalls erst lange nach seinem Tode ge-
würdigt. Überhaupt blieb hier die spanische Kunst des 19. Jahrhunderts bis
vor wenigen Jahrzehnten ein Fremdling. Alfred Woltmann fertigte sie gelegentlich
der Wiener Weltausstellung 1873 mit dreizehn Zeilen ab. „Über die spanische
Malerei zu sprechen, fühle ich mich nicht imstande“, schreibt er. „Der Raum,
welcher dieser Schule angewiesen war, einer der Eckpavillons mit Kuppellicht,
war von schornsteinartigem Format und so dunkel, daß man höchstens bei ge-
öffneten Türen durch das von unten einfallende Licht etwas erkennen konnte.
Unter den Malern scheuen mehrere den größten Maßstab nicht; so Mercada,
welcher den Tod des heiligen Franz von Assisi darstellt und dazu Ghirlandajos
berühmtes Freskobild benutzt hat, und Dominguez, dessen Tod des Seneca ein
ernstes Studium, gute französische Schule, etwas von Davids akademischem Stil,
aber kräftige Farbe und realistische Energie zeigt. Ein Genrebild von Pellicer,
welches das abendliche Straßenleben in Madrid charakteristisch schildert, ein
stattliches, in der Farbe prunkvolles Damenporträt von Navarrete, ein Mädchen
in Volkstracht von Rodigruez fielen mir noch am meisten in die Augen.“ Große
Bewunderung gibt sich in diesen wenigen Worten nicht kund — sie klingen
kalt und gleichgültig.
Berlin hatte noch weniger Gelegenheit, sich über neuere spanische Kunst
ein Urteil zu bilden. München besaß wenigstens einen kundigen Vermittler im
Grafen Schack. Der Mangel an großen internationalen Kunstausstellungen machte
sich im höchsten Grade fühlbar, boten doch die wenigen Kunstsalons keinen
genügenden Ersatz. Der kleine Sachsesche Salon war lange Zeit die einzige
Stätte, wo hin und wieder ein fremdes Bild zu sehen war. Flier war es, wo
die Berliner die beiden Abundantienbilder Makarts kennen lernten — die ganze
Elite der Stadt sprach davon. Aber spanische Bilder? Ehrlich gestanden, kein
Hahn krähte nach ihnen.
Das wurde anders, als Berlin im Jahre 1886 und München zwei Jahre
später die Künstler der ganzen Welt zu Gaste luden. Der Bann der Isolierung
war gebrochen. Auch Spanier erschienen. In der Folgezeit mehrte sich ihre
Zahl — an der Berliner Ausstellung von 1896 nahmen schon mehr als sechzig
Spanier mit etwa hundert Bildern teil. Sie wurden reichlich mit ehrenvollen
Erwähnungen und goldenen Medaillen bedacht und zwei von ihren Bildern:
Sorollas „Valencianischer Fischer“ und Morenos „Ein Abenteuer aus Gil Blas“
sogar der Nationalgalerie einverleibt. Einige Jahre vorher hatte die Galerie
schon den großen Alvarez: „Philipp II. auf seinem Felsensitz“, angekauft. Fleute
würde man mit dem Spenden solcher Ehrungen vorsichtiger sein, denn von
nationalem Charakter, großer Originalität und außergewöhnlicher Bedeutung war
in den spanischen Bildern nicht viel zu finden — die meisten betonten das
Novellistische, schwelgten in der realistischen Wiedergabe des Stofflichen, ver-
rieten den Einfluß von Paris und Rom, ließen aber das Gepräge ihrer wahren
Heimat stark vermissen. Die Villegas, Gallegos, Pradilla, die damals über Ge-
bühr gefeiert und Zugstücke für die Kunstsalons wurden, haben heute ihre
Anziehungskraft verloren, denn die spanische Kunst hat sich eines Besseren
besonnen: sie sucht die stolze altkastilische Devise: „Nada de estrangeria,“
nichts vom Auslande, wieder wahr zu machen.
Die große römische Ausstellung 1911, die Ausstellungen bei Schulte und
noch zuletzt die Ausstellung in München haben bewiesen, daß die spanische
Malerei sich im Beginn einer neuen Blüte befindet. In Rom fesselten in hohem
Maße die Sonderausstellungen von Ignazio Zuloaga und Hermen Anglada Cama-
rasa. Die ernste, fast düstere Stimmung, der Zug zum Monumentalen, die mehr
freskenartige Behandlung in den Bildern Zuloagas, soweit es sich um solche aus
der zweiten Schaffensperiode des Künstlers handelt, lassen erkennen, daß die
herbe Strenge der alten spanischen Meister, wie sie insbesondere El Greco
eigentümlich war, Einfluß gewonnen hat. Wenn zugunsten der breitflächigen
Behandlung auf die plastische Wirkung und den einschmeichelnden Reiz der
Plelldunkelmalerei verzichtet ist, so entschädigen dafür die Größe der Auffassung
und die Einfachheit und Klarheit der Komposition — Grundbedingungen einer
großen dekorativen Kunst. Wie Zuloaga die fast ans Primitive streifende und
doch unendlich fein berechnete Technik mit seinen modernen Sujets, in denen
es an Toreros und anderen Typen des spanischen Lebens nicht fehlt, harmonisch
zu verbinden weiß, ist im höchsten Grade interessant. Anders sein ehemaliger
Schüler Anglada Camarasa — ein farbenglänzender Zauberkünstler, dessen kolo-
ristisches Raffinement die lockenden Zigeunerinnen und Andalusierinnen noch
raffinierter erscheinen läßt. Er setzt sich über die Physiologie der Farben
geradezu hohnlachend hinweg und bringt Verbindungen zustande, die an Kühn-
heit kaum ihresgleichen finden und doch die prächtigsten Akkorde ergeben.
Natürlich spielen Zeichnung und Formen in solchen koloristischen Orgien kaum
eine Rolle —■ die Farbe ist eben alles.
Von beiden rühmenswerten Meistern verdient Zuloaga den Vorzug, weil er
die Wurzeln seiner Kunst tiefer in den Boden nationaler Überlieferung gesenkt
hat. Und noch verheißungsvoller für die fernere Blüte einer rein spanischen

Kunst geben sich zwei andere Maler, Valentin und Ramon de Zubiaurre, Brüder,
denen eine mitleidlose Natur die Gabe der Sprache und des Gehörs versagt hat.
Sie reden mit der ganzen Tiefe ihres Empfindens in glühenden Farben und
geben den Vorzug schlichten Motiven, solchen aus dem bäuerlichen Leben und
den gewöhnlichen Volkskreisen. Valentins „Bürgermeister von Torrecaballeros“
ist für die alte strenge Art, in der die beiden ihre Gestalten zeichnen und ein-
fach nebeneinander stellen, charakteristisch. Die Tracht der Männer mit den
talarähnlichen braunen Mänteln und den großen schwarzen Filzhüten verstärkt
das alte Gepräge. Unvermittelt sind die Farben hart nebeneinandergesetzt. Blau
und Rot bilden im Verein mit dem Braun und Schwarz das Leitmotiv in diesem
Konzert. Scharf heben sich die dunklen Gestalten der Männer von dem hellen
blaugrünen Ton der Wand ab. Im ersten Moment frappiert das Bild, aber seine
koloristischen Schönheiten, die Feinheit der psychologischen Schilderung und die
ehrliche Weise im ganzen Vortrage sichern ihm den Sieg. Aus den Gestalten
reden der Stolz und die ehrenwerte Gesinnung eines fest an altem Brauch
hängenden Bauerntums. Mit Recht ist an den Bauer Krespo in Calderons
„Richter von Zalamea“ erinnert worden — seine Tüchtigkeit und sein Freimut
reden auch aus den bäuerlichen Typen Valentin Zubiaurres. Noch fesselnder
sind gewisse Bilder Ramons, wie er denn seinem Bruder in der Zeichnung und
im farbigem Zusammenstimmen der Komposition überlegen ist. Aus der wach-
senden Gruppe junger Künstler, die das Typische der nationalen Eigenart scharf
zu erfassen und in schlichtem Vortrage darzustellen suchen, treten die beiden
Zubiaurre als die bemerkenswertesten und konsequentesten hervor. Ein Ver-
gleich zwischen Valentins „Bürgermeister von Torrecaballeros“ und Antonio
Fabres „Frühlingslied“, einer an und für sich recht liebenswürdigen Parkidylle
aus der Barockzeit, läßt die tiefe Kluft zwischen neuer und alter Kunstweise
genügend erkennen. Wo die frische und originale Quelle fließt und die Hoff-
nung weckt, daß der spanischen Kunst ein neuer dekorativer Stil erstehe, be-
darf wohl keines Hinweises.
Wie sich die Talente regen, beweisen auch die Bilder von Carlos Vazquez,
Parlade de Aquiar, Josö Pinazo Martinez, Eduardo Chicharro, Perico Ribera und
Hubert Denis Etcheverry. In den „Flitterwochen im Tale von Anso“, einem
reich gesegneten und durch Naturschönheiten ausgezeichneten Fleckchen Erde,
bietet Vazquez nicht nur ein wahres Kabinettstück fein gestimmten Kolorits,
sondern auch eine hochinteressante kostümliche Schilderung. Die Kleidung der
ernstblickenden Eheleute besitzt starke Anklänge an die spanische Tracht aus
den Tagen Philipps III., wie denn in vielen Gegenden Spaniens bei festlichen
Anlässen gerade auf die Wahrung des Althergebrachten im Kostümlichen höchster
Wert gelegt wird. In einem anderen Bilde, betitelt „Die Rache der Zigeunerin“,
hat Vazquez mit großem Wurf und kühner Phantasie ein packendes Sensations-
bild geschaffen, ln weiter Ferne blaue Bergzüge, näher dem Beschauer schloß-
artige Bauten und Gärten in sommerlich-heiterer Pracht und vorn groß und
dämonisch die dunkle Gestalt der fliehenden Zigeunerin mit einem Säugling in
den Armen — alles mit breiten, kraftvollen Pinselstrichen hingesetzt. Die Phan-
tasie des Beschauers ergeht sich in grausigen Schlüssen. Offenbar ein Kindes-
raub -. Und der Grund der furchtbaren Rache? Wahrscheinlich das alte
Lied — betrogene Liebe! Echt spanische Luft weht aus dem Bilde, denn
Zigeuner und Zigeunerinnen gehören zum spanischen Leben —- Spanien ist
ja das Vaterland der Carmen, das gelobte Land der Gitanos, die sich nirgends
so wohl fühlen und nirgends so feurig tanzen als in Andalusien und Kata-
lonien. Das andere althergebrachte Motiv, den Torero in seiner Eleganz, Ritter-
lichkeit und todesverachtenden Kühnheit, behandelt Parlade de Aquiar. Aber
die Kühnheit des furchtlosen Kämpen gilt dieses Mal nicht dem Stier, son-
dern dem Herzen einer anmutigen Frau, die im Beisein ihrer Begleiterin nicht
ohne Freude sein „Geständnis“ entgegennimmt. Die gedämpfte Farbenpracht
und der Reiz der Kostüme, die malerisch ums Haupt gelegte schwarze Spitzen-
mantilla in Verbindung mit dem Kleide von goldig-grüner Seide, das Rot und
Gold in der Tracht des Toreros und die Kombination von Schwarz und Rot in
Robe und Mantel der Begleiterin gehen mit dem tiefen Braun der Bank und dem
grünlichen Schimmer der Wand eine koloristische Harmonie von vornehmster
Wirkung ein. Ernstere, wahrhaft ergreifende Töne schlägt Eduardo Chicharro an.
„Der Schmerz“ ist der Titel seines Bildes. Schwarze und graue Töne herrschen
im Interieur vor und aus dem Hintergründe fällt kalt das Licht ein. Das Be-
leuchtungsmotiv mag nicht neu sein, ist aber mit hoher Feinheit durchgeführt.
In den schmerzversunkenen Frauen, die um den Heimgang des Familienober-
hauptes trauern, ist die Tragik zum höchsten Ausdruck gebracht. „Auserlesene
Früchte“ heißt das Bild von Jose Pinazo Martinez — auserlesen ist diese spa-
nische Maid in Wahrheit, auserlesen wie die Früchte, die sie in Händen trägt.
Mit der lustigen, sonnigen, hellen „Versuchung“, als welche Perico Ribera seine
Gartenszene in der Schenke bezeichnet hat, und mit Flubert Denis Etcheverrys
interessantem Faschingsbilde „Unter der Maske“, einem Motiv in französischer
Auffassung, aber spanischem Kolorit, mag diese kurze Übersicht über einige
Leistungen der jüngeren spanischen Maler geschlossen sein.
Als Fazit ergibt sich kräftiges Aufwärtsstreben, selbstständigeres Erfassen
malerischer Probleme, wobei das nationale Element zu fesselnden Äußerungen
gelangt. Und noch eins muß betont werden — der vornehme Zug dieser Kunst.
Gewiß, an Zigeunerinnen in buntschillernden Kostümen, an Zigarettenverkäufe-
rinnen, an leichter Ware der Großstadt ist kein Mangel, aber das solide Milieu,
das spanische Bauern- und Bürgertum, wiegt in den Darstellungen erheblich vor.
 
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