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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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6. Heft
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Rittland, Klaus: Die Ehen des Herrn von Brenkhusen, [4]
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0181

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72

MODERNE KUNST.



lichkeit, zu zweifeln, dem Schmerz auszuweichen, der sich da über sie
herabstürzen wollte; aber sie fand keinen Ausweg. Sie mußte der Wirk-
lichkeit ins Auge sehen, dieser harten, häßlichen und ach so erbarmungs-
losen Wirklichkeit.
Das konnte er ihr antun? So wenig war sie ihm gewesen? So
schnell warf er alles von sich, alle die Schätze an zärtlicher Neigung,
Verständnis, Hingebung, die sie ihm geschenkt in dieser langen, be-
glückenden Zeit ihrer Freundschaft? Alles Plunder, achtlos in den
Schmutz geschleudert — für einen Kuß von jungen roten Lippen?
Oder aber — war ihm gar nicht das Gefühl gekommen, daß er etwas
aufgab? Hatte sie ihre Gaben an einen verschwendet, der in diesem
engen Freundschaftsverkehr nichts erblickt hatte als einen angenehmen
Zeitvertreib? War ihre Seele einsam geblieben diese Jahre hindurch,
da sie gewähnt hatte, in der köstlichsten Gemeinschaft zu leben? Ein-
sam? Alles nur die Einbildung einer sehnsüchtigen Frau? Das war
das schrecklichste, dieser Gedanke: in einer Trugvorstellung gelebt zu
haben.
Ein Lied fiel ihr ein, das sie früher gern gesungen hatte. Darin
kamen die Worte vor:
„Und sprich: wie schwindet Liebe?“
„Die war’s nicht, der’s geschah!“
Die war’s nicht! Das auszudenken — —
Und so, wie er schrieb, schien ihm wirklich die Empfindung ganz
fernzuliegen, daß er ihr ein Leid antat. Sie sollte „die erste sein, die
sein Glück erfuhr, sie, die liebste, treueste Freundin, sie sollte seine
junge Frau gütig aufnehmen, ihr eine Beschützerin, Führerin werden, sie,
die höchste Frau, die ihm im Leben begegnet war . . .“
O diese wunderschönen Phrasen, Phrasen.
Wütend zerknitterte Annelise den Brief. Aus ihren Augen stürzten
Tränen der Empörung, des Zornes. Sie sprang auf und eilte hinaus.
Beiseite geschoben — hinaufgeschoben auf das Piedestal der hohen
Führerin, die die andere, die Geliebte, belehren soll — Komödie, alberne
Komödie, ein geistloses Marionettenspiel!
Annelise lachte bitter auf.
Das war das schlimmste: diese Harmlosigkeit. Beschämender zu
tragen als Untreue — dieser Beweis, daß sie sich selber belogen hatte,

Gustav Feith (Albrecht-Dürer-Bund, Wien): Abend an der Liesing.
daß ihr tiefstes Erlebnis — ein Nebelbild gewesen war. Die war’s nicht,
der’s geschah? —
„Annelise, komm’, fertig spielen!“ rief klagend der Kranke.
Sie gehorchte.
Ihre Tränen waren versiegt. Alles grau und tot um sie her.
Und sie schob ihre schwarzen Steine auf dem Quadratfelde vor mit
kalten, müden Fingern.
„Deine Damen, hihihi, du spielst aber schlecht heute, zwei Damen
habe ich dir genommen!“ Bodo .kicherte vor Vergnügen.

VII.
Ein Nachmittag im September. Brenkhusen lehnte am Fenster im
Ankleidezimmer seiner Frau, sah bald auf die Straße hinaus, in
deren Vorgärtchen schon die Herbstastern blühten, bald schaute er
belustigt zu, wie emsig beflissen sein schönes Fanneri sich immer
noch schöner machte.
Seit einer Viertelstunde wartete er nun schon. Pünktlichkeit war
nicht Fannys starke Seite. Und heute machte sie mit besonderer
Sorgfalt Toilette. „Gelt, du willst doch auch nicht, daß ich wüst aus-
schaue, wenn mich deine beste Freundin das erstemal zu Gesicht be-
kommt?“ meinte sie, das weiße Chiffongeriesel zurechtzupfend, das
unter dem hellgrauen Tuchjäckchen hervorkam. Brenkhusen lächelte.
Ein bißchen erinnerte sie ihn an einen Krieger, der sich zum Kampfe
rüstet. Wie sie das aussprach: „Deine beste Freundin“ — so spitz-
vornehm, nicht ohne Malice.
Eigentlich hatte sie ein Seidenkleid mit Schleppe anziehen
wollen. Aber ihr Mann hatte es nicht gewollt. „Das kannst du zu
der großen Visitentour nächsten Monat tragen. Heute mußt du ein-
fach auftreten. Es ist ja nur ein freundschaftlicher Besuch. Deshalb
gehen wir auch so bald hin. Frau von Schönwald muß etwas vor-
aus haben.“
Im stillen kamen ihm freilich Zweifel, ob Annelise Schönwald
überhaupt noch etwas voraus haben wollte.
Ein einziges Mal nur hatte er sie gesprochen in seiner Ver-
lobungszeit.
Keine angenehme Erinnerung.
Sie hatte ihm die Hand entgegengestreckt mit einem sehr er-
freuten Lächeln. Das heißt: eigentlich doch nur so, wie sie den
Leutnant Versen oder den Assessor Klenke auch anlächeln würde,
wenn sie einem von ihnen zur Verlobung gratulierte. „Das war ja
eine große, große Überraschung, lieber Brenkhusen!“
Und dann hatte sie sich von Fanny erzählen lassen und war sehr
liebenswürdig gewesen, von vollendeter Haltung. Aber Brenkhusen.

Peter Grabwinkler (Albrecht-Dürer-Bund, Wien): Wiesenblumen.
 
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