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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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7. Heft
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Berlin, Margarete von: "Min' lütt Junker.": Skizze
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Unsere Bilder
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92

MODERNE KUNST.

Gesicht war von tiefen Runen durchfurcht, der Mund, dessen bläuliche Lippen
sich stöhnend bewegten, schmal und eingefallen, nur die Augen, die mit
bewußtem Ausdruck blickten, verrieten, daß in der armen Hülle noch
Leben sei.
Der alte Baron hatte seinen verwitterten Jägerhut abgenommen und wollte
eben eine leise Frage an Schwester Ulrike richten; da brach das leise schmerz-
liche Stöhnen ab, ein Jubelruf drang aus dem Mund, und langsam richtete sich
der schwache Oberkörper auf. „Min lütt Junker — min lütt Junker!“ Schluchzen
erschütterte die Kranke, aus den blauen Augen stürzten Freudentränen.
Dann streckte sie die hartgearbeitete, abgezehrte braune Hand aus, und
Freiherr Karol von Werselitz konnte nicht anders, er legte seine kühle wohl-
gepflegte weiße Hand in Hannes.
„Ja, min lütt Junker, Hanne soll nu weg — bliv gesund, min lütt Junker —
bliv glücklich, min lütt Junker — du hettst dat Leven noch vor dich —--
Es war ganz still im Zimmer. „Min lütt Junker“, so nannte die sterbende
Hanne Garve den unnahbaren Freiherrn von Werselitz. „Min lütt Junker“ —
länger als fünfundsechzig Jahre hatte niemand ihn den „lütten Junker“ genannt —
ein Wort, das ja auch die neue Zeit vergessen hat. Aber für die sterbende
Hüterin seiner ersten Lebensjahre war er noch der „lütt Junker“.

„Min lütt Junker — adjes — min lütt Junker-“.
Von den Armen der Schwester gehalten, sank Hanne in die Kissen zurück,
ein paar Atemzüge noch, dann stand das neunzigjährige Herz still •—• sanft und
friedlich war Hanne Garve über den nun noch erfüllten Wunsch aus dem Leben
gegangen.
Als auf des Freiherrn Gebot Hannes sterbliche Hülle mit besonderer Feier-
lichkeit in der Familiengruft der Werselitze ihre Ruhestatt gefunden hatte, ging
ein Brief an den Baron Helmuth nach Argentinien ab, der den Sohn und seine
Familie nach der Heimat auf Schloß Werselitz rief.
Was hatte Hanne ihm doch gesagt, deren Augen ihn als den lütten Junker
geschaut hatten, in ihrer letzten Todesnot? Er hätte das Leben noch vor sich
und solle glücklich sein.
Das Leben? Ach nein, das Leben lag nun gelebt hinter ihm — aber ein paar
Jahre, die waren ihm wohl noch vergönnt — und wenn Helmuth Söhne hatte —
sollten die drüben bleiben im fremden Lande, des deutschen Junkers Enkel?
So kam’s, daß, als nach einem halben Jahr Helmuth mit seiner liebreizenden
Frau, einer Tochter und einem Sohn auf Werselitz eintraf, der Großvater seinen
jungen Enkel an seine Knie zog, mit der Hand über das blonde Haar strich
und leise und fast zärtlich sagte: „Min lütt Junker“.

(Unsere Jiüder.


rie ein Vorklang des Weihnachtsfestes erscheint Ernst Lübberts Ge-
107^, mälde. Ein junges Mädchen sitzt allein, in seine Arbeit versonnen, vor
dem runden Tisch, den bunte Strähnen Seide bedecken, während die Lampe das
Dunkel der Nacht traulich erhellt. — An den Weihnachtstisch selbst führt Erich
Sturtevants Titelbild dieser Nummer. Der schwarze Flügel bildet einen wirk-
samen Kontrast zu dem Gabentische, der dadurch um so farbiger, mit fast
märchenhaftem Glanze leuchtet. Durch das hohe Atelierfenster erblickt man
draußen die verschneite Landschaft wie einen Traum der Winternacht, und der
Schatten des Christbaums fällt auf den Boden des Zimmers. — Weniger von
Weihe als von Fröhlichkeit ist das „Weihnachten der Junggesellen“ des
englischen Malers W. Dendy Sadler erfüllt. Bei Wilhelm Busch heißt es:
„Rotwein ist für alte Knaben eine von den besten Gaben“; aber auch eine
Punschbowle aus Rotwein nebst Rum, oder Arrak und anderen Zutaten tut es.
Wenn dann die Wangen gerötet sind, und die Augen hell blitzen, läßt sich das
Unglück, daß man Weihnachten ohne Frau und Kind feiern muß, zur Not ertragen. —
Freilich wird dabei nicht der tiefste Sinn des Festes erfaßt, bei dem einst das
„Ehre sei Gott in der Höhe“ aus dem Munde der himmlischen Heerscharen
erklang. Einen solchen Kreis singender oder herbeischwebender Engel stellt
unsere Abbildung dar, die aus Teilstücken hervorragender Kunstwerke zusammen-
geflochten ist. Unten sieht man die Raffaelschen Engel der Sixtinischen Madonna,
links folgt eine betende Engelgestalt Filippino Lippis, dann aus Murillos unbe-
fleckter Empfängnis ein Himmelsknabe, ferner ein lautespielender Engel Bellinis,
dann aus Rubens’ sinnenfroh empfundenem Bilde des jungen Christus und Johannes
der Engel, der dort das Lämmchen herbeibringt, und oben in der Mitte schwebt
ein Engel des englischen Malers Reynolds aus dem 18. Jahrhundert. Nach rechts
abwärts folgen ein Engel Albanis und wiederum ein Engel von Rubens; der laute-
spielende Engel rührt von Rosso her, und Bellinis Flötenbläser beschließt den Kreis.
* *
••5:
In das Reich des nordischen lichten Winters führen die beiden skandinavi-
schen Maler Axel Sjöberg und Anders Zorn. Der erste hat sich zum Motiv
einen Strom gewählt, der fast völlig vereist unter blauem und gelblichem Winter-
himmel liegt. Nur als schmaler Arm tritt das dunkelblaue Wasser aus der
Schneedecke hervor, die sich weit über das flache Land ausbreitet, in dem die
hungrigen Krähen vergebens nach Nahrung suchen. — Der eisige Hauch klirren-
der Kälte lagert auch über Anders Zorns „Wasserträgerin“, deren Antlitz
in leisem Schmerz über den peinigenden Frost erbleicht ist und nur Flecken auf
den Wangen zeigt. Das Rot der Schürze, die zur Nationaltracht gehört, leuchtet
stark, auf dem Ast der Tanne lagert der Schnee, und an der Holzhütte lehnen
die Skis, das beste Reisemittel während des nordischen Winters. — Eine
weite freundliche Landschaft eröffnet R. F. Currys Gemälde, das an einem
„sonnigen Wintertag“ den Blick an einem Birkenwäldchen vorüber auf die
Hochebene freigibt, wie sie die fernere Umgebung Münchens darbietet.
# -i:
*
Von alters her ist Moskau die Stadt der russischen Feste, doch fanden in
Rußland bis zum 18. Jahrhundert keine öffentlichen Bälle statt. In
den Frauengemächern der Fürstinnen, Zarinnen und Bojarinnen
führten Zwerginnen, Mohrinnen und Hofnärrinnen vor ihren
Gebieterinnen groteske, phantastische Tänze auf. Erst
durch Zar Peter I. erhielt auch das gesellschaftliche
Leben in den russischen Hauptstädten einen ge-
waltigen Aufschwung. Allerdings saßen auf den
sogenannten „Assembleen“, die
der Zar veranstaltete, unter an-
derem auch die Frauen seiner
holländischen Schiffskapitäne,


eifrig Strümpfe strickend, an den Wänden herum. Späterhin wurden die franzö-
sischen Tänze eingeführt. Das Gemälde des bekannten russischen Künstlers
D. Kardowsky „Ball in Moskau“ versetzt uns in die Zeit der Puschkin,
Krylow, Gogol und Lermontow, wo die Damen der russischen Aristokratie für
gefühlvolle Stammbuchverse schwärmten, die Dichterin Gräfin Rostopschin ihr
Tagebuch in Reimen schrieb, die Kavaliere auf den Pfaden provenzalischer Trou-
badours wandelten, und unter den Klängen der Walzer, Polkas, Anglaisen und
feurigen polnischen Mazurkas, hinter vorgehaltenem Fächer auch über Politik
gewispert wurde. Die Dekabristenverschwörung spielte ja bis in die glänzenden
Kreise des russischen Hochadels hinein. Kardowsky hat die charakteristischen
Gestalten jener fernen Zeitepoche, als nach dem Tode Kaiser Alexanders I. sein
Bruder Nikolaus I. die Regierung antrat, auf seinem lebensvollen Bilde vortreff-
lich wiedergegeben. ... H. v. S.
#
„Väterchen Frost“ ist über Nacht gekommen unter mächtigem, echt russischem
Schneefall . . . hieraus nun, du mutiges Dreigespann, aus dem warmen Stall,
um vor den mit buntgewirkten Teppichen und wärmenden Pelzdecken behangenen
Schlitten geschirrt zu werden. Unter dem Krummholz des Fehmerpferdes, das,
seiner Würde sich voll bewußt, mit stolz erhobenem Kopf dahintrabt, läuten
hell und melodisch die abgestimmten Glocken, die auf dem Waldaigebirge ge-
gossen worden sind. Die beiden Seitenpferde schütteln beim raschen Galopp
mutwillig ihre Mähnen. „Hei! Ihr Falken, ihr meine Täubchen, meine goldigen
Schätzchen“, ruft ihr Lenker ihnen zu. Festtag ist’s, russischer Feiertag — es
sind ihrer ja so unendlich viele im weiten, heiligen Rußland — der Schnee
leuchtet und stiebt unter den Pferdehufen empor — der scharfe Frost klirrt ....
Im Dorf winkt die warme Schenkstube . . . Wenn man über kein Dreigespann
verfügt, so tut es auch ein Einspänner, und auch der Schlitten braucht nicht
immer prächtig geschmückt zu sein, aber Lustfahrten gehören nun einmal zu
dem Feiertagsvergnügen eines echten Russen. Wenn man Rußland richtig
kennen lernen will, so muß man es. auch im Winter sehen, wo man sich an
solch lebensvollen Bildern, wie sie Alexander Butschkuri in seinem Gemälde
„Russischer Winter“ festgehalten hat, erfreuen kann. H. v. S.

Dramatische und tragische Akzente sind in John A. Lomax’ „Das Spiel
ist aus“ angeschlagen. Um hohe Summen ist das Spiel gegangen, bis einer von
den Spielern zu falschen Karten griff, und bei der Entdeckung beide die Degen
zogen, um sie nicht wieder in die Scheide zu stecken, ehe nicht einer mit
durchstochener Brust zu Boden sank. Da kehrt dem andern mit der fahlen
Dämmerung draußen die Besinnung zurück. In starrer Leidenschaft sitzt er
gebrochen am Tisch, denn auch sein Leben ist verwirkt, und die Reue über das
falsche Spiel schlägt ihn doppelt nieder. Tiefste Stille umher. Längst erfüllt
volle Tageshelle das Zimmer; aber sie erweckt den Toten nicht mehr zum
Leben und reißt den Lebenden nicht aus seiner Verzweiflung.
*
Der Stimmung, wie sie von „Ernster Musik“ ausgeht, haben der
Düsseldorfer Maler Wilhelm Schreuer, dessen reifer Kunst das
nächste Heft der „Modernen Kunst“ einen illustrierten Auf-
satz widmen wird, und der Franzose Ulysse Caputo
in seiner „Sinfonie“ edlen Ausdruck geliehen. An die-
steinige Küste der Bretagne versetzt Elisabeth Sonrel
in ihrem Gemäde „Die beiden
Schwestern“, deren ernst-
schöne Züge sich von der Fels-
landschaft wirksam ab heben.
 
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