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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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8. Heft
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Steinmann, Anna von: Der arme Reiche: eine Weihnachtsgeschichte
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0252

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MODERNE KUNST.

105


mir das. „Hab’ ich“, klang es dann wohl von andrer Seite
dazwischen. „Hab'ich! Hab’ich“, echote auch ich immer
von neuem. Mein Nebenmann sah mich mit immer
größer werdenden Augen an. War es denn mög-
lich, daß man so oft ,,hab' icn“ sagen konnte,
ohne zu lügen. Er nahm mich nachher ins Ver-
hör. Aber cs war richtig. Nicht mit einem
Stück hatte ich fälschlich aufgeprotzt. Die
Kinderstube war der reine Spielwaren-

„Ja, ja, ja, ja. Viermal ja!“ hatte die Mutter gesagt. Wie ein
Glücksrausch kam es über mich. Wieviel Leid und wie-
viel Schmerzen kamen damit aus der Welt.
Meinem kleinen Freunde teilte ich gleich am
nächsten Morgen meinen Erfolg mit, und dieser
verbreitete sofort der ganzen Klasse, zu wel-
cher Männlichkeit ich mich demnächst ent-
puppen würde. Man sah mich von nun an
mit andern Augen an.

F. Zimmermann: Christkindlein.

Verlag J. Löwy, Berlin.

bazar. „Du“, sagte er dann nachdenklich, „dann kannst du dir ja gar nichts
wünschen.“ „Nein“, sagte ich — „ich weiß auch nichts mehr.“ „Langweilig!“
argumentierte der Kleine — „ich weiß immer einen Haufen, — viel mehr, als
ich kriege.“
Den nächsten Tag kam er mit wichtiger Miene zu mir. Er hatte seinem
Vater von meinem Reichtum und meiner Wunschlosigkeit erzählt. „Du, weißte,
was Vater gesagt hat. Wenn du keinen andern Wunsch hast, sollst du dir deine
abgeschnittenen Locken auf den Weihnachtstisch legen lassen.“ Er wiederholte
ganz altklug, ohne Übertragung in die kindliche Sprache, die Worte des Vaters.
Das war ein Vorschlag. Ich machte vor Freude einen Luftsprung. Tag und
Nacht schwebte es mir als Ideal vor, solch ein kleiner häßlicher Ruppian zu
werden wie mein Freund. Vergebens hatte ich bis jetzt darüber nachgedacht,
wie ich es erreichen könnte, nachdem meine Mutter mich das erste Mal so kurzer-
hand abgewiesen.
Weihnachten, so lernten wir in der Schule, ist das Fest der Freude, die
Zeit, in der man sich so viel Liebe erweisen soll, wie man kann.
Kaum konnte ich das Ende der Schulstunden erwarten. Den Weg nach
Hause nahm ich in großen Sätzen. Dann warf ich den Ranzen, die Mütze fort
und stürmte in das Zimmer meiner Mutter.
„Mutti, Mutti“, rief ich leidenschaftlich, „jetzt weiß ich, was ich mir zu Weih-
nachten wünsche. Mutti, hör doch zu, — nur ein einziges, nichts anderes — nur
die abgeschnittenen Locken auf meinem Tisch — damit ich ein Junge werde
ganz wie die andern.“
Die Mutter las gerade in einem Buche. Das war langweilig. Ich fand, sie
hörte mir nicht gründlich genug zu. Nun wiederholte ich nach Kinderart ohne
Unterlaß meinen Wunsch, immer wieder bis sie ungeduldig wurde. Ohne dem
Sinne ihrer Worte irgendwelche Bedeutung beizumessen, sägte sie schließlich:
„Ja, ja, ja, ja — nun aber mach, daß du rauskommst.“

Weihnachten umgab sich in meinen Gedanken mit einem solchen Glanz von
Lust und Freude wie noch nie. Wie ein echtes Kind wartete ich dem heiligen
Christ entgegen. Ich zählte die Tage, die Nächte bis zur Erfüllung meines
Wunsches.
Als das Fräulein am letzten Abend meine Haare einwickelte, hielt ich so
still wie bei einem feierlichen Akt. Am Morgen, nachdem sie sie gelöst, holte
ich heimlich die ledernen Wickel aus dem Schrank und warf sie aus dem Fenster
hinab auf den Hof —• jeden einzeln, und meine Blicke folgten ihm wie einem
Todessturz, wie einem Ereignis. Und dann wartete ich. Von Sekunde zu
Sekunde horchte ich. Würde der Friseur meine Haare abschneiden? Jeden
Morgen kam er zum Vater. Er war beim Vater gewesen, aber meine Locken
hingen noch den Rücken entlang.
Auch am Nachmittag noch.
Da fing ich an ungeduldig zu werden. Schließlich beruhigte ich mich wieder.
Es war noch zu früh. Erst wenn ich an meinem Weihnachtstisch stand, würden
die Locken fallen. Alle Überraschungen kamen dann doch erst. Sie durften
gar nicht früher kommen. Wenn man es vorher wußte, dann war es ja keine
Überraschung.
Endlich klingelte es. Ein Glanz von Lichtern blendete fast die Augen.
Tische mit ungezählten Herrlichkeiten, Stollen, Pfefferkuchen, Marzipan, Glitzer-
werk und Engeln. Kurz alles, was Weihnachten so verführerisch macht. Nun
stand ich vor meinem Tisch. Er sah anders aus, als ich erwartet hatte. Herr-
liches Spielzeug, Teller voll Süßigkeiten. — Ich hatte ihn mir leer vorgestellt —
ganz leer sollte er sein. Das andere brauchte ich gar nicht. Ich hatte ja nur
einen Wunsch. Meine Augen sahen über alle Herrlichkeiten hinweg, als ob sie
gar nicht da wären. Sie machten mir keinen Eindruck, sie erfüllten mir keine
Wünsche. Dagegen blickte ich erwartungsvoll meine Eltern an. Jetzt mußte es
ja kommen, die Locken fallen und ich-

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