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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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8. Heft
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Steinmann, Anna von: Der arme Reiche: eine Weihnachtsgeschichte
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0254

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MODERNE KUNST.

107




„Der soll für dich — das ist ja ein Mädelschlitten —Verächtlich drehte er
ihm den Rücken. „Komm, Jürgen“, sagte er dann fest „komm mit“. Ehe ich
noch begriff, was er vorhatte, standen wir beide vor seinem simplen grünen
Schlitten, der uns wie ein Schatz, wie ein wahrer Schatz erschien.
„Der gehört uns — uns beiden zusammen“, sagte er schlicht, als wenn sich
das ganz von selbst verstünde. „Du hattest es mir auch versprochen.“
Und als ob er wüßte, daß mich noch etwas quälte, fügte er leise hinzu:
„Du, Jürgen, ’s merkt’s keiner. Sie werden alle denken, er gehört dir und du
nimmst mich mit!“
Ehe er noch ausgesprochen, hatte er die Schlinge vom Strick über unsere
beiden Hände geschoben und wir trotteten über den blanken Schnee. Er, reich
wie ein König, so reich, daß er seinen Besitz teilen konnte . . . ich •—! ?
So arm, so unsäglich arm kam ich mir vor gegen meinen Freund.
Else von Rüdiger blickte stumm zu ihm auf, und ihr Auge wiederholte das
Wort „Sie Armer!“ ... ...

Aus Brüder Grimm: Brot und Salz segnet Gott. Illustration von Ernst Liebenauer.
vorschriftsmäßig mußte er sein, so glatt, so grün angestrichen, so
simpel, wie die Großen ihn hatten. Natürlich tauchte jeden Tag
von neuem unter uns die große Frage auf, ob die Eltern die
Schlitten wohl schenken würden. Einige waren ihrer Sache ganz
sicher, andere hofften und zitterten doch dabei, wieder andere
zuckten hoffnungslos resigniert die Achseln. Ihnen schien die
Sache wohl arg bedenklich. Zu den letzteren gehörte mein
Kamerad, der Hauptmannssohn.
Ich gehörte zu den Sichern. Die andern Jungen hatten mir
klargemacht, daß meine Eltern solche Wünsche doch leicht er-
füllen konnten. Freilich das konnten sie. Und ich hatte der
Mutter auch alles bestens vorgetragen — wo sie ihn kaufen sollte,
wieviel er kostete und wie er sein müßte — gerade so und nicht
anders. Immer von neuem hatte ich es wiederholt, bis ich ihr
langweilig geworden war und schließlich wurden meine Ausein-
andersetzungen wieder mit solchem vielfachen „Ja“ abgeschnitten.
Trotz meiner Erfahrung war ich arglos. Ich hatte meinem
Kameraden, dem Hans Reböhr schon versprochen, wenn sein
Vater nicht so tief in die Tasche greifen könnte, dann sollte er
bei mir zu Gaste gehen. Mein Schlitten sollte ihm halb gehören,
ging umschichtig, erst der eine und dann der andere. So wars beschlossen.
In unserem Flause war alles auf das Äußere abgestimmt. Was es auch war,
es mußte in den Rahmen passen.
In dem Saale der eleganten Villa, in der die Weihnachtsschaustellung statt-
fand, konnten die Gäste also einen hocheleganten Stuhlschlitten bewundern, den
ein Diener im Schnee durch die Straßen schieben sollte. Mollig breitete sich eine
weiche Pelzdecke darüber aus, und vorn am aufsteigenden Bug, der in einem
Pferdekopf endigte, hing ein Schellengeläut, das lustig klingeln konnte.
Wie schön die Mutter das zu erklären wußte. Alle hörten ihr zu und
bewunderten sie. Nur ich nicht. Ich wußte, mir würden die Glocken nicht lustig
klingeln. Sie trugen ja meinen Weihnachtswunsch zu Grabe. Es war mein
einziger gewesen, gerade wie im Jahre vorher. Was nützte mir denn solch ein
Schaustück? Das brachte mir kein lustiges um die Wettetummeln mit meinen
Kameraden, das gab kein Juchhe und Horridoh den Berg hinunter!
Am nächsten Morgen stand ich am Fenster. Ein Pfiff aus der Signalpfeife!
Mein Freund zog vorüber. Hinter ihm her der platte, simple, grüne Schlitten,
just wie er auf dem Wunschzettel stand. Wie stolz er aussah — wie reich! Ein
Besitzer! Er winkte und rief mir zu: Jetzt geht es los! Er schien mich nicht zu
begreifen. Was bedeutete das, daß ich nicht wieder rief.
Plötzlich riß er seinen Schlitten mit schnellem Schwünge herum, drängte ihn
durch das Gartentor, und ehe ich noch wußte, was er wollte, stand er neben mir.
„Du, Jürgen, komm“, sagte er barsch. — „Wohin?“
„Wohin? An den Berg, wo die andern auch sind . . .“ — „Was soll ich da?“
„Nun mit den neuen Schlitten . . .“ — „Ich hab’ keinen.“
„Du hast keinen —?“ Langsam in maßlosem Erstaunen sprach er die Worte.
„Oder doch — ich habe einen, aber — komm mit —.“
Gleich darauf standen wir beide vor dem prächtigen Schaustück in unserm Saal.
„Pfui Deibel!“ In unverfälschter Derbheit entschlüpfte ihm seine Meinung.

Aus Andersen: Der Herr Professor.
Illustration von Hugo Steiner.
Das Steuern

Einige Tage sind vergangen.
Stille um Jürgen — lautlose Stille. Das Feuer glimmt im Kamin, sonst
kein Licht. Aus den dämmerigen Ecken schleichen die Erinnerungen heraus.
Wehende Flügel, die in den Falten sich tief verdunkeln. Aber wunderbar, wenn
er die Augen schließt, geht ihm vor den gesenkten Lidern ein heller Schein auf,
wie von einer Lichtgestalt ausstrahlend, die auf ihn zuschwebt und durch die
lautlose Stille flüsterts: Du Armer, du Armer, ich mache dich reich!
Einen Augenblick läßt er sich so von Traumgestalten umschmeicheln, da weckt
ihn ein Klingelton. Er muß die Tür selbst öffnen. Den Diener, der sonst dieses Amt
versieht, hat er nach Hause geschickt. Er braucht nichts mehr, es ist alles versorgt.
Ein Dienstmann steht vor ihm. „Das soll ich abgeben“, sagt er kurzerhand.
„Für mich?“ fragt Jürgen zurück.
„Das weiß ich nich. Wenn Se Radegast heißen — dann is es richtig.“
Und damit stampfte er schneeschüttelnd weiter, anderen
Wegen nach, die noch zu machen waren.
Verwundert trägt Jürgen die Kiste ins Zimmer. Noch ist es
dunkel, aber schnell läßt er die elektrischen Lichter aufflammen.
Die Kiste ist nur leicht verschnürt, der Deckel hebt sich. Ein
kleines Tannenbäumchen mit Lametta verziert steht jetzt auf
seinem Tisch. Daneben liegt noch 'ein Päckchen. Er öffnet es.
Ein Streichholzbehälter? Nun fällt es wie Schuppen von seinen
Augen. Ein kleiner Schlitten mit grünem Rand. Ganz schlicht,
nur mit einer Silhouettenzeichnung geschmückt. Er selbst soll
es sein, der in Sammetröckchen und Spitzenkragen wie ein Held
die gehaßten Locken versäbelt. Und darunter stehen die ein-
fachen Worte: Fröhliche Weihnachten!
Gerührt und entzückt beschaut er das sinnige Geschenk, und
mit einem Male weiß er, daß jetzt die Zeit seines Glückes ge-
kommen ist. Wie im Traume findet er den Weg zu dem Hause
Rüdiger. Und Else ist nicht erstaunt, ihn heute am Weihnachts-
abend vor sich zu sehen. Wortlos reichen sich beide die Hand.
Still, ganz still ist’s im festlichen Raum — nur ein Glocken-
klingen in den tiefbewegten Herzen beider.

Aus der Geschichte vom Kalifen Storch. Illustration von Karl Fahringer.
 
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