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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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10. Heft
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Ostler, Rudolf: Die Psyche der Plastik
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0304

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MOI) 1. k X 1. KUNST

129


Die Ausführung war Handwerk, meistens Pfuschwerk. Kann er jeden Baum
selbst modellieren? Kann er Blumen, Blätter und Gras selbst eigenhändig künst-
lerisch hersteilen? Kann er Felsen und Steine modellieren? Nein. Das macht
die Firma X. Y. & Co.
Wie ist dagegen das Auge entzückt, wenn es sich von den Barbarismen
dieser Gebilde erholt an den diskreten Linien und Farben eines vom Maler selbst
gemalten Hintergrundes oder Panoramas. Hier sitzt das Prinzip und die Er-
klärung des Problems: was ein Künstler selbst von der Bühne herab geben
kann, wird in gewissem Sinne immer richtig wirken, denn es wird Kunst sein,
keine gelogene Natur. Der Schauspieler versucht nicht vorzulügen, daß er der
Bauer ist, er stellt ihn dar; der Maler versucht nicht zu lügen, daß sein Hinter-
grund ein wirklicher Berg oder Wald ist, er hat ihn gemalt. Aber der Berg
aus Pappe lügt, das Gras lügt, die Bäume, das Laub lügen, sie wollen uns
täuschen mit schlechtenMitteln. Eben-
sowenig wie den vernünftigen Zu-
schauer die privaten nicht zur Hand-
lung gehörigen Intimitäten eines Götz
oder Homburg interessieren, eben-
sowenig interessieren ihn auch die
zur Charakteristik der Szene nicht
nötigen kleinen Äußerlichkeiten und
Intimitäten der Landschaft. Um die
Illusion einer Gebirgsgegend zu
haben, genügt mir im Hintergrund
eine Berglinie und die Farbe eines
Berges; zur näheren Orientierung
etwa, daß wir uns auf einem erhöhten
Plateau befinden, genügt es, daß ich
eine oder ein paar Tannenspitzen
irgendwo auftauchen sehe. Die Illu-
sion eines grünen Plans gibt völlig
ein entsprechender weicher Teppich
in moosartiger Schattierung. Sind im
Vordergründe Dinge nötig wie Baum,
Stein oder Felsen, auf die der Mensch
sich setzen oder an die er sich lehnen
muß, so müssen diese Dinge selbst-
verständlich plastisch hergestellt
werden. Dann aber bin ich für eine
streng künstlerische Ausführung, die
Kleinigkeiten vermeidet und wesent-
liche Hauptsachen in kräftiger Ge-
staltung gibt. Um aber die Aus-
führung solcher Einzelstücke durch
wirkliche Künstler zu ermöglichen,
müssen diese plastischen Hilfsmittel
auf das Äußerste und Notwendigste
beschränkt bleiben. Ein Stein, ein
Baum, ein Felsen kann künstlerisch
gut sein, viele können es nicht sein.
Abgesehen davon ist es wesentlich
natürlicher, einen Raum von zehn
Quadratmetern durch einen Baum,
einen Felsen zu charakterisieren,
als durch zehn oder zwanzig. Man
will immer so ungeheuer naturwahr
sein und vergißt dabei die primi-
tivsten Erfahrungen. Man will auf der
Szene ein Winkelchen einer engen
Gasse aus einer italienischen Stadt
geben und stellt zu diesem Zweck
ganz Pisa auf die Bühne, eine Unzahl
Häuser und Gassen, selbstverständ-
lich in höchst widernatürlicher Ver-
kleinerung und Raumverengung. Da

entgegne ich mit dem Worte der andern: hier steht der Schauspieler, ein wirklicher
Mensch, seine Umgebung muß in den Maßen ungefähr dem Bewegungsfeld ent-
sprechen, die seine Geste in dieser Situation beanspruchen muß. Also pfropft nicht
eine halbe Stadt auf den kleinen Raum der Bühne, sondern wählt zur Szene einen
Winkel derGasse, nehmtdafür denRaum der ganzen Bühne und charakterisiert ihn mit
ein paar wesentlichen kräftigen Einzelheiten; die übrige Stadt mit ihrem Gewirr von
Gassen läßt sich gewiß leicht im Hintergründe durch Giebel und Turmspitzen geben.
Ich hörte einmal von einer Szene, deren Meeresnähe durch nichts anderes
charakterisiert wurde als durch eine Flaggenstange mit einem wehenden Wimpel.
Der Eindruck war eindeutig und völlig genügend.
Vor zwanzig Jahren schrieb Strindberg seine Vorrede zu „Fräulein Julie“, die
ich dringend jedem Interessenten dieses Themas zum Studium empfehle. Er
spricht vor allem davon, daß man oft gut tue, einen Innenraum nicht mit den
sichtbaren Grenzen der Kulissen-
wand aufhören zu lassen, sondern den
sichtbaren Spielraum der Szene sich
fortsetzen zu lassen nach hinten, nach
rechts oder links; der Zuschauer ist
genötigt, auf diese Weise einen
dunklen unsichtbaren Raum mit in
das Bewußtsein der Szene aufzu-
nehmen, seine Phantasie wird an-
geregt, tätig und wirksam, sie arbeitet
mit. Durch die Abschaffung, der alt-
modisch gewordenen „Kulisse“, in
der Bühnensprache „Gasse“ genannt,
durch die in den alten Stücken die
Auftritte der Personen erfolgten, oft
ohne viel Motivierung, aber von einem
gewissen geheimnisvollen Nymbus
um woben — durch die Abschaffung
dieser offenen Auftrittsgassen ist
etwas Gutes mit verloren gegangen,
das geheimnisvolle Herüberwirken
der unsichtbaren Bühne auf die
sichtbare. Hier ist dieses Moment,
das mir von höchster Wichtigkeit
scheint, in zeitgemäßer neuer Form
von Strindberg wieder aufgenommen.
Man ist heute in Verlegenheit,
wenn man ein Stück mit einem
modernen Vorgang aus unserer Zeit
— wie man sagt — „stilisieren“ will,
d. h. es heraus heben aus der All-
tagssphäre in eine höhere Bedeut-
samkeit. Hier, in Strindbergs An-
regungen liegt der Schlüssel zur
Lösung solcher Aufgaben. Der Mangel
fester Begrenzung des Spielraums
gibt die Möglichkeit, Gestalten in die
Handlung hineintauchen und aus ihr
verschwinden zu lassen, ohne daß
naturalistische Türen auf- und zuge-
klinkt werden müssen. Es sind
gleitende, zarteste Übergänge von
einer Szene zur andern gegeben, die
Grenzen harter Alltäglichkeitsind ver-
wischt, das Gefühl einer gewissen
Überwindung des Raumes, eine
geistige Atmosphäre stellt sich ein.
Es wäre hohe Zeit, durch die Be-
tätigung solcher Auffassungen vom
Szenenbilde das Gespenst der Wahr-
scheinlichkeit ein für allemal zur
Ruhe zu bringen.

Rein hold Begas: Elektrischer Funke.
Verlag der Neuen Photographischen Gesellschaft A.-G., Steglitz-Berlin.


Die Psyche der Plastik.
Von Dr. Rudolf Ostler.


der Künstler nicht geliebt hat, nicht liebt, soll er nicht darstellen, kann
■ nicht darstellen". So ruft der junge Goethe, da er die Frauengestalten auf
ubens Bildern erklärt und verteidigt, weif sie anderen zu dick erscheinen.
An anderer Stelle, im Vorspiel zum Faust, läßt er den Dichter, der nach der Schaffens-
fülle seiner Jugend zurückverlangt, zugleich mit der Macht der Liebe „des Hasses
Kraft" zurückfordern. Damit deutet er auch sie als treibenden künstlerischen Faktor an.
Mit gleichem Recht kann man das ganze Gebiet, das zwischen beiden liegt, als urbares
Land der Kunst bezeichnen; da wo Empfindungen quellen, vermag sie ihre Wurzeln


- [Nachdruck verboten.]
zu schlagen und ihre Krone zu entfallen. Wo diese lebendigen Wasser fehlen, ver-
dorren im öden Sande ihre Keime.
Es versteht sich von selbst, daß Haß und Liebe nicht in dem Motiv zum Aus-
druck zu kommen brauchen, das der Künstler gestaltet. Nur in seinem Empfinden, in
der Innigkeit, mit der seine Seele den Gegenstand umfaßt, um ihm ein neues Leben
zu verleihen, müssen sie wirksam sein. Darin gleicht er der irdischen Mutter, die
ihrem Kinde das Dasein schenkt. Aber freilich, wird der Künstler dort die stärkste
Wirkung und den breitesten Wiederhall seiner Zeitgenossen erwecken, wo er Ideal-

XXVIII.
 
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