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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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10. Heft
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Voss, Georg: Die Kunst des Falschspielers
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0306

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MODERNE KUNST.

131


Die Kunst des
Ein „distinguierter“ Klub oder „cercle
frangais“ sucht noch einige Mitglieder“,
steht in den Zeitungen zu lesen. Und der Laie,
früherer Handwerker oder auch ein ewig
krummer Fuchs, greift sofort zu dem nunmehr
vergoldeten Schreibzeug, um seine der vor-
nehmen Klubluft noch entbehrende, bis dahin
noch vergebens lackbestiefeite Persönlichkeit
in die passende Umrahmung zu versetzen.
Wenn Titel und Schreibpapier auf einigen
goldenen Hintergrund schließen lassen, erhält
er auch Antwort. Und eines Abends- steht er
vor einem Hause in vornehm-ruhiger Gegend
und drückt erwartungsvoll auf den Knopf, der
von oben, aus der betreffenden Etage, die
Plaustür öffnet. Kein neugieriger Portier stört
den Frieden dieses vornehmen Hauses —
ungesehen gleitet der Besucher in dem selbst-
tätigen Fahrstuhl zu dem Stockwerk, wo die
Entdeckung seiner Klubtalente geschehen soll.
Eines Tages aber verläßt er, wenn er klug
ist, dies gastlich stille Haus für immer — müde
die goldene Schweißspur seines Geldes zurück-
lassend wie ein krankes Wild sein Blut. Denn
wer auf diese Weise vor die Flinte des
Wilddiebes auf den „Wechsel“ kam, mag
noch entkommen, anders ist’s mit einem, der
im Gesellschaftsleben steht und von Sitte oder
Leidenschaft in den Hinterhalt gelockt wird.
Da liest man nur die lakonische Mitteilung,
daß der und der „verunglückt“ ist oder sich
erschossen habe — „Motiv unbekannt“ oder
„Liebeskummer“.
Man kann getrost behaupten, daß über-
all, wo ein einzelner auffallende Verluste hat,
falsch gejeut wurde; denn sind auch die Chancen
für den Pointeur bei fast allen Glücksspielen bedeutend geringer als für den
Bankhalter, so geben sie doch für dauernde abnorme Verluste keine Handhabe,
ausgenommen einige wenige Spiele, bei denen überhaupt der Setzende von vorn-
herein der Betrogene ist. Andrerseits wird auch bei diesen Spielen das Opfer,
wenn es selbst die Bank übernimmt, merkwürdig wenig Glück haben, weil dann
von dem „Grec“ die Kunst an die Stelle des natürlichen Vorteils gesetzt wird.
Die Zahl der Falschspielerstückchen ist so groß und ihre Wirkung so selten
nachweisbar, daß es nicht überraschen kann, wie viele edle Menschenfreunde
auf dem schönen Grunde „grüngold“ ihre Schlösser bauen. Wir können im
folgenden nur einige der
üblichsten Tricks erwäh-
nen, aber schon aus die-
sen kann man deutlich
ersehen, wie rettungslos
der ehrliche oder uner-
fahrene Spieler verloren
ist, wenn er in die Hände
einer dieser alltäglichen
Raubgesellschaften oder
auch nur in die Finger
eines einzelnen, gewand-
ten „Grec“ gerät.
Es gibt verschiedene
Klassen von „Grecs“. Ist
in den besseren Klubs der
„Philosoph“ zu Hause, so
wandert der „Nomade“
in den bürgerlichen Krei-
sen umher, der „Bauern-
fänger“ aber sucht sich
seine Opfer im Volke.
Alle drei passen sich vor
allem ihrer Umgebung
recht genau an und ver-
meiden es, durch glän-
zendes Hervortreten die
Aufmerksamkeit zu er-
regen. Um so ungestör-
ter können sie natürlich

Falschspielers.
[Nachdruck verboten.]
arbeiten. Lassen wir den verhältnismäßig
harmlosen Skatbruder oder Mauschelrüden,
der nie vom Tische ohne Gewinn aufsteht,
beiseite und sehen wir uns lieber etwas die
gefährlicheren Goldgräber an. Diese arbeiten
mit Vorliebe in einer richtigen Organisation.
Kein Harmloser wird sofort hinter dem „wein-
ehrlich“ dreinblickenden Wirt des Klubs oder
der Madame (beide in guter bürgerlicher Posi-
tion) oder hinter dem devoten Klubdiener usw.
einen Komplizen vermuten oder gar in dem
Direktor einen Mitspieler wittern wollen. Und
dennoch ist dem so! Der liebenswürdige
Wirt oder der scheinbar exklusive Direktor
sind häufig nichts als „mangeurs“, „Fresser“.
Sie, oder auch der Croupier mit dem unbe-
weglichen Gesicht, haben z. B. die Aufgabe,
die Karten gegen gezeichnete umzutauschen
und gezeichnete wieder mit harmlosen aus-
zuwechseln, damit der „Parasit“, das tätige
Mitglied der Bande, nicht in Verlegenheit gerät.
Daneben gibt es meist noch einen „Judas“
(le judas, das Guckloch), dem die Aufgabe
zufällt, durch verabredete Zeichen die Arbeit
namentlich des „Parasiten“ zu unterstützen.
Diese Zeichen sind übrigens von einer solchen
Unverfänglichkeit, daß einer, dem ihr Schlüssel
fehlt, natürlich keine Spur entdecken kann.
Der „Judas" spielt nicht selbst, oder nicht
immer, er markiert den Interesselosen, den
Blasierten oder den guten Ratgeber gar, in
Wirklichkeit aber benutzt er die Tatsache, daß
man sich um ihn nicht viel kümmert, zu
seinen Zeichen. Die Art z. B., wie er seine
Zigarre raucht, wie er sie hält (Lage der Finger,
Ausblasen oder Einziehen des Rauches usw.),
wann er nach der Uhr sieht, wann er aufsteht, wie er sitzt, wie er spricht, und
hundert andere unauffällige Dinge sind ebensoviele stummberedte Winke für
die anderen, besonders für den Parasiten. In der Regel freilich wird sich
seine Tätigkeit darauf beschränken können, Gefahren zu bemerken und zu
annoncieren; denn der richtige „Grec“ ist in seiner Kunst erfahren genug, selber
das Spiel nach seinem Willen zu leiten.
Die Mittel, die ihm dafür zur Verfügung stehen, sind unübersehbar. Sie
beruhen auf Vorbereitung oder Fingerfertigkeit oder beidem. Zu den vor-
bereitenden Tricks, der Maquillage, gehören z. B. die folgenden: der „Grec“
fährt mit einer nicht zu
scharfen Messerschneide
leicht über die Kanten der
Karten, die er braucht,
oder er macht auf ge-
wisse Blätter am Rande
einen Punkt aus Leim-
farbe, der den Glanz
vernichtet, oder er „pö-
kelt“ die Bilder, indem
er sie über Salzwasser-
dampf hält, der die glatte
Fläche der Farben stumpf
macht, was das Auge und
der darüber gleitende Fin-
ger bemerkt. Ein andres
Mittel ist, gewisse Karten
zu „biseautieren“, d.h. zu
beschneiden, und zwar
nur 2 mm, konkav oder
konvex, oben oder unten,
oder an den Seiten, fer-
ner keilförmig nach oben
oder unten, oder nur
schief auf einer Seite.
Die Fülle der Variationen
leuchtet ein, und sie sind
für den Ungeübten un-
sichtbar, während der
feinfühlige Finger des

Gustav Eberlein: Erste Liebe.
Verlag der Neuen Photographischen Gesellschaft A.-G., Steglitz-Berlin.

Stephan Sin ding: Zwei Menschen.
Verlag der Neuen Photographischen Gesellschaft A.-G., Steglitz-Berlin.
 
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