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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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Copyright by Rieh. Bong, Berlin. 15. 1. 1914. Alle Rechte, auch das der Übersetzung in andere Sprachen, sind den Urhebern Vorbehalten.

Victor Blüthgen,
dessen wohlgelungenes Porträt von Müller-Mdla wir
hiermit veröffentlichen, beging am 4. Januar die Feier
seines siebzigsten Geburtstages. Aus diesem Anlaß ist
ein Blüthgen-Gedenkbuch erschienen, zu dem etwa 150
Personen von Namen beigesteuert haben, die sich über
den Dichter aussprechen. Jede Seite seines Schaffens
findet ihren besonderen Wertschätzer. So schreiben Carl
Busse und H. M. Elster über Blüthgens Lyrik, die sie
an Storm und Mörike erinnert. Ober seine Romane
urteilt Agnes Harder; seine Novellistik, für die sich
schon Gottfried Keller, noch mehr Berthold Auerbach
interessiert hatten, stellt H. M. Elster mit Heyse und
Spielhagen zusammen. Des Dichters persönlichste Note
aber findet man in seiner Jugendschriftstellerei. Er wird
da u. a. schlankweg für den größten deutschen Märchen-
dichter erklärt; und in seinen Jugenderzählungen findet
man eine glückliche Vereinigung der berechtigten An-
sprüche des jugendlichen Interesses mit vo.uer novelli-
stischer Kunst. Mag in diesen und ähn-
lichen Schätzungen auch einiges auf
Konto jener Überschätzung kommen,
wie sie bei festlichen Anlässen nun ein-
mal gang und gäbe ist, so ist es doch
keine Frage, daß der Dichter in der Tat
als Lyriker wie als Erzähler in allen
Formen bis zum großen Roman hin
ebenso fruchtbar wie glücklich gewesen
ist. Es war ein an sich keineswegs
erfreulicher äußerer Anlaß, der ihn einst
zur Literatur geführt hat; denn Blüthgen,
der, als Sohn eines Postverwalters in
Zörbig geboren, auf der Lateinschule
der Frankeschen Stiftungen in Halle vor-
gebildet war und dort auf der Uni-
versität Theologie studiert hatte, mußte
seine Absicht, sich in Marburg für
orientalische Sprachen zu habilitieren,
aus Mangel an Mitteln aufgeben und
wandte sich deshalb der Journalistik zu.
Seine erste Stellung an der „Krefelder
Zeitung“ gab er auf, als er von Ernst
Keil den Auftrag erhielt, für den Jubel-
jahrgang der „Gartenlaube“ den Ro-
man zu schreiben. Er bezog mit Julius
Lohmeyer zusammen eine Wohnung in
Leipzig, war diesem bei der Redaktion
der „Deutschen Jugend“ behilflich, trat
nach Keils Tode in die Redaktion der
„Gartenlaube“, schied jedoch zwei Jahre
später aus, nachdem er sich verlobt
hatte, und übersiedelte nach Freien-
walde a. O. Anfang 1885 verlor er seine
Gattin nach der Geburt eines Sohnes
durch den Tod. Er kaufte sich nun in
Freienwalde an, doch verlebt er seit
seiner zweiten Verheiratung mit der
Schriftstellerin Eysell - Kilburger die
Winter in Berlin.
Victor Blüthgen hat auf den zahl-
reichen Gebieten, die ihm seine Begabung
anwies, vom Roman bis zur Jugend-
novelle, Märchendichtung und Lyrik eine
rege Tätigkeit entfaltet. Auch zwei
Operntexte stammen von ihm: „Die
schwarze Kaschka“ (nach einer seiner
besten Novellen) und „Der Richter von
Zalamea“ nach Calderon. Mit der Musik
von Georg Jarno ist namentlich die erste
über alle Provinzbühnen gegangen. In
der letzten Zeit beschäftigt sich der
Dichter mit der Aufzeichnung seiner Erinnerungen; in
Heft 1 und 2 des Literaturblattes „Eckart“ ist bereits
der Anfang erschienen. Diese Plaudereien über seinen
literarischen Werdegang und seine Berührung mit der
literarischen Umwelt dürften allgemeines' Interesse er-
regen; sind sie doch ebenso wie alle seine Schöpfungen
der Ausfluß eines sich freudig zum Leben bekennenden
Dichtergeistes, über dessen ganzem Schaffen seine herr-
lichen, für seine Weltanschauung so ungemein bezeich-
nenden Verse als Motto stehen können:
Wo ist der Neid? Hier steh’ ich, seiner wert;
Ich bin vom Tau des Glückes groß genährt.
Wo ist, der finster diese Welt verklagt?
Ich halt’ ihm Widerpart, ich hab’s gewagt.
Wie viel’ hat Gott vom Paradies gt rieben:
Ich und mein Herz, wir zwei sind Irin geblieben.
__ k.
Englische Hunderennen.
Von O. Christ, Berlin.
Im Sportleben des glücklichen England gibt es keine
tote Saison. Die Pferderennen dauern auch den Winter
über, in welcher Jahreszeit es neben den Pferderennen
noch eine andere Art von Rennen gibt, die auf dem
Kontinent nur wenigen bekannt sein dürfte, die Rennen
der Windhunde, oder wie die Engländer diesen Sport
mit einem Sammelnamen bezeichnen, das Coursing.

Wenige der englischen Nationalsports haben im
Laufe der letzten Jahrzehnte einen solchen kolossalen
Aufschwung genommen, wie gerade das Coursing. In
ganz England wird es mit Passion betrieben, und es ist
erstaunlich, mit welchem Interesse und Verständnis die
große Menge das Laufen der Windhunde verfolgt. Selbst-
verständlich spielen wie bei allem, was in England Sport
heißt, die Buchmacher — Odds — eine große Rolle.
Die Hunderasse ist durch die Rennen besser geworden,
denn es ist nur natürlich, daß man der Zucht und Ver-
edlung der Tiere jedmöglichste Aufmerksamkeit zu-
wendet, um möglichst leistungsfähige Produkte zu
erzielen. Schnelligkeit allein macht nicht selig, und nicht
sie allein ist es, die diesem oder jenem Windhund die
Bezeichnung erstklassig einbringt. Bau und Muskulatur
müssen ihn befähigen, mit Schnelligkeit auch Ausdauer
und Gelenkigkeit zu verbinden. Aber erst das Training
verhilft einem Hund, wenn er die genannten Fähigkeiten
besitzt, zu wirklichem Können, und der Hund muß für
die Rennen gezüchtet werden, bei denen die größere

Müller-Mela: Victor Blüthgen.
Leistungsfähigkeit stets ausschlaggebend ist. Die Frage,
ob das Material vergangener Tage besser war, als das
jetzige, ist an sich gleichgültig; der Coursingman muß
an dem Prinzip festhalten, einen Hund zu züchten, der
den Anforderungen der modernen Rennen vollkommen
entspricht, er muß mit der Tatsache rechnen, daß sich
oft mehrere hundert Konkurrenten um den Preis be-
werben, und daß ein Windhund, der soundso viele
Runden zu laufen hat, sehr leistungsfähig sein muß,
wenn er sich schließlich auch in den Schlußrunden her-
vortun will. Oft aber sind die Rennen so stark bestritten,
daß die Entscheidung erst nach Tagen fällt. Oftmals
laufen für ein Rennen Hunderte von Nennungen ein, so
daß neun bis zehn Runden notwendig werden.
Es gibt in England eine Menge wertvoller Hunde-
rennen, die in den verschiedensten Teilen des Landes
zur Entscheidung gelangen. Sie sind mitunter mit sehr
hohen Preisen ausgestattet, aber diese hohen Preise
haben auch ihren Nachteil; infolge der zahlreichen
Nennungen wird das Windhundmaterial vorzeitig ab-
genutzt, und es wäre ganz praktisch, wenn ebenso wie
im Waterloo-Cup die Zahl der Teilnehmer nur eine
beschränkte wäre.
Wenn die einzelnen Rennen — Vorprüfungen —
vorüber sind, dann konzentriert sich das Interesse der
Coursingmen auf den Waterloo-Cup, das Derby der
Windhunde. Dieses Rennen wird bezüglich seiner Preis-

höhe von mancher andern Windhundkonkurrenz über-
troffen, aber trotzdem nimmt es unter den Hunderennen
ungefähr dieselbe Stelle ein, wie unter den Pferderennen
das Derby. Die wenigsten Leser werden wissen, wie
das Rennen um den Waterloo-Cup, welches alljährlich
im Februar gelaufen wird, vor sich geht. Erwähnt sei
vorweg, daß der Waterloo-Cup seit 1850 auf der Ebene
von Altcar bei Liverpool zur Entscheidung kommt. Der
Waterloo-Cup ist nur für 64 Windhunde beiderlei Ge-
schlechts offen. Für jeden genannten Hund muß ein
Einsatz von 25 £ bezahlt werden. Aus den Einsätzen
werden die Preise gegeben, und zwar beträgt der erste
Preis 500 £, der zweite 200 £, außerdem aber erhalten
die 16 Gewinner der zweiten Runde je 10 f, die acht
Gewinner der dritten Runde je 20 £, die vier Gewinner
der vierten Runde je 30 £ und die zwei Gewinner der
fünften Runde je 50 £\ die beiden letzten kommen
im Entscheidungslauf zusammen und dann entscheidet
sich, wer den Siegespreis erhält. Da die 64 Einsätze
ä 25 £ nicht ganz für die Preise verwendet werden, so
wird der ganz respektable Überschuß
zur Dotierung des Waterloo-Plate und
der Waterloo-Purse, zweier Trostrennen
für die im Waterloo-Cup geschlagenen
Hunde, verwendet.
Wie gehen nun die Rennen vor
sich? Auch darüber soll der Leser auf-
geklärt werden. Die Prüfungen spielen
sich entweder auf offenem Felde ab,
oder sie finden auf einem durch Hecken
und Gräben begrenztem Terrain statt.
Jede Art hat ihre Liebhaber. Die Hasen,
die zu den Rennen benutzt werden,
werden in eingezäunten Gehegen ge-
halten. Freund Lampe hat zur Zeit der
Rennen böse Tage, in der toten Saison
dagegen führt er ein Herrenleben. Die
für das Rennen gemeldeten Hunde wer-
den ausgelost und laufen paarweise
hinter den in Freiheit gesetzten Hasen.
Dai aber nur ein Hund den Hasen fassen
kann, so sind nach der ersten Runde
32 Sieger vorhanden, während ebenso-
viel Hunde ausscheiden. Die 32 Sieger
laufen nun zu 16 Paaren abermals, die
geschlagenen sind ebenfalls aus dem
Rennen, die 16 Sieger aber gehen nun
in die dritte Runde, nach der vierten
bleiben nur noch acht, nach der fünften
vier, nach der sechsten zwei, die dann
in den Endkampf kommen. Für jedes
Hundepaar wird ein Hase ausgesetzt,
der „Slipper“, der die Hunde gegen-
über dem Hasen hält, läßt diese auf ein
gegebenes Zeichen los, worauf sich die
Hunde sofort an die Verfolgung Lampes
machen. Der Richter im roten Jagdrock
folgt hoch zu Roß den Hunden, er be-
urteilt die Art und Weise ihrer Arbeit
und klassifiziert sie, um gewöhnlich
jenen Hund, der den Hasen faßt, als
Sieger zu erklären. Entkommt aber der
Hase so erklärt der Richter nach eigenem
Ermessen jenen Hund als Sieger, der
die beste Arbeit lieferte. Dem Publikum
verkündet er den Richterspruch durch
Flaggensignale. Schwenkt er ein weißes
Fähnchen, so hat Nummer 1 gewonnen,
schwenkt er aber ein rotes, so ist
Nummer 2 als Sieger zu betrachten.
Kann der Richter aus irgendeinem
Grunde einen entscheidenden Spruch
nicht geben, d. h. hält er das Rennen für unentschieden,
so nimmt er die Kappe ab, was vor den Tribünen durch
Aufziehen einer blauen Flagge bestätigt wird und dem
Publikum verkündet, daß die beiden Hunde am Ende
der betreffenden Runde nochmals zu laufen haben. Bei
der Beurteilung der Hunde ist dem Richter der weiteste
Spielraum gelassen, was allerdings voraussetzt, daß nur
die erfahrensten Coursing-Sportsmen auf diese Stelle
gesetzt werden. Hat der Richter die Überzeugung ge-
wonnen, daß der eine oder der andere Hund der bessere
ist, dann darf er den Hasen abfangen und nach seiner
Überzeugung den Sieger erklären. Das Abfangen des
Hasen zählt zwei Points, entscheidet aber nicht immer'
das Heat. Es ist schon oft vorgekommen, daß der Sieg
vom schlechtesten Hunde errungen wurde, weil der
Hase in seiner Todesangst einen unberechenbaren Haken
schlug, der ihn in die Nähe des schlechteren Hundes
brachte, wobei dieser natürlich den Hasen abfing,
während der unterlegene Gegner der sich aber im Ver-
lauf des Rennens weit besser hielt, leer ausgehen mußte.
In solch einem Falle entscheidet der Richter nicht nach
dem nackten Resultat, sondern nach dem was er im
Laufe des Rennens gesehen hat. Allerdings ist das
Publikum, besonders das wettende, mit diesen Ent-
scheidungen nicht immer ganz einverstanden, und öfters
als einmal schon wurde der Richter bei seiner Rück-
kehr mit Johlen und Pfeifen empfangen. Aber die Miß-


XXVIII. 10. B.
 
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