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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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11. Heft
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Tovote, Heinz: Das boykottierte Baby: Novelle
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0325

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136

MODERNE KUNST.

„Freilich, ehrenvoll! aber gefreut hat es uns nicht, daß ich damals fort mußte.
Da lagen wir nun den ganzen Januar und Februar vor Afrika und hatten rein
nichts zu tun, während die Diplomaten sich auf Mord zankten. Eines Tages
aber klappte was mit unserer Maschine nicht, und es half nichts, wir mußten
einen fremden Hafen anlaufen. Als wir da vor Lissabon lagen, stellte es sich
heraus, daß sicher zehn, zwölf Tage darüber hingehen würden, ehe wir unsern
Posten wieder einnehmen konnten. Zu tun war nicht viel. Wir hatten in steter
Kriegsbereitschaft gelebt, und eine Ruhepause tat uns allen not. Es gab Land-
urlaub, so viel man haben wollte. Ich ließ ihn mir für die ganze Zeit geben,
angeblich, um nach Madrid zu fahren, da ich spanisch geochst hatte, und mich
weiter bilden wollte.“
„Ach, und da —“
„Ja, da fuhr ich natürlich nicht nach Madrid, sondern mit dem Expreß über
Paris direkt nach Kiel, so schnell es ging.“
„Bravo! hätte ich genau so gemacht! Sie brauchen nicht zu erröten, Frau
Gretel! Das ist doch selbstverständlich.“
„Warten Sie nur ab, das Schlimmste kommt ja noch nach.“
„Also: da war ich nun in Kiel. Kein Mensch hatte mich gesehen. Räuber-
civil, bis über die Ohren eingemummelt, und plötzlich stand ich hier drinnen in
der Stube. Die Bertha wurde vorgenommen, sie hat ewiges Stillschweigen
geschworen mit heiligen Eiden.“
„Und das will sie nun auch halten,“ warf Frau Gretel ein.
„Und ebenso heimlich, wie ich gekommen, verschwand ich wieder, und kein
Mensch hat erfahren, wo ich meinen Urlaub zugebracht.“
„Na also! Dann ist ja alles herrlich und schön!“
„Natürlich, glaubst du! Herrlich und schön! Das kann auch nur ein so
unwissender Junggeselle sagen, der von der Welt und den alten Tanten, die
sie verunzieren, keine Ahnung hat.“
„Erlaube mal, ich . . .“
„Ich erlaube garnichts. Höre nur erst zu.“
„Bin ganz Ohr! Aber seit du Vater bist, hast du dir eine so stolze Über-
heblichkeit angewöhnt.“
„Ganz recht, seit ich Vater bin! Darum nämlich handelt es sich. Also,
Gretel, möchtest du nun nicht doch hinausgehen?“
„Laß nur, Fritz!“
„Also schön! Die paar Tage waren nur allzu rasch hingegangen, obgleich
ich keinen Schritt aus dem Hause getan. Ich kam zur richtigen Zeit zurück.
Zwei Tage lagen wir noch in Lissabon, dann gingen wir wieder auf unsere
afrikanische Station, und nach Jahresfrist, als ich zurück kam, da war ich in-
zwischen Vater geworden, und du weißt ja: das Glück war groß. Nun sollte
der kleine Kerl aber gleich getauft werden. — Weißt du, so eine junge Frau
hats schwer, die allein ist, während der Mann draußen auf dem Meere herum-
gondelt. Die anderen haben sich ihrer nicht weiter angenommen, aber daran
war sie wohl selber viel Schuld, denn die Gretel hat schrecklich einsam gelebt
und dann hatte sie ja auch schließlich ihre Mutter, die gleich zu ihr gekommen
ist, als es so weit war. Da brauchte sie die anderen nicht weiter. Endlich war
ich wieder da, und alles schien gut. So wenigstens dachten wir in unserer
Dummheit. Aber es war garnicht gut, sondern übel. Ich hatte gleich nach
meiner Rückkehr den Tag der Taufe festgesetzt. Denn das arme Würmchen
sollte nicht länger als Heidenkind herumlaufen, und ich schrieb schleunigst Briefe
an die lieben Bekannten und die Paten, denen wir die Ehre antun wollten.
Aber die Zusagen kamen nicht so prompt, wie wir uns das vorgestellt hatten.
Im Gegenteil, sie blieben aus; und da saßen wir denn ratlos, und es mußte was
geschehen, um das Rätsel zu lösen. Ich machte mich also auf die Socken, um
auf Kundschaft zu gehen. Die Leute waren alle so komisch. Sie hatten die
seltsamsten Ausflüchte, drehten und wendeten sich. Bei einigen wurde ich gar-
nicht erst empfangen. Sie hatten angeblich eine Reise vor, — hatten sich für
den Tag schon besetzt, so daß ich stutzig wurde. Erst als ich zu Onkel Waldemar
kam, ging mir ein Licht auf.“
„Sag mal!“ fragte er mich, „wann bist du eigentlich damals abgefahren?“
„Anfang Januar, sagte ich harmlos, du weißt ja.“
„Ja, das weiß ich. Na, und wann ist dein Junge geboren?“
„Am achten Dezember!“
„Sag mal: In der Naturgeschichte bist du wohl immer ziemlich schwach
gewesen?“
„Da endlich begriff ich. Die guten Leute und lieben Freunde rechneten.
Sie hatten das genau abgezählt und nachgerechnet. Das verstanden sie — zu
rechnen — und da war die Sache für sie klar. Es stimmte nicht! und wir und
das arme Baby sollten boykottiert werden.“
„Wahrheitsgemäß erklärte ich dem Onkel nun den Sachverhalt.“
„Ja, ja,“ schmunzelte er. „Bist ein braver Kerl. Wie hieß
er doch der olle Römer, — ach so, Mucius Scävola —•
und du hast vielleicht recht, tust vielleicht ganz
klug, aus christlicher Barmherzigkeit, für
das Gretel, daß du der Sache
solch einen .Dreh geben
willst; aber du
mußt bloß nicht
verlangen, daß wir <£•


das nun auch glauben sollen. Unerlaubte Entfernung vom Heer! Nee, mein Junge,
damit führst du mich nicht hinters Licht, mich nicht! Wer weiß, vielleicht sind
die anderen so dumm, es zu glauben.“
„Na, ich habe ihm meine Meinung nicht vorenthalten und bin wütend nach
Hause gerannt. Dann habe ich mich in den vorschriftsmäßigen Anzug geworfen
und habe meinen einstigen Kapitän aufgesucht, und ihm ohne Einleitung die
dienstliche Meldung gemacht, daß ich damals im März nicht nach Madrid ge-
fahren sei, wie ich angegeben hatte, sondern direkt nach Kiel zu meiner
kleinen Frau.“
„Aber Bester, was geht mich das noch an?“ sagte er. „Ich habe nichts gehört.
Sie haben Ihren Urlaub gehabt, Sie waren pünktlich zurück. Damit ist die
Sache für mich erledigt. Ich danke für nachträgliche Scherereien. Ich kann
Sie doch nicht nach einem geschlagenen Jahr wegen solcher Lappalie bestrafen.
Ich bin ja gar nicht mehr Ihr Vorgesetzter. Mich geht die Sache nichts an. Ist
ja sehr ehrenvoll, daß Sie mir das privatim erzählen, aber dienstlich nehme ich
keine Kenntnis davon.“
„Vergeblich suchte ich ihm klar zu machen, weshalb ich ihm das vortrug.
Er wehrte ab. Er will nicht darauf eingehen.“
„Da sitze ich nun. Kein Mensch glaubt mir. Ich aber will meine Strafe.
Ich will es attestiert haben, gerichtlich attestiert, daß ich mich unerlaubt weiter
entfernt habe, als ich durfte, und daß ich die ersten Märztage des vorigen Jahres
hier in Kiel in meiner Wohnung zugebracht habe.“
„Du lachst?! Aber Mensch, begreifst du denn nicht? Ich will durch Zeugen
gerichtlich beweisen, daß ich zu der Zeit hier in Kiel war.“
„Ach,“ sagte Gretel, „die erste und einzige Zeugin versagt ja schon. Die
Bertha will Stein und Bein schwören, daß du nicht hier warst. Sie hat es uns
einmal zugeschworen, sagt sie und dabei will sie bleiben, und wenn man sie mit
glühenden Zangen zwickt, sagte sie.“
„Und wen hast du noch als Zeugen?“ fragte der Freund.
„Eigentlich niemand sonst. Vielleicht noch den Gepäckträger, den ollen
Ehlers. Aber ich war ja so versteckt in meinem hochgeschlagenen Kragen, daß
der mich schwerlich erkannt hat, und ich kann doch jetzt unmöglich hingehen
und ihn fragen, sonst heißt es gleich, daß ich ihn bestochen habe! Das geht
doch nicht, daß ich mich dem aussetze: „Beeinflussungsversuch von Zeugen!"
Ich danke.“
„Eine schöne Geschichte!“ lachte Schaffer.
„Also da bleibt mir nichts übrig, ich mache eine Selbstanzeige, und die
Geschichte muß vors Kriegsgericht. Ich will meine Strafe haben. Ich will ein
Gerichtsurteil. Damit mein armer Junge nicht länger boykottiert bleibt und die
Gretel scheel von der Seite angesehen wird und mit dem schwersten Verdacht
belastet herumlaufen muß. Ja, du lachst! . . . Aber uns ist es bitter ernst. Es
ist und bleibt die einzige Möglichkeit, uns zu rehabilitieren. Sonst enterbt uns
am Ende noch Onkel Waldemar. Das wäre furchtbar!“

Vier Wochen später fand die Verhandlung gegen den Leutnant zur See
Werner denn auch statt.
Es hatte die größte Mühe gekostet, bis es dazu kam.
Bertha hatte endlich begriffen, um was es sich handelte. Der Gepäckträger,
Herr Ehlers, hatte an dem Abend — er wußte zufällig genau den Tag — seiner
Frau beim Nachhausekommen gleich erzählt, daß: wenn er nicht wüßte, daß der
tlerr Leutnant Werner mit der Vineta in Afrika sei, er schwören möchte, daß
der eingemummelte Herr der Herr Leutnant zur See gewesen sei. Die Hand-
tasche sei es entschieden gewesen. Der Droschkenkutscher, den er am andern
Tage hatte fragen wollen, wohin er seinen Passagier gefahren, konnte sich jetzt
nicht mehr erinnern. Der versagte völlig. Schließlich wurde das Urteil gefällt:
„wonach der Leutnant zur See Werner, weil er, mit Urlaub nach Madrid, sich
unerlaubt in der Zeit vom 3. bis 9. März nach Kiel entfernt hatte, mit drei Tagen
Stubenarrest bestraft wurde.“
Er sorgte dafür, daß diese Verhandlung in allen Zeitungen an auffälliger
Stelle erschien.
Am andern Tage schon kamen die Besuche von allen Seiten.
Er selbst konnte sie nicht empfangen, denn er hatte seinen Stubenarrest
gleich angetreten; aber sie kamen alle, um die junge Frau zu bedauern und zu
trösten. Keiner wollte nun mehr bei der Taufe fehlen. Nie zuvor hatte ein
Täufling so viel Serviettenringe, vergoldete Trinkbecher und silberne Bestecke
bekommen als das boykottierte Baby, dem erst die Bestrafung des Vaters zu
seinem Anrecht in der Gesellschaft verholfen hatte.
Onkel Waldemar aber stiftete in seiner Zerknirschung gleich ein kleines
Kapital für den Täufling, und als Tante Emilie bewundernd ausrief:
„Ganz der Papa!“ da stimmte er voller Überzeugung'ein und
drückte dem Vater die Hand, und versicherte ihm
immer wieder, daß er selber ein Idiot gewesen
und daß er sich nur von Tante
Emilie mit ihrer blöden Rech-
ei hatte verblenden
lassen, von der
lieben Gretel so
etwas zu glauben..
 
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