Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

DOI issue:
12. Heft
DOI article:
Heilborn, Adolf: Vom Karneval, von Maske, Tanz und Mummenschwanz
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0347

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
146

Vom Karneval, von TDaske, Tanz und IDummenschanz.

Gin Capriccio,


.in märchenhafter Festsaal scheint der Markusplatz. In langer Reihe pflanzen
sich die hohen Bronzekandelaber längs der Seitenwände, von deren Nischen
und Baikonen olivengrüne, samtne Decken hangen, blaßrote Teppiche mit
dicken Quasten, viel Hunderte in monotoner Schlichte; vorauf der Kampanile, wie
eine Hand mit aufgerecktem Finger zu den blassen Sternen weisend, der Markuskirche
bunte Pracht: ein zauberhaftes Feenschloß im Strahlenglanze all der gelben Sonnen.
Ein Summen in der Luft, ein Lachen, Plaudern, Rufen, und wie Meeresleuchten in
allen Farben funkelnd, rot und grün und schwarz und blau und weiß, aufblitzend,
nun verschwindend, nun wieder sattes Grün und weißer Schnee mit Blut besprengt,
strömt's auf und nieder, biegt zur Piazetta ein, ballt sich um jene Säule mit dem
Löwen, schlingt sich, ein künstlich Phosphorband, um jene Säule mit dem Ritter, ver-
ebbt in die Arkaden, fließt sacht zur Seufzerbrücke ab, treibt längs des maurischen
Palasts der Dogen, eint wieder sich zu breitem Strome auf des Platzes glatten Fliesen
und lärmt und jauchzt und schiebt sich durcheinander. „Karneval!" Und in Venedig
Karneval! Eine sanfte Melodie klingt in uns auf, sich wiegend, lang gedehnt, aus
längst verwichenen Kindertagen, wie aus einer schildkrötnen Spieldose schimmernd.
Da zieht einer in reichgesticktem, altvenetianischem Rocke, in weißer Perücke und
kurzen, seidnen Hosen, den Dreispitz unterm Arm als „Illustrissimo" auf dürrem
Spinnebeinen einher, und „aria“ bahnt er sich Raum. Da kommen Arm in Arm, wie
Täubchen schnäbelnd, Arlecchino und Colombina, ein hellroter Grieche, ein rotmütziger
Chiozzote mit braunem Flauschmantel, ein vornehmes Pärchen dahinter, die Dame in
hellgelbem Moire, die her-
melinverbrämte Samtman-
tille leicht auf den Achseln
haltend, der Cavaliere ser-
vente als Lord Byron, Ritter,
Bauern, Pantalone. Ein
Trupp lautschreiender Bur-
schen, alle in Mehlsäcken,
mit langen weißen Nasen,
jagt hinter einem Hofherrn
mit riesigem Hute her und
höhnt den Nobile. Der läßt
sich nicht im geringsten
stören, wirft jeder schönen
Frauenmaske Sträußchen
und Zuckerwerk zu und
säuselt in sanftesten Tönen
„o carissima bella“. Plötz-
lich machen die Mehlsäcke
kehrt: „di grazia Striori
abiamo premura, multa!
premura", und wie Flocken-
stieben wirbelt’s quer über
den Platz. Da tanzen und
singen ein Dutzend Pulci-
nellen in langen Zucker-
hutmützen, mit Leinwand-
krausen, auf den weißen
Wämsern blutrote Herzen,
in weißen Hosen und
weißen Schuhen, vorm Ge-
sicht die schwarze Maske
mit der Vogelschnabelnase.
Eine seltsame Kapelle spielt
ihnen auf. Der Capo streicht
mit dünner Säge eine Reibe,
und Eisenstangen, die sie
feilen, sind die andern Gei-
gen. Nun hebt der Capo
seine Säge: „pian1, pian’!"
und auf ihren kupfernen
Trichtern fallen die Bläser
fortissimo ein, gravitätisch
sägt der Capo den Takt
„bell bello, bell bello“ wie
zum Trauermarsch. Türken
und Fischer, Räuber und
Dominos schieben sich vor-
über, an den Fenstern all-
überall Damen mit Lor-
gnetten, in kostbarer Seide,
mit goldnen Ketten, sie


[Nachdruck verboten.]
deuten auf diesen und weisen auf jenen und winken mit Fächern und lachen und
rufen. Ein „Tedesco" mit goldblonder Löwenmähne, die mächtige Brille vor den Augen,
das Gesicht über und über vom Barte starrend, ein dickes Buch unterm Arme, und
im Schlafrock zieht würdevoll, ein Philosoph vom Scheitel bis zur Sohle, von nichts
beirrbar, durch die Menge. Die lange, dürre Gattin ihm zur Seite hat zwei Gesichter,
ein ernstes, gar gestrenges vorn, der Ehehälfte zugewandt, ein heiteres und von allen
Amoretten frohumspieltes hinten, das all den Stutzern lächelt; nun knixt sie selbst
und wirft Kußhände. Mandolinenklimpern, ein Zug von Neapolitanern, mit roten
Schärpen und mit roten Mützen, biegt von der Piazetta ein: „Addio bella Napoli,
addio, addio" und wie sie enden, beginnt ein Paar die Tarantella, das Tamburin
summt, die Schellen klirren. Dort drüben hüpfen zum Klange der Trommel als bunte
Harlekins vier große Pudel. Ein Dudelsack schnarrt, und Bauern schlingen die Qua-
drille. Ein Domino bleibt stehen und ruft in heller Freude einer Colombine, deren
Hand er faßt, „conosso, conosso" und einen Namen zu; die schüttelt lachend den
maskierten Kopf, und „non conosse" geht sie weiter. Und immer bunter wird das
Wogen, und immer enger schließen sich die Reihen, und immer lauter lärmt’s wie
Brandung und funkelt von blitzenden Edelsteinen und goldnen Ketten und nickt mit
Federbüschen und ringelt sich wie Knäule dichtverstrickter Riesenschlangen. Konfetti
sprüht auf wie schwere Regentropfen, hier tönen Geigen zärtlich lockend, dort ein
derbes Volkslied in langgezogenen Tönen. Jetzt heben auf dem Uhrenturm die Männer
ihre Glockenhämmer: zwölf feierliche Schläge hallen über die Menge. Die löst sich
sacht aus der Verschlingung,
strömt hier in diese Gasse
und dort in jene. Am Molo
schaukeln die Gondeln, nun
leuchten ihre Lämpchen wie
Irrlichte, hüpfen da und
dort, auf dem Canale grande
ist’s wie eine Kette bläu-
lich-weißer Perlen . . .

„Wie froh will ich sein,
wenn die Narren künftigen
Dienstag Abend zur Ruhe
gebracht werden! Es ist
eine entsetzliche Seccatur,
andere toll zu sehen, wenn
man nicht selbst angesteckt
ist!" schreibt Goethe 1788
aus Rom. „Das römische
Karneval ist ein Fest, das
dem Volke eigentlich nicht
gegeben wird, sondern das
sich das Volk selbst gibt...
Wir müssen selbst gestehen,
daß es einem fremden Zu-
schauer, der es zum ersten-
male sieht und nur sehen
will und kann, weder einen
ganzen, noch einen erfreu-
lichen Eindruck gebe, we-
der das Auge sonderlich
ergötze, noch das Gemüt
befriedige". So urteilte ein
Goethe vom römischen Kar-
neval, und so auch be-
schrieb er ihn, kalt zeich-
nend und moralisierend,
wo er hätte fröhlich tollen
müssen. Denselben Kar-
neval, in den E. T. A. Hoff-
mann sein zierlich Märchen
von der Prinzessin Bram-
billa kapriziös in der Manier
von Jakob Callot verschlun-
gen hat.
Gewiß, uns Nordlän-
dern wird das eigentliche
Wesen des Karnevals immer
fremd sein. Es gehört wohl
das Blut des Italieners und
die Mystik des Katholi-

Hela Peters: Tänzerin.
 
Annotationen