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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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13. Heft
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Klitscher, Gustav: Der Platzhalter
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0386

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i68

MODERNE KUNST.

hier in dieser Situation so lange warten zu lassen! Aber jetzt war ihm alles
gleich. Er hatte das seinige getan. Jetzt wollte er sich das Leben wenigstens so
angenehm wie möglich machen. Und er tat, was in diesem Falle entschieden
das zweckmäßigste war, er begann mit den eleganten Damen ein Gespräch.
Bei gegenseitigem Verlangen nach Lebensfreude war bald eine angeregte
Unterhaltung im Gange. Ja, es dauerte nicht allzulange, bis ein erstes fröhliches
Lachen aus der kleinen Gruppe hervorklang, sehr zum Arger des beleibten Ehe-
paares, das giftige Blicke über den Tisch warf, während der beleibte Hund auf
dem Schoß der Herrin die Zähne fletschte und bösartig knurrte. Auch diese
drei waren sehr für Lebensfreude, aber nicht bei andern. Doch Erich Dircksen
focht das nicht mehr an. Dircksen war beim vierten Pilsner und dachte an das
fünfte, sein Herz schlug voll Fröhlichkeit, und die Musik spielte „Winterstürme
wichen dem Wonnemond“ — da scholl plötzlich eine etwas fettige Stimme
mit einem Ton, der diesmal einer ungewohnten Schärfe nicht entbehrte, an
des fröhlichen Mannes Ohr: „Ich dachte, Sie wollten uns Plätze reservieren
und jetzt sitzen Sie in anderer Gesellschaft? — Mein Gott, so spät ist es doch
noch nicht — Nellis neues Kleid erforderte einige Vorbereitungen — ich ver-
stehe wirklich nicht.“
Dircksen war aufgefahren. Sein Blick fiel auf Nelli, auf ihre Mutter und

ihre Schwestern, und plötzlich hatte er eine Vision. Er sah seine Zukunft vor
sich ausgebreitet wie ein Gemälde. Er war der glückliche Gatte Nellis — seine
Schwiegermutter trug nicht unwesentlich zu diesem Glücke bei — und Nelli
wurde niemals fertig. Des Morgens nicht, des Mittags nicht und auch des
Abends nicht.
Ungesättigt stürzte er ins Bureau und kam doch um ganze zehn Minuten zu
spät, der Postanschluß nach Dresden war unmöglich zu erreichen, von dem nach
Berlin gar nicht zu reden, von Tag zu Tag brach sein Ehrgeiz, sein Stolz, ja
seine Karriere zusammen - - und sein Blick fiel auf das beleibte Ehepaar, das
höhnisch lachte, einschließlich des beleibten Hundes, was sein Blut in Wallung
brachte, und sein Blick fiel auf die eleganten Damen, die ihn teilnahmsvoll an-
sahen, was seinem Herzen Wohltat, und plötzlich entrangen sich seinem Munde
die geflügelten Worte: „Gnädige Frau! Seit zwei Stunden warte ich hier auf Sie.
Dieser Stuhl ist das Letzte, was mir geblieben ist. Nehmen Sie ihn hin, setzen
Sie sich — er sei Ihnen geweiht. Mich aber entschuldigen Sie gütigst! Ich ziehe in
die böhmischen Wälder, wo es keine Wagnerkonzerte und keine Theater und keine
Tennisplätze gibt und beginne ein freies Räuberleben. Leben Sie wohl!“-
Der Oberpostassistent Erich Dircksen hat sich später dahin geäußert, in jenem
feierlichen Moment wäre eine gewisse gehobene Stimmung über ihn gekommen.


Louis Tuaillon: Reiter einen Stier treibend.

Clnscre

Es gibt wohl kaum einen anderen Künstler, der, aus dem achtzehnten Jahr-
hundert stammend, mit solcher Unmittelbarkeit und Frische zu uns spräche
wie Camille Corot, dessen Landschaften die Stimmung eines unendlichen
Friedens innewohnt. Es scheint ein Flötenton aus arkadischen Gefilden herüber-
zuwehen. Aber Corots Kunst ist dabei realistisch, insofern nichts in seinen
Landschaften der Wirklichkeit widerspricht. Freilich zeigt sie sich zur Poesie
erhöht. Bäume, die sich zart wiegen, und feiner Schleiernebel, der über einen
See liegt, umhüllen den Beschauer wie mit einem leisen Duft. Das ist auch auf
seinem Gemälde „Frühlingsmorgen" der Fall. Gerade der Frühling mit
seinen leicht verhüllten Stimmungen entsprach seiner Kunst besonders.
Eine Szene aus dem Leben der Bergleute, deren Zügen ihr gefahrvoller
Beruf gewöhnlich einen herben Ernst aufdrückt, schildert Otto Seek in seiner
„Andacht der Rüdersdorfer Bergleute“. Ernsten Antlitzes ist einer der
Gedingenehmer zum Lesepult emporgestiegen. Um ihn her sitzen die Knappen,
sonnenverbrannte, im Dienst ergraute und bewährte Männer, und junge kräftige
Gestalten, alle im Arbeitskleid mit Brecheisen und Picke. So treten sie in kurzer
Andacht vor Gott und vereinigen ihre Bitten um seinen Schutz in Not und Gefahr.

JStlder, -<3^
In das Berliner Apollotheater versetzt uns Hans Michaelsons Ge-
mälde, das den Blick auf einen Teil des Zuschauerraums und vor allem auf die
große Bühne freigibt, auf der gerade Tänzerinnen ihre Kunst dem Publikum dar-
bieten. Ist ja doch das Apollotheater in Berlin keine Stätte strenger, klassischer
oder moderner Bühnenkunst, sondern eine der Unterhaltungsstätten, in die der
Berliner nach seinem anstrengenden Arbeitstage gern eilt. Die Stimmung, die
über diesem Raum lagert, hat Hans Michaelson gut zu treffen verstanden.
Zu unseren bedeutendsten Bildhauern gehört Louis Tuaillon, dessen
Amazone, zu Pferde sitzend und die Streitaxt in der Hand, vor der Berliner
Nationalgalerie Wacht hält. Überhaupt liebt es dieser Künstler, Reiter darzustellen,
da er für den edlen Bau des Pferdes, das er ausgezeichnet wiedergibt, das feinste
Verständnis besitzt. Aber auch andere Tiere, denen plastische Wucht inne-
wohnt, wie z. B. Rinder, finden wir in seinen Werken. Das trifft auf sein großes
Vollrelief „Reiter einen Stier treibend“ zu. Ein Zug der Schönheitswelt
aus Alt-Hellas liegt über diesen Gestalten, in denen die Freude an harmonischer
Kraft vortrefflich zum Ausdruck gelangt.
 
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