Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

DOI issue:
14. Heft
DOI article:
Rittland, Klaus: Die Ehen des Herrn von Brenkhusen, [9]
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0406

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
I 7 I


des JHerrn üon Jlrenlfljuseri.
Von Klaus Rittland (Elisabeth Heinroth)


XIII. [Fortsetzung.]
|ast anderthalb Jahre waren dahingegangen. Wenn Curt Brenk-
husen auf diese Zeit zurückblickte, sah er sie in der Gestalt
eines Pfades, der aus blühender Landschaft in eine dürre,
freudlose Sandebene hinabführt. Hier und da wächst .wohl noch eine
Blume am Wege, hier und da fällt das Auge auf ein Kornfeld, das müh-
same Arbeit dem dürren Boden abgerungen hat — aber kärglich nur gibt
die Natur, und immer karger werden ihre Spenden, je länger der Weg
sich hinzieht.
Wie das so gekommen war, welche Einflüsse auf , sein Leben ge-
wirkt hatten, daß es so sehr an Reiz und Frische, an feiner Würze ver-
loren hatte? Curt vermied es, sich ernstlich darüber Rechenschaft zu
geben.
Der Gedanke demütigte ihn vor sich selber, daß er so wenig Wider-
standskraft besaß, daß er sich durch fremde Einflüsse derartig herab-
drücken ließ, durch Umstände, die kein vernünftiger Mann als widriges
Schicksal bezeichnen würde und die er doch so schwer und peinlich
empfand. Ein Mensch mit allzufeinen Fühlfäden. Wie seelenempfindlich
er war, wie angreifbar für das Leid, das hatte er nie so gewußt wie
jetzt, da er ein reifer, starker Mann hätte sein sollen, einer, der auf
festen Füßen steht und unangenehme Dinge ruhig beiseite schiebt.
Er sah jetzt ein, wie sehr er sich selber verwöhnt, wie er im langen
Fürsichleben dem allerfeinsterj Luxus sich hingegeben hatte: den Nei-
gungen seiner geistigen Persönlichkeit rückhaltlos zu folgen. Er be-
durfte, nach der Unruhe und Verantwortlichkeit des Dienstes, nach den
Anregungen eines in mäßigen Grenzen gehaltenen geselligen Verkehrs,
der Stunden tiefer Sonntagstille, der weißen Stunden, die ihm Raum
ließen zum Ausspinnen seiner Gedanken, zur Aufnahme der feinen,
auserlesenen Speise, deren sein
Geist bedurfte.
Und er brauchte Höhenluft!
Er brauchte eine Atmosphäre
verfeinerter Kultur, äußerlich an-
spruchsloser Vornehmheit. Mit
leisen, zarten Füßen sollte das
Leben um ihn wandeln. Jetzt
stampfte es mit Doppelsohlen und
trieb ihn an mit heller, frischer
Stimme: Immer munter, hopp,
hopp!
War er wirklich zu alt für
die Ehe mit einer jungen Frau?
Nicht doch.
Er mußte lächeln, wenn er
an die Vorstellung dachte, die er
als junger Student von einem
fünfzigjährigen Manne gehabt
hatte, die Vorstellung wohl jedes
Zwanzigjährigen: ein müder Mum-
melgreis, ohne Sehnsucht und
Sinnenglut.
Nein, diese Müdigkeit lag
noch in weiter Ferne für ihn.
Und doch — vielleicht war
er doch zu alt für seine, gerade
für diese Frau?
Die Freuden, nach denen sie
gierig haschte, erschienen ihm
schal, die Dinge, die sie vor allem
wichtig nahm, dünkten ihn klein,
wesenlos. War es denn nötig,
in Trivialitäten zu versinken,

Copyright 1913 by Rieh. Bong.
wenn man seine Pflichten gegen Weib und Kind erfüllen, wenn man ein
guter Familienvater sein sollte?
Das Kind entfaltete sich wunderbar lieblich, ein sonniges Ge-
schöpfchen, das jedem neuen Tag entgegenlachte — seines Vaters Ent-
zücken. Auch die junge Mutter liebte, es zärtlich, auf ihre Art. Es
wurde gehätschelt, gut genährt, in schöne weiße Spitzenröckchen ge-
kleidet —- übrigens aber ziemlich viel der Obhut des Kindermädchens
anvertraut. Die Mama hatte zu viel anderes, was ihren Tageslauf jetzt
ausfüllte.
Nach der langen, häuslich stillen Zeit, die die Geburt der Kleinen
mit sich gebracht hatte, war ein heftiger Vergnügungshunger in Fanny
erwacht. Bald gab es eine Verabredung mit dem unvermeidlichen Ehe-
paare Kollmann, bald mit einer jungen Rechtsanwaltsfrau, die in der
Nachbarschaft wohnte und Fanny fast täglich zu Besorgungen oder zum
Bummeln auf der Georgstraße, bei Militärmusik, abholte.
Bei den Abendvergnügen spielte jetzt der neue „Kino“ eine große
Rolle, ein so großartiger, wie Hannover ihn noch nie gesehen hatte; das
nachfolgende Kneipstündchen war selbstverständlich. Und wenn Curt
sich sträubte, ging Fanny allein. „Man muß doch sein Leben genießen!
Wer weiß, wie lange man’s kann. In der Stube sitzen und Trübsal
blasen, das bleibt einem immer noch, wenn man mal ein gichtkrankes
altes Leut' ist. Hab’ ich nicht recht?“ Das war die Grundlage ihrer
Lebensphilosophie.
Und wenn sie daheim war, dann saß jetzt meistens die neue „mütter-
liche Freundin“ bei ihr, Frau Rätin Tietzel (was für ein Rat ihr Seliger
gewesen war, blieb dunkel), eine äußerst zungengewandte ältere Dame.
Sie kannte alle Skandalgeschichten, die in Hannover seit dreißig Jahren
passiert waren, und stand der
jungen Frau gern in allen Lebens-
fragen mit Rat und Tat zur Seite.
. Curt Brenkhusen hatte immer
die Empfindung, als ob eine
Raupe ihm über den Hals kröche,
wenn er in das Zimmer seiner
Frau trat und da wieder die lange,
dürre, süßlich lächelnde Dame auf
dem Sofa thronte. Sie wollte
dann immer „gleich sich emp-
fehlen“, empfahl sich aber nie.
„Sie ist so eine liebe Frau, so
gescheit und gefällig,“ meinte
Fanny, „und du glaubst nicht,
wie sie sich für uns interessiert.“
Ja, das glaubte er wohl, nur all-
zusehr. Er hatte stets das Ge-
fühl, als ob die Dame all’ seine
intimsten Angelegenheiten neu-
gierig prüfend durch ihre langen,
dürren Finger gleiten ließe, und
an jedem, das sie berührt hatte,
blieb etwas Schmutz haften, alles
wurde in eine trübe, gemeine
Sphäre hinabgezogen.
„Immer, wenn ich jemand
gern habe, ist er dir zuwider,“
klagte Fanny oft, „und man hat
doch Menschen nötig.“
Sie hatte allzeit Menschen
nötig; immer mußte es um sie
herum schwatzen und lachen,
sonst kam sie sich trübselig ver-

M ^

Richard Müller: Nach beendetem Spiel.
 
Annotationen