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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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15. Heft
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Skowronnek, Fritz: Gefährliches Handwerk
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0444

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MODERNE KUNST.


Gefährliches ]-{andu2epl(.
Plauderei von Fritz Skowronnek.
[Nachdruck verboten.]
ach alter germanischer Anschauung war Wald und Wasser Gemeingut
des ganzen Stammes. Jeder freie Mann durfte jagen, soweit der Himmel
blau war und der Wind ging. Er speerte den Lachs, der zum Laichen
im Quellbach emporstieg, und den Hecht im Röhricht des Sees. Diese para-
diesischen Zustände änderten sich erst, als aus dem gewählten Herzog ein Fürst
wurde, der mancherlei Vorrechte für sich in Anspruch nahm. Das war der
Beginn einer unheilvollen Entwicklung. Denn dasselbe tat der Adel, der sich
immer mehr über die Gemeinfreien emporhob, und die Geistlichkeit, die schon
früh den Wert irdischer Besitztümer erkannt hatte. Zuerst rafften diese drei
Gewalten das Gemeingut an sich, und schließlich wurde auch der freie Bauer zu
einem an die Scholle gefesselten Hörigen.
Das Weidwerk, die Schule des Mannes für das Waffenwerk, wurde ein
Privileg der Bevorrechteten, das die Unfreien härter drückte als schwere Fron-
arbeit. Das Wild, das im Übermaß geschont wurde, verwüstete ihre Äcker.
Wer sich dagegen auflehnte, oder gar ein Stück Wild tötete, wurde grausam
gestraft. In Österreich, in Bayern, in Sachsen brachen Aufstände aus, die nur
durch die Wildplage veranlaßt wurden, und auch bei dem großen Bauernkrieg
zu Luthers Zeiten war dieselbe Ursache eine der treibenden Kräfte. Das gleiche
gilt für die große französische Revolution. Dort hatte der Adel das Privileg,
überall da zu jagen, wo es ihm beliebte. Mit Troß und Meute zogen die Herren
wochenlang durch das Land und verwüsteten die Fluren der Bauern.
Um so schärfer war der Rückschlag! Die Revolution vernichtete alle Pri-
vilegien, aber auch den ganzen Wildbestand. Denn jeder durfte im Wald und
Feld niederknallen, was ihm vor die Flinte kam.
Einen ähnlichen Zustand führte das tolle Jahr 1848 in Preußen herbei. In
Herden zogen schießwütige Bauern und Städter über die Fluren. Und der ganze
Wildbestand wäre ebenso wie in Frankreich vernichtet worden, wenn es nicht
noch rechtzeitig gelungen wäre, diesem Treiben durch ein vernünftiges Jagd-
gesetz Einhalt.zu tun. Unter der Herrschaft dieses Gesetzes ist an Stelle der
Privilegien der Geldbeutel getreten. Aber das Weidwerk, das nur von Leuten
betrieben werden kann, die diesem Vergnügen jährlich eine bedeutende Geld-
summe zu opfern vermögen, bringt Geld unter die Leute! Man hat ziemlich
genau geschätzt, daß die Jagd jährlich etwa 150 Millionen Mark in Umlauf setzt.
Noch viel bedeutsamer ist es, daß das Weidwerk auch ethisch empor-
gestiegen ist und die rohen Methoden früherer Zeiten, die keine Rücksicht auf
das Empfinden der Tiere kannten, überwunden hat. Auch das Schonen und
Hegen des Wildes, das Füttern zur Winterszeit, ist erst eine Errungenschaft der


Unzüchtige Kunstwerke? Arthur Lewin-Funcke: Brunnenfigur.
Verlag der Neuen Photographischen Gesellschaft A.-G., Steglitz.


Unzüchtige Kunstwerke? Max Ziegler: Bubi.
Verlag der Neuen Photographischen Gesellschaft A.-G., Steglitz.

neueren Zeit. Nur noch ein Übelstand haftet ihm an, der wohl nie überwunden
wird: die Wilddieberei. Die Jagdpassion steckt den Deutschen tief im Blut.
Und es gibt wenig Leidenschaften, die den Menschen so völlig ergreifen.
Mir ist ein Fall bekannt, daß ein Offizier, der sich vor der kleinsten Unehren-
haftigkeit wie vor Feuer hütete, nachts in das Revier eines befreundeten Groß-
grundbesitzers, in dessen Hause er verkehrte, wildern ging. Der Jagdherr, der
den prächtigen Jüngling hochschätzte, nahm ihm, als er zum erstenmal vom
Jagdpersonal beim gewilderten Hirsch betroffen wurde, das Ehrenwort ab, nicht
mehr zu wildern. Ja, er schenkte ihm sogar, um die Versuchung zu mildern,
den Abschuß eines starken Hirsches, dessen Geweih ihm gehören sollte. Nach
kurzer Zeit wurde der junge Offizier nachts zum zweitenmal ergriffen. Nun
kannte der Jagdherr keine Schonung mehr. Er erstattete Anzeige.
Ähnliche Fälle, daß Männer aus den gebildeten Kreisen dieser Leidenschaft
unterliegen, ereignen sich fast alljährlich. Da braucht man sich nicht zu wundern,
daß auch in den unteren Volksschichten, die durch keine solche Rücksichten
gehemmt werden, die Wilddieberei mit Eifer betrieben wird. Ja, selbst die
Unehrenhaftigkeit des Vergehens wird gar nicht empfunden. Dazu kommt noch,
daß die Strafen für Wildfrevel unverhältnismäßig gering sind, weil die Gesetz-
gebung in den Fehler verfallen war, das Wild als res nullius, d. h. als ein Ding
zu betrachten, dessen Eigentum selbst der Jagdberechtigte erst durch das Erlegen
erwirbt. Es wäre viel richtiger, die Wilddieberei als ein Vergehen gegen das
Eigentum zu bezeichnen und wie Diebstahl zu bestrafen.
Ob man auch zwischen Wilddieben und Wilderern unterscheiden müßte,
erscheint zweifelhaft. Die Wilddiebe sind nichts weiter als Fleischschießer.
Wohl spricht bei ihnen auch die Leidenschaft mit, aber die Hauptsache bleibt
ihnen doch die Beute, entweder das Wildbret oder sein Geldwert. Sie kennen
infolgedessen keine Rücksichten auf das Wild, sie schießen Kitz und Kalb, Ricke
und Tier. Weitaus höher stehen die Wilderer. Da gibt es manche, die nur
die Trophäe, Gehörn und Geweih rauben wollen, und andere, die auch die
Beute nicht verschmähen. Sie handeln in gewissem Sinne weidmännisch, indem
sie nur gute Böcke und Hirsche zu erbeuten trachten.
Von beiden Arten gibt es mehr Menschen, als man im allgemeinen glaubt.
Die meisten wissen gar nicht, daß zwischen Wilddieben und Grünröcken fort-
während ein erbitterter Krieg tobt, der alljährlich eine Anzahl Opfer fordert.
Beim Durchblättern einiger Jahrgänge der Fachblätter habe ich festgestellt, daß
jährlich etwa zwanzig Grünröcke und fast dreimal soviel Wilderer auf diesem
Schlachtfeld bleiben .... Ein grauenhafter Krieg im Frieden, bei dem früher
eine ungesunde Romantik auf seiten der Frevler stand. Da sang man zur Gitarre
sentimentale Lieder von den kühnen Söhnen der Berge, die ihre Beute mit sicherem
Schuß erlegen und tapfer gegen die „Schergen“ verteidigen. Jetzt steht wohl
allgemein die Sympathie aller Gebildeten auf seiten der Grünröcke, die in selbst-
loser Hingabe an ihren Beruf ihr Leben für ihre Schützlinge, das WTild, in die
Schanze schlagen müssen. Ein gefährliches „Handwerk“, das nur durch die über
jedes Lob erhabene Pflichttreue der deutschen Forstbeamten erklärlich ist.

XXVIII. 15 Z.-Z.
 
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