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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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15. Heft
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Hn., A.: Vom Bogen des Odysseus
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0445

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Vom Bogen des Odysseus.


as jüngste Hauptmannsche Drama hat wieder ein Problem berührt, an
dessen Lösung sich schon mancher Homerleser und -interpret vergeblich
versucht hat, das nämlich, welche Bewandtnis es eigentlich mit dem
Bogen des Odysseus habe, den keiner der doch in jugendlicher Vollkraft prangen-
den Freier der Penelope zu „spannen“ vermochte. Wer seinen Homer auf-
merksam liest, der findet bald heraus, daß es sich gar nicht um ein „Spannen“,
d. h. ein Anziehen der Sehne handelt, sondern daß es zunächst gilt, den Bogen
mit der Sehne zu bespannen, d. h. an dem Bogen die Sehne zu befestigen.
Das ist an sich bei einem Holzbogen gerade kein großes Kunststück, erfordert
auch keine übermäßige Kraftanstrengung; wenn Hauptmann daher
den Bogen seines Odysseus einmal ein „Krummholz“ nennt, so
verrät er uns damit, daß auch ihm das Geheimnis dunkel blieb,
das den Bogen des homerischen Odysseus und den Wettkampf mit
diesem Bogen umhüllt. Der Bogen des Odysseus war keiner der
üblichen griechischen Holzbogen, sondern ein fremdartiger, seiner
Form und Plandhabung nach den Freiern unbekannter, „hörnener“
Bogen: verraten wir es gleich, ein asiatischer, sogenannter „zusam-
mengesetzter“ Bogen, wie ihn noch heute namentlich die Turkvölker
führen. In der Ilias schildert Homer uns einen solchen Bogen, den
der Lykierfürst Pandaros besitzt, und der aus dem Gehörn eines Stein-
bocks verfertigt war. Der zusammengesetzte Bogen besteht heute aus
einem hölzernen Bogen als Kern und darauf geleimten und gepreßten Bündeln
von Sehnenfasern und Hornplättchen. Solch ein Bogen hat die merkwürdige
Eigenschaft, wenn er entspannt ist, sich nach der Vorderfläche zu (also entgegen-
gesetzt) durchzubiegen; er ist „reflex“ und bildet entspannt einen nach vorn
geöffneten Dreiviertelkreis. In den europäischen Sammlungen, beschreibt Klemm
diesen asiatischen Bogen, sieht man oft ungespannte, die einen Halbkreis
bilden; „es ist dann kaum möglich, sie aufs neue zu spannen.“ Um solchen
reflexen Bogen handelt es sich also offenbar bei dem Bogenwettkampfe der Freier
im Palaste des Odysseus. Daß diese Ansicht die richtige ist, dafür finden wir
bei Homer eine ganze Reihe von Beweispunkten.
Schicken wir zunächst voraus, daß schon in
einem Grabe aus der Zeit Ramses II. (13. vor-
christliches Jahrhundert) ein derartiger Bogen
gefunden worden ist, und daß wir ihm auf den
Denkmälern der Assyrier und Babylonier fast
überall begegnen: man darf so wohl schließen,
daß auch zu Homers Zeiten der zusammengesetzte
Bogen sich gelegentlich — als Gastgeschenk und
dergleichen, auch Odysseus erhielt ja seinen
Bogen von dem Argonauten Iphites zum Ge-
schenk — in Griechenland vorfand. Die zu-
sammengesetzten Bogen haben nun ferner ein
jeder mancherlei Besonderheiten, deren Wesen
nur ihrem Besitzer genau bekannt ist. Das
wußte zweifelsohne die kluge Pene-
lope, und deshalb ordnete sie den
Wettkampf gerade mit diesem aus-
ländischen Bogen an. Odysseus an-
derseits betrachtet sich, bevor er die Sehne auf-
spannt, seinen Bogen sehr eingehend, ob viel-
leicht während der zwanzig Jahre seiner Ab-
wesenheit sich irgend etwas in den Elastizitäts-
verhältnissen usf. geändert habe. „Traun, das
ist ein schlauer und listiger Kenner des Bogens;
sicherlich heget er selbst schon einen solchen
zu Hause,“ sagt einer der Freier davon. Odys-
seus weiß natürlich auch, daß man solchen
Bogen am bequemsten im Sitzen oder Hocken
bespannen kann: auf älteren griechischen Vasen-
bildern werden die skythischen Bogner, die
ihre Waffe besehnen, stets im Hocken oder
Sitzen dargestellt. Es ist gewiß bemerkens-
wert in diesem Zusammenhänge, daß auch der


Altgriechische
Streitaxt
mit durchbrochenem Blatt

galoppierenden Büffel tötete!



[Nachdruck verboten.]
chinesische Lizentiat der Militärwissenschaften, der seine Prüfung im Bogen-
schießen ablegte — erst seit 1905 ist ja in China der Bogen nicht mehr Kriegs-
waffe —, zunächst den etwa 2 m langen, „zusammengesetzten“ Bogen bespannen
mußte. Er setzte sich, wie uns der Jesuitenpater Etienne Zi berichtet, zu diesem
Zweck auf einen Stuhl, stellte das eine Ende des Bogens auf die Erde — die
Sehne ist bereits an diesem unteren Ende befestigt — und biegt ihn dann mit
beiden Händen über dem Knie, während ein Gehilfe die Sehne in die Kerbe am
oberen Bogenende brachte. Für gewöhnlich aber besehnt man (nach Büchner)
den chinesischen Bogen derart, daß man zunächst die Sehne am oberen Bogen-
ende befestigt und sie mit der Rechten hier festhält. Dann steigt
man mit dem rechten Beine zwischen Bogen und Sehne, wobei
die Vorderseite des Bogens nach unten sieht, legt die untere Bogen-
hälfte über das linke Knie, das jetzt den Gegendruck übernimmt,
und befestigt nun mit der Linken (unter starkem Aufwärtsbiegen
des Bogens mit der Rechten) die Sehne auch am unteren Bogenende.
So oder ganz ähnlich muß der homerischen Schilderung zufolge
auch Odysseus seinen Bogen bespannt haben. Der Schuß, den er
dann durch die „Öhre“ der zwölf in Reih und Glied dicht hinter-
einander aufgestellten Äxte tat, hat für uns nichts Verwunderliches
mehr, seitdem uns durch den Fund von Vaphio (1888) bekannt ge-
worden ist, daß man im ältesten Griechenland Streitäxte mit breit
durchbrochenem Blatte besaß. — Man ist gewöhnlich geneigt, den Bogen für eine
minderwertige Kriegswaffe anzusehen. Das trifft für den zusammengesetzten
Bogen, der übrigens noch heute mit 150—180 Mark bezahlt wird, keinesfalls zu.
Mit einem solchen Bogen schoß nach glaubwürdigen Berichten ein Mitglied der
türkischen Gesandtschaft in London (im 18. Jahrhundert) 900 m weit! Und von
den Hornbogen der Siouxindianer wissen wir von vielen Augenzeugen, daß ein
damit aus größerer Nähe auf einen Büffel abgeschossener Pfeil das Tier völlig
durchdrang, ja, in einzelnen Fällen noch einen zweiten, neben dem ersten
Einen vergleichenden Maßstab, sagt Hauptmann
Friederici, mag die Tatsache geben, daß der
mächtigste Colterevolver sein Geschoß nicht
durch den Körper eines Büffels zu treiben ver-
mag. Aber auch mit dem hölzernen Langbogen
vermag man beachtenswerte Schußresultate zu
erzielen. Noch heute blüht ja in England und
auch auf dem Kontinent (Frankreich, Belgien
und der Schweiz) der Bogenschießsport, und die
Sportsleute bedienen sich durchweg hölzerner
Bogen. Die besten englischen Bogen sind aus
Eibenholz gefertigt und kosten etwa 200 Mark.
Mit solchem Bogen schießt und trifft der eng-
lische Sportsman sein Ziel auf 91 —100 m. Seine
Vorfahren freilich — die Normannen brachten
schon unter Wilhelm dem Eroberer den Lang-
bogen nach England — schossen
noch auf ganz andere Strecken da-
mit: auf 200 m traf der englische
Bogenschütze des Mittelalters fast
stets seinen Mann, obschon er 10—12 Pfeile in
der Minute entsandte, und sein Bogen trug bis
600 m. In den Romanen Walter Scotts spielen
bekanntlich diese Bogenschützen, so im „Quentin
Durward“ und „Ivanhoe“, eine bedeutende Rolle.
Auf dem Kontinente bleiben die Leistungen der
Sportbogner weit hinter denen der Engländer
zurück: keine Gesellschaft schießt hier mehr als
50 m weit. Die Kraft, die zum „Anzug“ der
Sehne gehört, mißt der Sportsman mit Hilfe von
Gewichten. Ein guter englischer Bogen zeigt
60 Pfund Ziehgewicht, und selbst die englischen
Damenbogen haben 25 bis 30 Pfund Ziehgewicht,
was auf dem Kontinent häufig genug schon
sehnt, gespannt, aufgezogen. eine Männerleistung ist. Dr. A. Hn.

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2»chillers Schädel. Seit dem Jahre 1883, da des Hallenser Anatomen Her-
'vf mann Welcher Untersuchung über „Schillers Schädel und Totenmaske“
erschien, weiß die wissenschaftliche Welt oder, drücken wir uns etwas vorsich-
tiger aus, wissen die urteilsfähigen Anatomen, daß der in der Weimarer Fürsten-
gruft unter Schillers Namen bestattete Tote — nicht Schiller ist. Jene Bestattung
hat eine interessante Vorgeschichte. A'ls Schiller am 11. Mai 1805 im sogenannten
„Kassengewölbe“' auf dem alten Friedhof an der Jakobskirche beigesetzt ward,

gaben ihm nur wenige treue Freunde das letzte Geleit. Goethe war schwerkrank,
der Hof nicht in Weimar: so konnte es geschehen, daß das Begängnis ohne jed-
wede besondere Feierlichkeit verlief. „So begräbt man einen armen Mann“, hat
Stephan Schütze, der unter den Sargträgern war, in seinem Tagebuche darüber
geurteilt. Kein Mensch, auch Goethe nicht, hat sich hernach um die sterblichen
Reste Schillers gekümmert — obschon mehrfach im Kassengewölbe (dem Eigen-
tum der Landschaftskasse, die für jede „Versenkung“ einen Louisd’or erhob)
 
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