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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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16. Heft
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Anwand, Oskar; Brandenburg, Martin [Ill.]: Martin Brandenburg
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0464

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MODERNE KUNST.

Bei seiner innigen Liebe zur Natur be-
währt sich Brandenburg als Landschafter,
in dessen Arbeiten gleichsam ein kosmisches
Empfinden mit voller Klarheit und Unbe-
rührtheit verwoben ist. Welcher Waldes-
duft, welcher Schimmer des Lichtes, und
welches frische Atmen der Wiese sprechen
aus seiner „Morgensonne"! In einem andern
dieser Naturausschnitte, die der Künstler
„Gipfel" genannt hat, klingt die Freiheit und
Himmelssehnsucht, die uns beim Anblick eines
lichtgebadeten Bergeshauptes überkommt, mit
hellen Seiten an. Aber so Hohes Martin
Brandenburg hier leistet, sieht er in diesen
Landschaften, trotzdem sie durch sein Empfin-
den ihre kräftige und zugleich innig-zarte
Seele empfangen haben, nicht das Ziel seines
Strebens. Ein unabweisbarer geistiger Drang
treibt ihn dazu, die Stimmen der Natur in
dem Höchsten, was die Natur erschaffen hat,
im Menschen und in bewußtem Menschentum
ausklingen zu lassen, sie gleichsam als krönen-
den, innigst dazu gehörigen Gipfelstein auf
die breite Pyramide der unbewußt träumen-
den Landschaft zu setzen. In diesem antliro-
pomorphen Bestreben zeigt Brandenburg eine
Wesensverwandtschaft mit Böcklins Kunst,
von dessen dramatischem Pathos und heiter
tönenden Farben sich aber das Largo seiner
schwerblütigeren Malerei, die freilich auch das
Scherzo kennt, erheblich unterscheidet. Der
Aufstieg zu dieser, im wahrsten Sinne des
Wortes, schaffenden und gestaltenden Kunst
vom Boden der Landschaftsmalerei vollzieht
sich manchmal kaum merkbar. So könnte
man Brandenburgs Bild „Eiche" mit dem vor-
trefflich gemalten, im Stamm knorrigen, in den Blättern raunenden und zart-lispelnden
Baume noch als Landschaft bezeichnen, da die Mädchengestalt unter dem Laube
und die Puttenwesen in der Krone bei gutem Abstande nur als Farbenglanz wirken.
Wenn schon diese Figuren für Brandenburgs Art, Lichtflecken zu vermenschlichen,
charakteristisch sind, gilt das in noch höherem Maße von einem Pastellbilde aus
des Künstlers letzter Zeit, auf dem zwei Mädchen an einem Schwarzwaldsee durch den
Wald leuchtend huschen. In spielender Leichtigkeit hat Brandenburg hier einem Licht-
strahl, der ins Walddunkel fiel, um bald wieder zu verschwinden, Menschenwesen und
Gestalt verliehen. Gerade in solchen Arbeiten, die aus der Natur heraus Figuren
bilden und in jedermann schnelles Verständnis finden müssen, beweist dieser Künstler
die Freiheit und Sicherheit seines Könnens. Gleich dem Wirbelwinde, den er als
fliegende, in der Bewegung überkreuzte Mädchengestalt hinstellt, und gleich dem
Huschen der Lichtstrahlen ist seine Malweise in letzter Zeit leichter geworden.
In ähnlicher Weise hat die Gedanken- und Gefühlswelt Brandenburg zahlreiche
Motive ergeben, die fast noch stärker aus innerer Anschauung d. h. aus Phantasiekräften
geboren sind. Wie in Dante, so lebt auch in diesem modernen Maler ein starkes
religiöses Empfinden. Nicht als ob Martin Brandenburgs Bilder dieser Art aus einer
christlich-gläubigen Anschauung stammten; aber der Gefühlsgehalt tiefsten Ringens und
die Verzückung verklärter Freude, wie sie in den Evangelien zum Ausdruck kommen,
bebt in seiner Seele
nach. Und mit Goethe
teilt er die religiöse
Verehrung und Scheu
vor den überirdischen
Mächten, die wir mit
unsern Kräften nicht
beeinflussen können.
Wuchtig-brausende
Akkorde eines aufge-
wühlten Innenlebens,
das nach Harmonie und
Erlösung inbrünstig
verlangt, schlagen uns
z. B. aus seiner „Fro-
hen Botschaft" ent-
gegen. Welcher andere
Künstler könnte den
Jubel, die Hast, dieVer-
ziickung und Welten-
rückung mit solcher
Tiefe ausdriicken, wie
es Brandenburg in sei-
nem Zuge schreitender,

eilender Menschen mit den führenden Licht-
gestalten an der Spitze und in der Mitte getan
hat. Über allen Gebresten und Schwächen
der Menschheit schwebt hier ein Hauch der
Himmelsgüte, die alle Not aufhebt, und die tief
ergreift. Um so tiefer, als die Erlösung aus
den Menschen selbst zu strömen scheint, da
ihre Sehnsucht, ihr Streben, ihr gläubiger
Wille sie dem hohen Ziele entgegentreibt.
Wie charakteristisch, daß Brandenburg diesen
ergreifenden Farbenakkorden die dunkle, ver-
schwimmende Wand eines Tannenwaldes, der
einen märchenhaften Zug beiträgt, als Hinter-
grund gegeben hat! Wir stehen hier mo-
derner Malerei religiösen Gehalts im besten
Sinne dieses Wortes gegenüber. Das Gleiche
gilt von einer ganzen Anzahl Arbeiten dieses
Künstlers, aus denen hier nur noch „Die
Kreuzigung" hervorgehoben sei. Im starken
Gegensatz zu andern modernen Künstlern,
denen dieses Motiv nur Anlaß gab, qualver-
zerrte nackte Körper in realistischer Treue
wiederzugeben, hat Brandenburg auch hier
seine Kraft der Verinnerlichung bewiesen. Aus
dem dunkleren Untergründe der Volksmasse
hebt sich das Kreuz Christi wie der Mast eines
Schiffes auf bewegtem Meere den finsteren
Wolken entgegen. Sein Antlitz blickt, in
Qual entstellt, aber dennoch verzückt und
vom Licht bestrahlt, zum Himmel, aus dem
Engeisköpfe, wie eine Vision, auftauchen.
Dieser religiöse Klang ist in Brandenburgs
Schaffen durchaus nicht an christliche Motive
gebunden, sondern äußert sich ebenso z. B.
im „Orpheus", den man gleichfalls als Symbol
menschlicher Sehnsucht und menschlichen
Strebens bezeichnen könnte, das. selbst den Tartarus besiegen will. Von den Schatten
der Unterwelt im Halbkreise umdroht, den Cerberus im Rücken, schreitet die kleine
Menschengestalt des Sängers, von Schauder geschüttelt und dennoch mächtig die Laute
schlagend, um so das drohende Grauen zu bändigen. Diese Arbeit ist zugleich für
die kräftige Harmonie charakteristisch, die Brandenburg aus Dunkelheiten heraufführt.
Der junge Goethe kennzeichnet Harmonie einmal durch das Bild des Wagenlenkers,
der seine Rosse peitscht und wieder bändigt, bis sie im Gleichschritt dahinbrausen.
Etwas Ähnliches, ins Geistige übertragen, finden wir bei Brandenburg. Dem entspricht
auch seine Palette, die von dunklen Tönen zu goldigen und lichten Farben aufsteigt,
aus denen starke Klänge der Befreiung tönen.
So schreitet Martin Brandenburg gleich einem Höhenwanderer auf schmalem Grate
zwischen jähen Abstürzen dahin. Die Gefahren, die seinem Streben drohen, unbewußte
Natur oder wogendes Geistesleben mit dem Zauberstabe der Kunst zu menschlichen
Gestalten zu verdichten, sind unverkennbar. Denn einmal darf das geistige Element
nicht zu kräftige, erdenschwere Formen annehmen, die seinen Flug herniederziehen;
anderseits gibt der Menschenkörper mit seiner Schönheit das Maß für diese Kunst
ab, und er darf nicht dürftig und geringfügig erscheinen. Wie das Meer das Schiff
trägt, so müssen Mensch und Landschaft im rechten Verhältnis zu einander stehen.
Wenn Martin Brandenburg nicht immer diese schwierige malerische Harmonie
erreicht hat, sondern
ein Zuviel seine Ge-
stalten manchmal auf
die Erde herabzuziehen
drohte, so zeigen ge-
rade die Arbeiten sei-
ner letzten Zeit das
Wachsen seiner Künst-
lerschaft. Treffend er-
kennt er nicht in dem
schweren Öl, sondern
in dem leichten Pastell,
dem er Klänge hoher,
eigenartiger Schönheit
abgewinnt, sein bestes
Ausdrucksmittel. Mit
ihm weiß er die Geister
der Natur und Ideen-
welt leicht und lockend
heraufzubeschwören,
und kehrt nicht, als
zweiter Orpheus, mit
leeren Händen zur
Oberwelt zurück.

Martin- Brandenburg: Orpheus.
 
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