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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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16. Heft
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Rittland, Klaus: Die Ehen des Herrn von Brenkhusen, [11]
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0469

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.MODERNE KUNST.

igo

von dem Herzen des einen zum Herzen des andern hin, und dann kam
es nur flüchtig herbei, wie ein verdatterter Schmetterling mit müden,
lädierten Flügeln. Heute wieder — wie seltsam das war — nein, eigent-
lich nur ganz natürlich:
Anfangs hatte die kleine Gesellschaft auf der Veranda zusammen-
gesessen; ein gemeinsames Gespräch hatte sich, ziemlich mühsam, mit
gutem Willen, hingezogen — Dann war erst Fanny mit Frau Kollmann
in den Salon hineingegangen, irgendein neues Toilettenstück auf dem
Geburtstagstische zu bewundern, bald waren Müfler-Geffky und der Ober-
leutnant ihnen gefolgt. Der Regierungsrat hatte noch eine Weile aus-
gehalten und sehr viele Gläser Bowle in rascher Folge hinuntergestürzt;
dann hatte ihn aber das Lachen aus einem entfernten Zimmer hinein-
gelockt. „Ich muß doch mal sehn, was die da wieder treiben. Sicherlich
Tischrücken. Das schlägt Müller-Geffky immer vor, natürlich im dunklen
Zimmer.“ Er lachte dröhnend. Die drei andern waren allein geblieben.
„Nun sind wir unter uns“, hatte Brenkhusen geäußert.
Erst Annelises befremdeter Blick hatte ihm klargemacht, was er damit
gesagt hatte. Die Wahrheit — nichts anderes. Flier seine Welt — dort
die Welt seiner Frau.
Manchmal drang aus dem dunklen Wohnzimmer ein lautes Lachen,
ein aufgeregtes Wort hinaus in die Nachtstille.
Und die drei sprachen von allerhand guten Freunden, von Hannove-
ranern, die im politischen Leben eine Rolle gespielt hatten, von land-
wirtschaftlichen Verhältnissen in Hannover und Holstein.
Wenn Dittmar dabei war, pflegte das Gespräch in keine dunklen
Tiefen hinabzudringen. Aber Annelise und ihr Freund fanden doch ihr
Genüge. Die leise Nebenuntcrhaltung, die sie führten, in Blicken, in
einem Lächeln, in gewissen Betonungen harmloser Worte, die dadurch
einen tieferen Sinn gewannen — und in noch viel Leiserem, Unmerk-
licherem — nie hatte Brenkhusen den Reiz dieser beglückenden Über-
einstimmung so stark empfunden wie heute.
Intim — nur dieses Fremdwort drückte ihm annähernd das aus, was ihm
den Verkehr mit Annelise so kostbar machte.
Kein einziges Mal hatte sein Mund auch nur ihre Stirn gestreift in
zärtlicher Berührung; und doch fühlte er sich ihr innig nahe, näher
als irgendeiner Menschenseele.
Und der Gedanke kam ihm, der absurde — daß er zu Fanny eigent-
lich nie in einem intimen Verhältnis gestanden hatte.
Jetzt wurde die Tür des dunklen Zimmers weit aufgerissen; laut
lachend und im Scherze streitend kamen das Geburtstagskind und seine
Freunde herbei. Müller-Geffky hatte gemogelt. Dem Oberleutnant traute
man auch nicht ganz. Und Frau Kollmann hatte so viel geschwatzt, daß
sie die Geister verscheuchte. Ohne Geister kein Tischrücken. Und
wenn jemand beständig quietschte und faule Witze machte — na, da ließ
sich natürlich kein rechtschaffener Geist auf die Sache ein.
Sie waren alle sehr erregt, mehr noch durch den Pseudospuk im
dunklen Zimmer als durch den Wein. Glühende Augen, gerötete Ge-
sichter. Sie sprachen von der vierten Dimension und spiritistischen
Seancen, und Müller-Geffky erzählte seine Erfahrungen mit einem Blumen-
medium, einer gewissen Madame Rosalinde, mit der er sehr vertraut ge-
wesen zu sein schien. Die Geschichte fing sehr spannend an und endigte
ziemlich wirr, denn als die Pointe kommen sollte, stieß Herr Kollmann
den Erzähler mit dem Fuß an. Die Sache wurde zu bedenklich.
„Weiß der Kuckuck, in was für Schlupflöchern Sie schon überall
herumgekrochen sind,“ sagte Herr von Hasse kopfschüttelnd. Er selber
mied Lokale ohne nahrhafte Reize.
Und Fanny hatte auch noch nichts erlebt. Aber sie wußte schöne
Schauergeschichten von Todesahnungen, die eine gläubige Großtante ihr
erzählt hatte. Und die Geschichten waren so sicher wahr, totsicher;
Fann}? wurde heftig, wenn jemand Zweifel aussprach.
Kollmanns hatten selber schon allerhand Manifestationen mitan-
gesehen, und die junge Rechtsanwaltsfrau wußte etwas sehr Schönes,
Gruseliges vom zweiten Gesicht zu erzählen.
Den Rekord stellte aber doch Müller-Geffky auf. Er war im Geister-
reiche so gut zu Hause wie in seinem Atelier.
„Prachtvoll kann der Kerl lügen, beneidenswert!“ rief der Regierungs-
rat Kollmann und klopfte seinem Freunde mit breiter Hand auf das Knie.

Die beiden älteren Herren beteiligten sich wenig an dem Gespräch.
Und Annelise hatte eine unangenehme Empfindung dabei. Was diese
vergnügten, weinerregten Menschen da im Scherztone behandelten —
Scherz, mit einer kleinen Beimischung von Aberglauben —: ihr selber
erschien es als die fratzenhafte Verzerrung einer Wirklichksit. Nicht,
daß sie dem Spiritismus zuneigte — sie sah in ihm nur plumpe Selbst-
täuschung oder Schlimmeres — nein, aber es lebte in ihrer Seele ein
Glauben an Zusammenhänge, die den groben Sinnen der Durchschnitts-
menschen unerklärbar scheinen, an eine Möglichkeit, räumliche und zeit-
liche Entfernungen zu durchbrechen, durch starken Willen oder durch
Besonderheiten des Intellekts. Und sie hielt sich selber für befähigt,
manchmal Dinge wahrzunehmen, für die weder das Zeugnis der Sinne
noch die Schlüsse des Verstandes irgendeine Beweiskraft ergaben.
Dieses dunkle Vorempfinden — Fernempfinden ängstigte sie oft. Es
kam nur über sie, wenn irgendein Geschehnis heranzog, das andere traf
— die Menschen, die ihr lieb waren. Ihr eignes Schicksal war in
Dunkel gehüllt vor ihrem Seelenauge, vielleicht war das ja auch alles
nur Einbildung, weil sie so viel in sich selber lebte? Aber sie konnte
sich nicht davon losreißen.
Heute wieder — mitten in der Heiterkeit des Zusammenseins —
hatte manchmal eine leise Angst sie ergriffen, die Ahnung von etwas
Schwerem, von einer kalten, fremden Macht, die irgendwoher aus dunklen
Hintergründen drohte
„Kinder, das wird ja zu gruselig; ich kann jetzt keine Gespenster-
geschichten mehr hören!“ rief Frau Kollmann aufspringend. „Wollen
wir nicht ein bißchen Musik machen, Frau von Brenkhusen, ja? Liebe,
süße Frau Fanneri, die Rosenarie?“
Aber Fanny hatte keine rechte Lust. Und im Grunde war Frau
Kollmann auch noch mehr daran gelegen, selber zum Singen aufgefordert
zu werden. Sie erreichte ihren Zweck. Französische Liedchen waren
ihre Spezialität. „Jean und Jeanne!“ verlangte Müller-Geffky, um ihr
einen Gefallen zu tun. Eigentlieh mochte er ihre abgesungene Stimme
gar nicht mehr hören. Heut, in der Weinlaune, sang sie das graziöse
Liedchen mit einer gewissen Verve, aber plump, allzu kokett, komödianten-
haft. Trotzdem wurde applaudiert. Ihr Mann und Müller-Geffky gaben
einige Couplets zum besten. Keiner von beiden konnte singen ; aber Müller-
Geffky hatte etwas Naiv-Freches in seinem Vortrage, das Wirkung erzielte.
„Und nun singen Sie etwas, gnädige Frau, ja?“ bat Fanny Frau
von Schönwald. „Mein Mann hat mir oft von Ihrer schönen Stimme er-
zählt, und ich habe sie noch nie gehört.“
Fannys Freunde unterstützten ihre Bitte: Aber Annelise wehrte ab.
„Nein, wirklich nicht. Ich habe nur ein ganz unbedeutendes Stimmchen,
und obendrein bin ich erkältet.“
„Nein, es geht in der Tat nicht. Vorhin sprachen Sie ja noch ganz
heiser!“ bestätigte Brenkhusen. Fast allzu beflissen stimmte er ihrer
Weigerung bei. Nein, wenn er sich das vorstellte: Annelises ernste
Brahmslieder in diesem Kreise? Er liebte ihre schwache, weiche Alt-
stimme. Aber sie hatte so gar keinen Glanz, konnte auf Fremde kaum
wirken. Wundervoll trug Annelise vor, wenn sie aus sich herausging.
Aber sie war in diesem Punkte von seltsamer Scheu. „Das Lied gehört
nicht in den Konzertsaal, auch nicht in den Salon vor fremde Menschen,“
pflegte sie zu sagen; „die Arie ja, auch die Ballade — aber das echte
Lied? Nein, das soll ein Seelenerlebnis sein, und Seelenerlebnisse kramt
man nicht vor fremden Menschen aus. Ein Lied singt man ganz für sich
allein — oder vor jemand, den man gern in sein Inneres blicken läßt.“
Nein, Annelise sollte sich nicht in einen Sängerinnenwettstreit mit
Frau Kollmann einlassen. Fanny erklärte sich jetzt bereit zur Rosenarie.
„Aber wer begleitet mich?“ Frau Kollmann erbot sich. Aber Fanny
schüttelte lächelnd den Kopf. „Ach nein, Liebste, Sie prudeln heut zu, sehr.
Wenn Sie ein paar Gläser Wein getrunken haben, prudeln Sie immer.“
Die Freundin lachte. „Sind Sie aber grob! Und Müller-Geffk'y?“
„Der noch viel weniger. Er kann ja nur Gassenhauer begleiten.
Aber Mozart? Lieber nicht. Wenn Frau von Schönwald vielleicht —*
Annelise warf einen fragenden Blick auf Brenkhusen. Der nickte,
kaum merklich. Da stand Annelise auf.
Und die süße Lockweise Susannchens tönte in die Herbstnacht hin-
aus. „O säume länger nicht, geliebte Seele!“-

[Fortsetzung folgt.!
 
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