Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift (28.1913-1914)

BEILAGE ZUR „MODERNEN KUNST“


Neunzehnjährig bereits verheiratete er sich mit der bedeutend
älteren Anna Hathaway. Der Ehe entsprossen drei Kinder,
zwei Mädchen und ein Knabe; wie sich aber die Beziehungen
der ungleichen Eheleute zueinander gestalteten, wissen wir
nicht. Ebenso unbekannt ist, wann Shakespeare die kleine
Heimatstadt verließ und nach London ging. Zu den Gründen,
die ihn forttrieben, soll auch ein Wilddiebstahl gehört haben,
wegen dessen er übermäßig hart bestraft wurde. Das wich-
tigste aber war unzweifelhaft der Wunsch, in die große Welt
zu kommen und sich eine freie Laufbahn zu eröffnen. Wir
finden ihn als Schauspieler immer bei derselben Truppe, die
zuerst unter dem Patronat des Grafen Leicester stand und
später ihren Herrn öfter wechselte, auch auf verschiedenen
Bühnen spielte. 1599 wurde das Globetheater eröffnet, an
dem Shakespeare nicht nur Schauspieler, sondern auch An-
teilhaber war. .Um diese Zeit hatte er mit seinen Stücken
bereits so viel erworben, daß er sich in Stratford eine
größere Besitzung kaufen konnte. Auch künftig legte er sein
Vermögen in der Heimatstadt fest.. Die Entstehungszeit von
Shakespeares Dramen ist bei den meisten nur zu erschließen.
In die Jugendperiode, in der auch das Genie erst das dramatische
Handwerk lernen mußte, werden ein Teil der Königsdramen, die
Komödie „Liebes Leid und Lust“, „Die beiden Veroneser“, „Die

William Shakespeare.

Komödie der Irrungen“ zu setzen sein, als Krönung dieser Zeit
dürfen „Romea und Julia“ für die Tragödie, „Ein Sommernachts-
traum“ für die Komödie gelten. Die reifsten Dramen auf der Höhe
seines Schaffens verkörpern in steigendem Maße eine düstere
Tragik, aus der man, wahrscheinlich mit Llnrecht, auf eine Ver-
düsterung vonShakespeares Gemüt geschlossen hat. Zu ihnen ge-
hören „Julius Cäsar“, „Hamlet“, „Othello“, „Macbeth“, „König
Lear“, „Coriolan“ u. a. Seine letzten Stücke zeigen die verklärte
Milde des Alters: „Cymbelin“, „Das Wintermärchen“, „Der
Sturm“. Um 1612, auf dem Gipfel des Ruhmes, im Besitz
eines nicht unbeträchtlichen Vermögens, zog sich Shakespeare
von London und damit vom Theater zurück in seine Heimat-
stadt Stratford. Er starb dort am 23. April 1616. Seine
Freunde und Kollegen vom Globetheater ehrten ihn durch Ver-
anstaltung einer Folioausgabe seiner Werke.
Wir entnehmen diesen Aufsatz den „Lebensbildern“ der
Goldenen Klassiker-Bibliothek (Deutsches Verlagshaus Bong
& Co., Berlin W.), die eine vortreffliche Shakespeare-Ausgabe
enthält. Auf der Grundlage der Übersetzung Schlegel-Tiecks
hat Dr. Wolfgang Golther hier Shakespeares Werke nach
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