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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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17. Heft
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Abeking, Hermann: Neuzeitliche Holzbildkunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0498

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213


Neuzeitliche Holzbildkunst.
Von Hermann Abeking.


Bie Plastik ist die Gebundenste unter den Künsten. Der Malerei ist es
gegeben, frei zu schalten mit Luft und Raum. Der Rahmen, der das
Bild umspannt, ist nicht vielmehr als der Ausschnitt, der die natürliche
Grenze des Blicks zweier Menschenaugen darbietet. Und in diesem Ausschnitt
ist die Hand, die den Pinsel führt, ein unbeschränkter und souveräner Herrscher.
Die Weite der sich dehnenden Felder, die lichte Höbe des Himmelszeltes, die
im wechselnden Rhythmus spielenden Leiber der Menschen, alles Leben und
Sein zaubert sich wie im kristallenen Spiegel lustvoll auf die ebene Fläche.
Das Material, das den'Maler zum Siege und Erfolge führt, ist in der Hand des
Kundigen leicht und dehnbar. Es trägt keine Gesetze in sich, die den schnellen
Strich hemmen könnten. Die Farbe als Kunstprodukt ist neutral. Ein jeder
hat das Recht, sie in seinem Sinne zu seiner eigenen Art zu zwingen; sie ver-
kündet nicht, so oder so will oder muß ich gehandhabt sein.
Anders steht es mit der Plastik. Hier ist das Material selbständig und
bewußt. Der noch so kunstvoll bearbeitete Stein wird immer sprechen: Seht,
ich bin Stein. Die Bronze, die sich im Guß den Formen eines Menschenleibes
willig zeigte, klirrt bei der leisen Berührung und ruft: Seht, ich bin Metall. Der
Stein und das Metall lassen sich nicht zwingen: sie herrschen. Das weiß der
rechte Bildhauer wohl, und er beugt seinen Nacken. Wenn er in der Vorarbeit
zu seinem Werke den weichen Ton in den Händen fühlt, so haften doch seine
Gedanken an dem Korne des Steines oder an den spiegelnden Glanz der Bronze.
Stein und Bronze — diese beiden Materialien, die der Plastiker.bisher und heute
zu seinen Hauptausdrucksmitteln gewählt hat — jedes von ihnen diktiert ein
anderes Gesetz. Der Stein will Stein sein, Masse. Er heischt gebieterisch eine
geschlossene Silhouette. Ebensowenig wie aus dem Felsen zerbrechliche Streben
gleich Lanzenschäften hervorragen, ebensowenig darf aus einer in Stein ge-
schaffenen Gruppe sich hier jählings ein Arm, sich dort ein Federbusch heraus-
recken. So liebt die Steinplastik das wallende Gewand, das vom Sockel hinauf
blockähnlich emporstrebt, den nackten Leib, der wie auf geschlossenen Säulen
ruht, den Arm, der, wenn auch bewegt, sich stets der Gesamtform anzugliedern
bestrebt ist. Wie um den Zwang, den der Stein auf den Künstler legt, wieder
zu lösen, kündet die Bronze das konträre Gesetz. Hier darf nichts rohe Masse
sein; denn das Metall fließt in schmalen Adern unter der Erde dahin. Ein un-
gegliedertes Gewand wirkt hier roh, es muß sich in Falten um den Leib
schmiegen oder in fröhlicher Linie dahinflattern. Die Bronze bevorzugt den
bewegten Körper: sie läßt die Jüng-
linge Speer und Waffen schwingen
und die Tänzerinnen im leichten
Reigen dahingleiten.
Wenn wir so die Vor- und
Nachteile dieser beiden Materialien,
Stein und Bronze, gegeneinander
abwägen, so steigt in uns die Frage
auf: Gibt es nicht ein Material, das
die Vorzüge beider in sich vereinigt,
das es sowohl gestattet, hier die
Gruppe zu schließen im wuchtigen
Block und dort sie wieder zu lösen
im anmutigen Spiel? Gewiß, dieses
Material ist vorhanden, nur ist es
lange teilweise in Mißkredit gekom-
men und teilweise in Vergessenheit
geraten. Es ist das Holz. Das Holz,
vom Baume genommen, der in kom-
pakter Masse vom Boden anstrebt
um sich in seiner Krone in tausend
Verzweigungen und Verästelungen
zu gliedern, behält diese seine
Eigenschaft auch unter dem Mes-
ser und Meißel des Holzbildners
bei, sodaß ihm sowohl gigan-
tische Wucht wie bizarre Zierlich-
keit in gleichem Maße trefflich
anstehen.
Noch eines. Ist es der Plastik
überhaupt gegeben, wirkliches, war-
mes Leben vorzutäuschen? Gewiß,
dieses ist nicht die vornehmliche
Aufgabe der Kunst überhaupt, die
Kunst wurzelt mit gleichem Recht in
dem reinen Stilgefühl des Menschen
wie in der Natur selbst. Aber
dennoch: Ist es möglich, daß der

[Nachdruck verboten.]
Plastiker, der sich einen warmen Menschenleib zum Vorbilde nahm, diesen wieder
in seiner gleichen warmen Fleischlichkeit vor uns erstehen lassen kann? Die
starre Bronze dürfte ein solches Beginnen von vornherein ablehnen und töricht
schelten, aber auch der Stein dürfte als totes Mineral nie den völligen Atem
des Lebens empfangen. Im porösen Marmor ist es wohl am ersten gelungen,
der flaumigen Haut ein echtes Abbild zu setzen, aber auch hier ist es zur völligen
Naturvortäuschung noch immer ein Schritt, den der Stein nicht gehen kann.
Nur das Holz, das aus dem Leben geboren ist, und Säfte in sich trug, wie der
Körper des Menschen selbst, dessen Fasern gleich sind den Fasern unserer
Muskeln, nur ihm gelingt es wieder wahres Leben zu geben, da es selbst lebend
unter den Lebenden weilte. Auch der leichten Tönung setzt das Holz durchaus
keinen Widerstand entgegen. Aus ungeschriebenen ästhetischen Gesetzen heraus
widerstrebt der Stein der Färbung — vielleicht, weil er Farbe nicht annimmt,
außer daß diese seine Struktur verdeckt — während das PIolz der Farbe willig
seine Poren öffnet und sie mit seinem eigenen Wesen verschmilzt. Selbst das
Einfügen von Metall in eine Holzplastik, so eines ehernen Schildes oder Helmes,
läßt sich rechtfertigen.
Die Holzbildkunst stand dereinst im 15. und 16. Jahrhundert in hoher Blüte.
Doch bald geriet sie in Verfall, um erst heute in unsern Tagen aufs neue
entdeckt zu werden. Was das Verschwinden und fast völlige Vergessen eines
in so vieler Hinsicht trefflichen Materials veranlaßt haben mag, dürfte seine
Ursache finden in dem Prunkbedürfnis des Menschen, das einen kostbaren Inhalt
in gleich, kostbarer Schale zu heischen pflegt. Auch die leichtere Vergänglichkeit
des Holzes mag mitgesprochen haben. Einen ähnlichen Fall bedauerswerter
Geringschätzung sehen wir beim Aquarell, diesem so köstlich transparenten und
duftigen Material, das sich eben dieser Vergänglichkeit halber nie gleichwertig
neben der Oelmalerei behaupten kann. Ein Zeichen unserer Zeit ist es, daß
sich unser Prunkbedürfnis zu Gunsten eines verfeinerten Geschmacks verringert
hat, ja daß wir hierüber hinausgehend, sogar in der äußeren Schlichtheit Edles
und inhaltlich Reiches mit Vorliebe zu geben und zu suchen bereit sind. Auch
der Begriff der Vergänglichkeit des Holzes dürfte nur im Hinblick auf den Stein
und das Metall aufrecht erhalten werden können. Die Plolzskulptur, für unsere
wohltemperierten Räume gedacht, dürfte nicht nur uns, sondern auch ferne,
ferne Geschlechter überdauern.
In der Erkenntnis der Vorzüge des Holzes als bildnerischen Materials ist
ein Komitee zur Förderung der Holz-
bildkunst zusammengetreten, das sich
mit aller Kraft der Aufgabe widmet,
die Holzplastik in ihre alten Rechte
einzusetzen und so das Ausdrucks-
gebiet unserer heutigen Plastik über-
haupt zu erweitern. Der erste Schritt
hierzu dürfte die Ausstellung für
Ilolzbildkunst gewesen sein, die das
Komitee Ausgang vorigen Jahres im
Künstlerhause zu Berlin veranstaltete.
Hier tat sich ein großer Reichtum
kaum geahnter Möglichkeiten vor uns
auf. Wir sprachen bisher vom Holze
im allgemeinen als einem einzigen
Begriff. Wie sehr sich dieser noch
zu gliedern hat, erkennen wir, wenn
wir die einzelnen Hölzer nach ihrer
Herkunftsart ins Auge fassen. Da
ist die weiche Linde, der harte Birn-
baum, die knorrige Eiche und das
noch sprödere Ebenholz.
Betrachten wir Gotthard Sonnen-
felds Gruppe „Besiegt", aus Linden-
holz gemeißelt. Hier galt es, einen
zarten Frauenleib zu den rauhen
Gliedern eines1 jungen Kriegers zu
fügen. In keinem andern Material,
nicht im Marmor und in Bronze wäre
es gelungen, die Behandlungsweise
der Körper von Mann und Weib
so zu trennen, und sie doch auf
der Basis gleicher Herkunft wieder
zu vereinigen. Die glatte Haut der
jungen Amazone spiegelt allen Duft
und weiche Lässigkeit des knos-
penden Mädchenleibes wieder. Die
Maserung des Holzes schimmert wie


XXVIII. 54

Neuzeitliche Holzbildkunst. Albert Hußmann: Bogenschießender Kentaur.
Verlag Neue Photogr. Gesellschaft A.-G. Steglitz.
 
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