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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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17. Heft
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Freimark, Hans: Ein Buch
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Unsere Bilder
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2IÖ

MODERNE KUNST.

Er erhielt keinen Bescheid. Stumm und starr saß sie vor ihm. Bleich bis
in die Lippen. Entsetzt über sich und ihn.
Er achtete nicht darauf. Er drang in sie, mit ihm zu gehen, zu leben, was
sie als Wahrheit gelehrt hatte.
Der Zug fuhr langsamer. Die Straßen einer Stadt mit ihren hohen Häusern
rückten an ihm vorbei. Es war die Stadt, wo ihre Wege sich schieden.
Sie sollten sich nicht scheiden, jetzt nicht! Er sagte es hart, entschlossen,
Schultern und Kopf weit vorgeneigt und die Blicke bohrend auf sie gerichtet.
Das Rasseln des Zuges wurde zum Gleiten. Die Maschine stand, die Wagen
hielten mit kurzem dumpfen Poltern.
Sie erhob sich steif. Ihre Augen waren weit geöffnet, leer sahen sie ihn
an, an ihm vorüber. Mit fliegenden Händen raffte sie ihre Tasche und ihre
Kartons zusammen und ging mit kurzem flüchtigem Gruß.
Draußen auf dem Bahnsteig mußte sie sich an einen Pfeiler lehnen. Ihre
Knien wankten, ihre Brust hob sich keuchend. Die Augen füllten sich mit Tränen.
Sie hob die Hand, die die Tasche trug, mühsam, um die Nässe wegzuwischen.
Die Schwere der Tasche zog die Hand nach unten, und feuchte Spuren blieben
auf dem blassen Gesicht. Plötzlich begann sie lautlos zu weinen, über den Mann
und über sich. Über ihn, der seine Ideen verriet und über sich, die nicht den
Mut hatte, ihre Ideen zu leben. Ihr war, als sei etwas in ihr zerbrochen. Müde
und schwer schleppte sie sich dem Ausgange zu.
Er hatte ihr nacheilen wollen, als sie kurz und kalt an ihm vorüber-
geschritten war. Doch das Gedränge im Gange bannte ihn in den Wagen. Er
stürzte an das Fenster und sah sie dem Ausgange zuschreiten, ohne sich noch
einmal nach ihm umzuwenden. Eine würgende Bitterkeit stieg in seine Kehle.
Die Hand fuhr nach dem Halse, als müsse sie ein Ersticken abwehren. Und dann
zerrte ein breites Lachen seine unschönen Lippen auseinander. Seinem Bilde, das
ihm die Fensterscheibe zeigte, nickte er höhnisch zu, und während seine spitzen
Zähne sich in die Lippe bohrten, knirschte er ingrimmig in sich hinein: Schuft.'

Unsere ßilder.

VL)\erjenige Maler, der in England die moderne Landschaftsmalerei am Anfang
■*'C2/ des 19. Jahrhunderts zum Siege geführt hat, indem er das mit eignen
Augen Erschaute an Stelle der klassischen Schablone zu setzen wüßte und so
den Einfluß der Holländer überwand — ist John Constable. Nicht mehr die
Landschaft Ruisdaels findet sich bei ihm, noch der bräunliche Galerieton, der
um jene Zeit die englische Malerei beherrschte; sondern die englische Natur mit
ihren Flüssen, Landhäusern, Bäumen, Wiesen und Feldern lebt in frischen Farben
auf. Vor allem auch mit ihrem wolkigen Himmel, ihrem Licht und ihrer Luft.



Neuzeitliche Holzbildkunst. Gerhard Janensch: Elegie.
Verlag Neue Photogr. Gesellschaft A.-G. Steglitz.

Davon gibt z. B. John Constables Landschaft mit dem „Heuwagen“, dieser
kostbare Besitz der Londoner Nationalgalerie, einen klaren Beweis. Gerade als
Maler des Lebens der Lüfte stellt dieser Künstler einen Übergang von den
Klassikern der holländischen Landschaft, wie z. B. Ruisdael, Hobbema usw. zur
modernen Malerei dar. ... ■
*

Wie John Constable sich seine künstlerischen Ausdrucksmittel zur Wieder-
gabe der englischen Landschaft erschuf, ist Karl Hagemeister ein Heimat-
maler der Mark geworden. Man hat es ihm wahrlich nicht leicht gemacht, durch-
zudringen. Noch mit 60 Jahren war dieser Freund und Genosse Wilhelm Trübners
und Karl Schuchs, der den bei weitem größten Teil seines Lebens in Werder an
der Havel, wo er geboren war, oder in dessen Umgegend verlebte, in weiteren
Kreisen völlig unbekannt. Dann mit einem Schlage ersah man, welch künstle-
rische Persönlichkeit diesem märkischen Einsiedler innewohnte, und Hagemeisters
Name bekam fast über Nacht den hohen Klang, der ihm heute innewohnt. Von
der Frische, mit, der dieser Künstler die Natur wiedergibt, und von der Eigenart
seiner Palette, auf der ein Grün — zu verschiedensten Tönungen verwandt —
einen wichtigen Platz einnimmt, zeugt z. B. sein Gemälde „An der Havel“,
dessen Motiv wiederum Ilagemeisters Heimat entstammt.
* *
Frühlingsgemäß, und dennoch stark von einander verschieden sind die
Motive der Gemälde zweier Münchener Künstler: Walter Firle und F. Simm.
Von ihrer alten Mutter gebettet und betraut, sitzt ein junges Mädchen im Garten,
von der Frühlingssonne beschienen, die zum ersten Male warm durch die noch
dünn belaubten Zweige bricht. Die Stürme haben dieses junge Menschenreis,
das sich soeben zum Erblühen anschickt, nicht knicken können; aufs Neue
hebt es sich, „wieder genesen“, der belebenden Sonne entgegen. —- F.Simm
schildert in anmutvoller Weise eine Liebesszene „Unter der Kastanie“ aus
jenen Zeiten, wo der Urgroßvater die Urgroßmutter nahm und noch nicht der
Tango, sondern gesetztere Weisen und andere Kleidermoden herrschten. Aber
auch damals war Natur eben Natur, und aus dem Laub der Bäume schoß der
kleine Gott, den Zarathustra den Liebling der Mädchen nennt, gern seinen Pfeil
auf ein Paar, das im Schatten plauderte.
* *
*
„Der Tod der Cleopatra“ ist für moderne französische Maler ein uner-
schöpfliches Motiv. Immer wieder zeigen sie diese üppige ägyptische Königin,
die nach Shakespeares Wort sogar die Lüfte liebeskrank machte, am tragischen
Abschluß ihres Lebens. Nachdem Cleopatra an ihren Sklaven und Sklavinnen
die schmerzloseste Art des Sterbens durch den Natterbiß erprobt hat, erwartet
sie, die mit ihrer Liebe über Caesar und Antonius gesiegt hat, aber Oktavian
nicht in ihre Netze zu ziehen vermochte, das Ende. Denn sie weiß sehr wohl,
daß der römische Feldherr sie für seinen Triumphzug aufsparen möchte. Von
der Selbständigkeit, mit der John Collier diesem Motive neue Reize abgewann,
spricht sein Gemälde mit eindringlicher Stimme.

Neuzeitliche Holzbildkunst. Gustav Schmidt-Cassel: Lautenspielerin.
Verlag Neue Photogr. Gesellschaft A.-G. Steglitz.
 
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