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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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18. Heft
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Skowronnek, Fritz: Aus den Wolken gefallen: eine Frühlingsgeschichte
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0526

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224

MODERNE KUNST.

„Ich kann Sie doch nicht für etwas verantwortlich machen, daß Sie
nicht beabsichtigt haben“, erwiderte der Gutsherr. „Wollen nur hoffen,
daß Ihr Kamerad noch glimpflich davon kommt. Die Herren sind wohl
von der Luftschifferabteilung in Königsberg?“
„Nur mein Kamerad Overmann, ich bin Lehrer an der Kadettenschule
in Lichterfelde . . . Durch Zufall bin ich dazu gekommen, mitzufahren . . .“
„Overmann?“ unterbrach ihn der Gutsherr. „Doch nicht etwa von
den Staneitscher Overmanns . . .“
„Jawohl ... er heißt Kurt mit Vornamen.“
„Mein Gott, Frau, denk dir bloß“, rief er seiner eintretenden Gattin
zu, „wir haben den Kurt aus Staneitschen bei uns .... Ich war dort
jahrelang Inspektor und habe den Schlingel oft genug auf meinem Knie
reiten lassen“, fügte er erklärend hinzu.
Eine Stunde verging in ängstlicher Spannung, bis der Arzt erschien.
Er fand Theas Fuß heil
und ganz und billigte
die kalten Umschläge,
die von der Mutter
schon angewendet wor-
den waren. Auch Kurts
Zustand, der bei dem
Schienen des gebro-
chenen Fußes für ein
paar Augenblicke zur
Besinnung gekommen
war, gab zu schweren
Besorgnissen keinen
Anlaß. Der weiche Bo-
den, der an dem Un-
fall schuld war, weil er
die Räder des Flug-
zeugs zu tief einsinken
ließ, hatte den Sturz
der beiden Flieger ab-
geschwächt.
Gegen Mittag ka-
men Hildas Eltern, die
telephonisch benach-
richtigt worden waren,
vorgefahren. Schmerz-
erfüllt schloß Frau von
Braun ihr Töchterchen
in die Arme. Ein vor-
wurfsvoller Blick ging
zu ihrem Gatten:
„Siehst du Bodo,
die Vorahnung dieses
Unglücks hat mich die
ganzeNacht gequält..
„Aber Mama, mir ist doch nichts passiert“, rief Flilda verwundert
aus, „und Pascha hat sich so brav benommen . . .“
Der Quittainer hatte etwas vor sich hin gebrummt, was wie „Jeanette
Groterjahn“ klang. Wer diese etwas merkwürdige Dame aus Reuters
„Reis’ nach Konstantinopel“ kennt, wird wissen, daß der Vergleich für
Hildas Mutter nicht sehr schmeichelhaft war. Dann war er auf den Leut-
nant zugetreten: „Wie sind Sie mit meinem Eberhard zufrieden?“
„Sehr, Herr von Braun, ein guter Schüler und tüchtiger Mensch .. .“
Für Frau von Braun bekam die ganze Sache eine Wendung, als auch
sie erfuhr, daß sie in dem Offizier einen Lehrer an der Kadettenschule
in Lichterfelde und den Erzieher ihres Sohnes vor sich hatte. Das war
trotz der widrigen Begleitumstände kein Unglück, sondern eine Freude,
deren Ursachen und Verlauf genau von ihr erforscht werden mußten.
Und sie führte ihren Entschluß mit solcher Energie durch, daß Karl Günther
von Drigalski sich bald wie ein Maikäfer vorkam, den die Jungen mit
einem Faden am Bein fliegen lassen.
Am Nachmittag— ein frischer Ostwind hatte die Wolken vom Himmel
gefegt — trat eine Folgeerscheinung des Unfalls ein, die niemand ge-

ahnt hatte. Mit unbegreiflicher Schnelligkeit hatte sich die Nachricht von
der Landung eines Flugzeugs im Bauditter Roßgarten verbreitet . . Zu-
erst kamen die Bewohner der benachbarten Dörfer und Güter . . . Sie
waren enttäuscht, denn der Apparat war mit einem wasserdichten Plan
zugedeckt. Um Vesperzeit war die Menge so angeschwollen, daß der Vogt,
der mit zwei Mann Wache hielt, sie nicht mehr im Zaum halten konnte.
Auch die Gutsbesitzer der Umgegend kamen angefahren, die meisten
in der Absicht, die Ankunft der aus Königsberg telegraphisch beorderten
Monteure und den Wiederaufstieg des Flugzeugs abzuwarten, d. h. in
Bauditten zu übernachten. Doch die resolute Gutsherrin lehnte mit Rück-
sicht auf die beiden Kranken jede Aufnahme ab.
Dafür waren Quittainen und die benachbarten Gutshöfe am Abend
von Gästen überfüllt. Die Schaulust der Menge war durch Enthüllung
des Fahrzeugs befriedigt worden. In der Nacht kam ein Automobil mit
den Monteuren an, und
da nur das Unterge-
stell mit den Rädern
gebrochen war, ließ
sich der Schaden in
wenigen Stunden aus-
bessern. Im ersten
Morgengrauen wurde
die Taube auf eine hö-
her gelegene trockne
Stelle der Koppel ge-
schoben, ein Monteur
schwang sich hinein
und flog mit ihr davon.
Kaum war sie am
Horizont verschwun-
den, als ein neuer
Strom der Schaulusti-
gen sich heranwälzte.
Und er hielt den gan-
zen Tag über an, denn
niemand, der davon
gehört hatte, wollte
sich die Gelegenheit
vielleicht die einzige
in seinem Leben, ent-
gehen lassen, die wun-
derbare Maschine, mit
der Menschen schnel-
ler als ein Vogel flie-
gen können, zu be-
trachten. Nun standen
die Menschenmassen
murrend und starrten
wenigstens die Löcher
an, die von den Rädern der Taube in den weichen Boden gerissen worden
waren . . . Die letzten welken Blätter der Steineiche fielen ab, gedrängt
von dem jungen Trieb, der sich unter ihnen regte. Die Buchen prangten
bereits im lichten Maiengrün, als Kurt zum erstenmal im Rollstuhl auf
die Veranda gefahren wurde.
Vor ihm auf dem Teich schwammen bunte Enten behende umher . .
Zwischen hindurch brauste in stolzer Haltung ein Schwan, der sich über
die geschwätzige Schaar ärgerte. Durch eine Lichtung im Park sah man
weit hinaus über grüne Saatfelder bis zu dem von hellblauem Duft ein-
gehüllten Walde. Wie eine Sehnsucht stieg es aus der Natur empor,
wie aus einem beseelten Wesen, das in froher Erwartung der seligen Er-
füllung harrt.
In der Seele des jungen Mannes, der still und teilnahmslos in seinem
Stuhl lag, klang diese Sehnsucht nicht mit. Seine Augen waren weit ge-
öffnet und sahen doch nichts, denn sein Blick war nach innen gerichtet,
zurück auf die Tage von Glück und Glanz, die jetzt für immer hinter
ihm lagen, von einem grauen Schleier bedeckt, über dem sich seine Zu-
kunft wie ein drohendes Gespenst erhob . . .
 
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