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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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18. Heft
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Körbitz, Georg A. H.: Moderne Gewächshäuser
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0543

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Moderne Gewächshäuser.
Von Dr. Georg A. H. Körbitz.





jie unsre Zeit wieder eine farbenfreudige geworden ist, so darf sie
auch als eine besonders blumenfrohe bezeichnet werden. Die Kinder
Florens spielen in unserm heutigen Leben eine sehr bedeutende Rolle;
alle Ereignisse unsres Daseins — man darf
wirklich sagen: von der Wiege bis zur Bahre
— begleiten sie, allen geben sie eine festlich-
feierliche Note. Was einst als üppiger Luxus
und feine höfische Sitte galt, die Tafel und
die Räume mit Blumen zu schmücken, das
ist heut auch im einfachsten Heime liebe
Gewohnheit geworden. Wenn jedoch als
Prunk von dem Feste des Dichters Fortunat
(9. Jahrhundert) gerühmt wurde, daß die
Wände des Speiseraums mit Efeu bekleidet,
der Boden mit Mohn und Lilien bestreut war,
und der Tisch einem Rosenfelde glich, so
will uns das heut kaum etwas Sonder-
liches dünken: unsre Festtafeln tragen weit
schöneren und auch weit kostbareren Blumen-
schmuck. Eines nur ist sich vielleicht durch
all die Jahrhunderte dabei gleichgeblieben: der Wunsch der Festgeber, einander
an Blumenpracht und Pflanzenbizarrerie zu übertreffen. Und dieser Wunsch hat,
wie er einmal eine wilde Jagd nach neuen Blumenabsonderlichkeiten über die
ganze Erde hin entfesselte, nicht unwesentlich dazu beigetragen, die Kunst des
Blumenzüchtens zu einer Wissenschaft und Technik der Gewächskultur zu ent-
wickeln und auszubauen. Es ist interessant, daß wir schon bei den Römern die
ersten Anfänge von Treibhausbauten finden. Verse Martials,
in denen er davon spricht, daß man „dem frostigen Winde
Glasfenster entgegenstelle, damit ohne Schneegestöber und
Reif der Sonne der Zutritt zu den zarten Pflänzchen aus
Cilicien gestattet sei“, deuten unzweifelhaft auf Gewächs-
häuser. Die Völkerwanderung vernichtete auch die Garten-
baukunst. Erst die Kreuzzüge bedeuten wieder einen all-
mählichen Aufschwung, und um 1240 wird abermals ein
Treibhaus erwähnt. Albertus Magnus, der große Magier,
empfing den König von Holland in seinem „Wintergarten“
zu Köln und bewirtete ihn mitten im Winter unter blühen-
den Obstbäumen, wofür er natürlich der — Zauberei an-
geklagt ward. Solche Blumenzüchter bilden aber auf Jahr-
hunderte hinaus noch ganz vereinzelte Erscheinungen. Als
dann aber die Fahrten der großen Entdecker von den Wun-
dern der Tropen berichteten und diese und jene Wunder-
blume heimbrachten, begann in Holland zumal eine wahre
Epidemie der Blumenzucht: Narzissen, Hyazinthen und
namentlich Tulpen wurden aufs raffinierteste kultiviert, und es ist ja bekannt,
daß man damals für eine Tulpenzwiebel 13000 Gulden bezahlte. Gewiß ein
unglaublicher Preis für den Luxus einer seltenen Blumenfarbe, und doch hat
man in unsern Tagen für eine neue Nelke 26000 und eine neue absonderliche
Orchideenspielart gar 28000 Mark gezahlt, also etwa dreißigmal soviel wie für
einen gleichschweren Diamanten! Man sieht also, es lohnt sich schon, rationelle
Blumenzucht zu treiben. Das Holland zur Zeit des dreißigjährigen. Krieges war
eine echte Pflegestätte
der Hortikultur; die Vor-
nehmsten, Staatsmänner,
Gelehrte und Künstler,
ja, selbst die Damen wid-
meten sich damals inten-
siver Blumenzucht und
die praktischen Mynheers
verstanden zu ihrem
Nutzen, die Blumenerde
auch auf die Nachbar-
länder zu verbreiten. Es
wird die Leserin erstau-
nen, wenn sie hört, daß
erst um jene Zeit es Mode
wurde, köstliche Schnitt-
blumen in Vasen in den
Zimmern aufzustellen.
Anna Maria van Schur-
mann, die Freundin der
Liselotte, dieBeschützerin
der Künste und Wissen-

Ausgeführt für Herrn E. Binnesvie, Gartenbaubetrieb, Alfeld a. L.

Wintergarten des Herrn C. F. Ludwig,
Kirchberg i. S.

schäften, scheint damals diese „Mode“ ersonnen zu haben, und aus ihrem Salon
ging sie in die berühmte „chambre bleue“ der Madonna de Rambouillet zu Paris
über und trat damit ihren Siegeszug durch Europa an. Rund hundert Jahre
später spricht die vornehme Welt wieder von
einem seltsamen „Wintergarten“, den sich
Katharina II. in ihrer Eremitage zu Peters-
burg geschaffen hatte, wie von einem Welt-
wunder. Crusenstolpe hat uns von diesem
Wunder, das dem Prinzen Heinrich, dem
Bruder Friedrichs des Großen, die höchste
Bewunderung einflößte, eine anziehende
Schilderung gegeben. Auf den dicht mit
weißem Sand bestreuten Wegen dieses Winter-
gartens, heißt es da, konnte man unter grünen
Bäumen spazieren gehen und sich unter blü-
hende Sträucher und reifende Fruchtbäume
setzen. Der Garten war hoch überwölbt, und
durch künstliche Heizung wurde eine gleich-
mäßige, behagliche Wärme verbreitet, so daß
man auch in der kältesten Jahreszeit Rosen
und Sommerblumen sowie Stachelbeeren, Johannisbeeren, kurz jedes Strauch-
obst und edle Früchte wie Pfirsich und Trauben pflücken konnte. WTas um die
Mitte des achtzehnten Jahrhunderts so noch als Weltwunder bestaunt wurde,
dünkt uns heute längst nichts Besonderes mehr; die hochentwickelte Technik
unsrer Gewächshausbauten hat uns an viel Erstaunlicheres gewöhnt. Die neue
Blüte der Hortikultur setzt ungefähr in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahr-
hunderts ein, und zwar in England, wo sie mit dem er-
wachenden Interesse für die Naturwissenschaften aufs engste
verknüpft ist. Eine Lady Nevill korrespondiert damals
ihrer Pflanzen wegen mit Darwin und andern wissenschaft-
lichen Autoritäten, eine Mrs. Gore, die so bitter die beson-
deren Schwächen ihrer Zeit beleuchtet, schreibt gleichzeitig
ein reizendes Buch über die Rose und ihre Kultur. Mancher
Herr in steifehrwürdiger Gewandung, urteilt Gleichen-Ruß-
wttrm einmal über diese modische Gartenkultur, die sogar
über die leidige Politik zu triumphieren vermochte, manche
Dame mit breitausladendem Rocke wird uns sympathisch
durch ihre liebevoll verständige Beschäftigung mit der
Blumenzucht, deren langsam aufstrebender Entwicklung wir
zarteste Schönheiten moderner Kultur verdanken.
Solche Beschäftigung mit der Pflanzenzucht hat dann
in immer weiteren Kreisen begeisterte Freunde gefunden
und wenn wir heute auf unsern großen Gartenbau-Aus-
stellungen die einzelnen Gruppen von Gewächsen betrachten,
sind wir erstaunt, wie Vollendetes neben den Berufszüchtern zahlreiche Amateure
zu erzielen wissen. Das wäre natürlich ganz undenkbar ohne die neueren
Methoden des Gewächshausbaus, die, jede wissenschaftliche Theorie und jede
technische Errungenschaft sich nutzbar machend, schlechterdings nicht mehr zu
Übertreffendes leisten. Es ist namentlich das Verdienst der heute wohl auf
diesem Spezialgebiet der Hortikultur an der Tete marschierenden Firma Oscar
R. Mehlhorn zu Schweinsburg (Sachsen), hier mit ihrem sogenannten „Reform-
system“ bahnbrechend
gewirkt zu haben.
Unserm verfeinerten Ge-
schmacke genügen nicht
mehr jederzeit jene, man
möchte sagen derben,
bäuerisch-naiven Schön-
heiten der heimischen und
der längst gewissermaßen
akklimatisierten Blumen
unsrer Vorfahren, etwa
jene Wintergartenpflan-
zen Katharinas II. Unser
die ganz Erde umspan-
nender Handel hat längst
alle Zonen gleichsam
überbrückt, und wie, um
ein triviales Beispiel zu
wählen, die Apfelsine, der
„Chineserapfel“, noch um
die Wende des 18. Jahr-
hunderts eine seltene,

Ausgefülirt für Herrn E. von Hansemann, Pempowo in losen.
 
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