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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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20. Heft
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Weil, Mathilde: Chippendale: historische Skizze
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0602

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251

Chippendale.
Historische Skizze von Mathilde Weil.

[Nachdruck verboten.]



feister William Hogarth, der berühmte Maler und Kupferstecher suchte
schöne Rahmen für sein neuestes Werk „The mariage ä la mode“,
die Heirat nach der Mode. Diese sechs so feinen Satiren sollten würdig
eingefaßt werden. Alles, was seine früheren Rah-
mentischler ihm boten, widerte ihn an — alle Ent-
würfe und Skizzen, die sie ihm zeigten, warf er
ärgerlich in die Ecke.
„Rokoko, nichts als das windverdrehte Rokoko“,
murmelte der Maler ärgerlich, „wie satt ich dieser
krummen Schnörkeleien schon bin!“
England braucht eine Kunst für sich „to get
rid of France“ — „Los von Frankreich“ sollte
unser Losungswort sein!
„Meister, Sir Hogarth!“ wagte da der kleine
Gamble, sein jüngster Schüler, schüchtern einzu-
werfen, „ich wüßte Euch einen Tischler, der Euch
die gewünschten Rahmen liefern könnte!“
Meister William drehte sich überrascht nach
little David um, den er bis jetzt nicht sonderlich
beachtet hatte. Er hatte den kleinen Gamble nur
aus Pflichtgefühl zu sich genommen, da er bei
dessen Vater, dem bekannten Goldschmied Elias
Gamble die Ziseleurkunst erlernt hatte. Von dem
Talent des kleinen David Gamble hielt Hogarth
nicht viel, vielleicht, daß mit der Zeit ein tüchtiger
Kupferstecher aus ihm wurde — ein bedeutender
Maler keinesfalls.
„Also little one, was hast du mir zu sagen?“
inquirierte Hogarth möglichst sanft. — Er sprang
sonst wie ein grober Wachtmeister mit seinen
Schülern um.
„In unserer Nähe“, begann David Gamble
schüchtern, freudig errötend, daß der Berühmte
ihn einer Frage würdigte — „in unserer Nähe d. h.
wo ich wohne, in St. Martins Lane, ist ein Tischler
Mister Thomas Chippendale, ein armer Teufel, der
sich kümmerlich durchschlägt, der aber herrliche
Sachen macht. Ganz anders macht er die Möbel
wie das verschnörkelte Rokoko. Er baut alle Möbel nur aus schwerstem rot-
braunem Mahagoniholz und macht sie aber wunderschön vornehm gradlinig!“
„Hailoh, little one, das ist mein Mann!“ jubelte Meister Hogarth, „führ mich
rasch zu ihm. Der Maler
schlüpfte in sein Flaus-
wams, stülpte die Samt-
mütze kühn über’s Ohr,
und fort ging es nach
St. Martins Lane.
Aber der Weg bis
St. Martins Lane war von
Meister Hogarths Atelier
gut zwei Stunden weit,
und little Gamble riet,
die Mailcoach zu nehmen.
Wie der nächste Omni-
bus daher gerumpelt
kam, erkletterten ihn
Meister und Schüler, und
als sie glücklich auf
dem Dache der Mail-
coach saßen, ergab es
sich, daß MeisterHogarth
leichtherzig wie gewöhn-
lich seine Börse daheim
vergessen hatte. Little
Gamble hatte natürlich
auch nicht einen Penny
in seinem Wämschen.
Der brummige Konduk-
teur wollte seine nicht
zahlungsfähigen Gäste
schon wieder absetzen,
da rief der Maler lustig:
„Iialloh, hailoh, Gentle-

Lesser Ury: Grabende Bäuerin. Zeichnung.

men and ladies, ist nicht jemand unter euch, der dem Maler William Hogarth
das Fahrgeld bis St. Martins Lane leiht?“
Blitzschnell fuhren sechs Hände in die Taschen, kannten doch die Londoner
nur zu gut den großen Meister der Satire. Das
Fahrgeld wurde erlegt, und MeisterHogarth und sein
kleiner Farbenreiber gondelten dem Ziele entgegen.
Ein überaus dürftiges, kleines Häuschen war
Meister Thomas Chippendales Werkstatt. — William
Hogarth machte ein bitter enttäuschtes Gesicht —
hier hoffte er nicht, Bedeutendes zu finden.
Wie angenehm überrascht war aber Meister
Hogarth, als er Meister Chippendales Werkstätte
betrat. Die Möbel, die er zu sehen bekam, ent-
sprachen vollkommen Hogarths Anforderungen —
da war die einfache Schönheitslinie streng gewahrt,
die Ornamentik des Rokoko nur höchst spärlich
verwendet. Die Möbel glichen mit ihrer vornehmen
Einfachheit und Ruhe den Möbeln, die Meister Ho-
garth immer als Vorbilder zeichnete. Der berühmte
Maler war entzückt, er lobte Meister Chippendales
Arbeiten außerordentlich und machte sogleich größere
Bestellungen. Wie die beiden Meister so angeregt
verhandelten, fuhr vor dem Häuschen Chippendales
eine elegante Equipage vor. Eine sehr schöne Dame
stieg aus und trat in Meister Chippendales Werkstatt.
„Ah, die schöne Miß Siddons!“ murmelte Mei-
ster Hogarth üherrascht.
„Ich komme nur zu fragen, Meister, wann meine
Schlafzimmereinrichtung endlich fertig sein wird?“
rief die Schauspielerin.
„Nächste Woche, Miß Siddons, nächste Woche
ganz bestimmt“, erwiderte Chippendale.
„Dann aber halten Sie endlich einmal Wort,
Meister, scherzte Miß Siddons — denn jede Woche
haben Sie eine andere Ausrede. Mal ist das Holz
nicht trocken genug, mal wieder fehlen Ihnen die
ausländischen Hölzer und das Elfenbein, das ein-
gelegt werden soll!“
„Nun, sehen Sie, Miß“, meinte MeisterChippendale launig, „für eine solche Perle
der Schöpfung wie Sie es sind, will ich nur einen sehr würdigen Rahmen schaffen!“
„Ei. — findet man auch Kurmacher unter den ehrbaren Meistern des Hand-
werks!“ lachte die schöne
Miß — „doch Sie
kein Handwerker,
sind ein Künstler
Gottes Gnaden!“
„Bravo, wahr
gesprochen!“ rief
Meister Hogarth — der
sich bis dahin stumm im
Hintergründe gehalten
hatte.
„Ei, wen haben wir
denn da?“ fragte die
Schauspielerin neugierig
— „ah, guten Morgen
Meister Hogarth — was
tun Sie denn hier?“
„In diesem Augen-
blick bedauere ich mich
und meinen Pinsel, daß
er nur Werke der Satire
schafft, und daß ich der
Maler der Häßlichkeit
bin! Ja, noch mehr, ich
beneide meinen Kollegen
Meister Gainsborough,
daß er ein so schönes
Modell wie Sie, Miß
Siddons, besitzt!“
„Nun wird es mir
aber zu arg in dieser
Werkstatt, ich flüchte

sind
Sie
von
ge-
nun

besser Ury: David und Jonathan. Zeichnung,
 
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