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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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22. Heft
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Anwand, Oskar: Vom Impressionismus zum Expressionismus
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0669

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MODERNE KUNST.

281



\ om Jmprßssionismus
zum Expressionismus.
Von Dr. Oskar Anwand.

[Nachdruck verboten.]
er Impressionismus hat der modernen Malerei
neues Leben zugeführt: Frische der Wirklich-
keit, Bewegung, glitzerndes Licht und Weben
der Luft leuchteten aus der Farbe, die in hundertfache
Töne zerlegt war. Aber über die Wirklichkeit strebte
der Impressionismus nicht in höherem Sinne hinaus, als
sich jede Kunst durch ihre Bedingungen darüber erhebt.
Man wollte die Eindrücke (Impressionen) möglichst so
wiedergeben, wie sie die Außenwelt dem Künstler bot.
Es herrscht in diesen Bildern also mehr der Körper, der
sich freilich auch seinen Geist baut, als daß Schillers ent-
gegengesetzt lautendes Wort sich bewährte. So glänzende
Ergebnisse hierbei erzielt wurden — denn der französische
Impressionismus bedeutet eine Blütezeit der modernen
Malerei — wurde die freischaffende Tätigkeit des Künst-
lers eingeengt und blickte gleich einem gefangenen
Vogel nach Befreiung aus. Ähnlich wie der Gehalt
impressionistischer Malerei widersprach ja auch ihre
Technik den höchsten Gesetzen schaffender, aufbauen-
der Kunst. Die Zerlegung der Farben in prismenartig
durcheinander glitzernde Tupfen und die Auflösung der
Formen hatte einen mehr wissenschaftlich-optischen als
künstlerischen Charakter. Die Technik des Impressionis-
mus war also nicht konstruktiv, sondern analytisch.
Kein Wunder, daß bald der Rückschlag folgte, und
man sich wieder nach dem Ausdruck oder besser der Gestaltung innerer, seelischer
Impressionen und Erlebnisse, nach einem Stil einheitlich-aufbauenden Gepräges
und einer zusammenfassenden Farbe sehnte, kurz Dingen, in denen sich das frei
schaffende Element der Kunst und des Künstlers mächtig zeigt. Es ist charakteristisch,
daß die Franzosen sich hierbei nicht mehr uneingeschränkt als Führer erwiesen,
sondern Maler wie der Norweger Edvard Munch und der Belgier Vincent van Gogh
mit Cözanne in einer Reihe stehen. Man ersieht hieraus, wie der Same der neuen Bewe-
gung über alle Länder ausgestreut war.
Freilich, nur die Kunstgeschichte kennt klar abgegrenzte Kapitel. Dagegen lassen
Leben und Entwicklung die einzelnen Fäden ineinandergreifen; die Ansätze einer
Epoche, die erst später zur Blüte gelangen soll, zeigen sich oft früh. So steht es auch
mit dem Impressionismus und Cezanne, der in mancher Hinsicht als sein Überwinder

Vincent van Gogh: Die Schifisentlader.

Aus dem Verlag Paul Cassirer. Berlin.

bezeichnet werden kann. Bekanntlich ist nicht Manet, sondern Cezanne für Zola das
Modell zu Claude Lautier gewesen, den er in seinem Romane „L’oeuvre“ als Revolutionär
der Malerei zeichnete. Der Kunstkritiker Zola gedachte 1896 seines Jugendfreundes
Cezanne, der auch damals noch nicht in Ansehen stand, als eines Talents, das nicht
zur Reife gelangt ist. Dieser gehört also zu den Künstlern, die unerkannt ihre Lebens-
bahn zurücklegten, woran freilich das Problematische dieses Halbgenies einen Teil
der Schuld trägt.
Was Cezanne von dem Impressionismus unterscheidet, ist die Einfachheit der
Form, die er wiederherstellt, und ebenso der Farbe. Schon hier kann man von Primiti-
vität sprechen. Ja, Cezannes Landschaften, Stilleben und selbst Genrebilder, die grau-
gekleidete Männer in schlichtgetünchten Räumen gewöhnlich an einem Tische zeigen,
üben häufig eine Stimmung aus, als ob Erscheinungen und Dinge in der Urform, die
sie von Ewigkeit zu Ewigkeit haben sollten, darge-
stellt wären. So wird der Gegensatz zum Impressio-
nismus und seiner Beweglichkeit von vornherein
offenbar. Ganz Ähnliches gilt von Cezannes Farbe,
die gleichfalls das Durcheinander huschender Lichter
und Reflexe verschmäht und sich in breiterer Fläche
klarer und ruhiger gibt. Nur daß diese höchst eigen-
artigen Farbenspiele die ganze Schönheit in sich
nuancierter Töne besitzen, zu welcher der Impres-
sionismus die Pforte entriegelt hatte. Dagegen kann
man von einem tieferen seelischen Gehalt der Kunst
Cezannes noch kaum sprechen; das formale dekora-
tive Prinzip herrscht, auch Landschaft und Genre-
bild bekommen den Charakter eines Stillebens. Ja,
nicht mit Unrecht hat man das Wesen dieser Malerei
mit der Wirkung schöner Teppiche verglichen.
Dekorativ ist auch die Malerei Paul Gauguins,
dessen Einfluß sich in der heutigen Generation
gleichfalls stark spüren läßt. Nur daß Cezanne
durch den ganzen Stil seiner Kunst auf seine Jünger
wirkt, während man Gauguin noch gröber nach-
ahmt, d. h. an Äußerlichkeiten haften bleibt.
Wenn nämlich der Impressionismus seine Motive
mit Vorliebe aus der Umgebung der Großstadt
oder ihren Straßen, ja auch aus dem Atelier des
Künstlers, kurz seiner Umgebung schöpfte, so spielt
in das Schaffen Gauguins, der in Martinique und
Tahiti lebte, schon äußerlich ein romantisches E’e-
ment hinein. Seine Bilder geben mit Vorliebe die
braunen Gestalten der Maoris wieder, wie ja auch
sein Guitarrespieler unabweislich einen exotischen
Eindruck erweckt. Das Beste und Eigenste an
seiner Kunst ist seine dekorative Beherrschung der
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Vincent van Gogh: Im Garten der Irrenanstalt zu Arles.

XXVIII. 71.
 
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