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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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23. Heft
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Wolter, Franz; Kaulbach, Friedrich August von: Fritz August von Kaulbach
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0690

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286

MODERNE KUNST.


Möglichkeiten zum Nachempfin-
den, zur Anregung sind unend-
liche, zumal wenn jemand wie
Kaulbach das Glück besitzt mit
Kunstschätzen aller Zeiten täg-
lich Umgang zu pflegen, ver-
trautes Zwiegespräch zu halten.
Ganz unbewußt tritt dann
eine erzieherische Wirkung ein,
die Läuterung und Verfeinerung
des Geschmackes, die jene Höhe
erreicht in dem ,,odi profanuni
volgus et arceo“. Das Auge ver-
feinert sich und Geschmackloses
kann es nicht dulden, da alle
Sinne dem hohen Kult der Kunst
geweiht sind und sich erfreuen
können in den seltenen. Stunden,
die einer sonntäglichen Feier
gleichkommen. Dabei ist es ganz
gleichgültig aus welchen Epochen
die Werke der Kunst stammen.
Liegt doch in der Kunst aller
Zeiten ein Reiz verborgen, der
nicht an Richtungen gebunden ist
und neben einer Antike kann ruhig
eine gotische Madonna stehen oder
eine Statue der Renaissance.
Gleichsam wie ein vielstimmiger
Choral, wird das hohe Lied der
Kunst in vollen harmonischen Ak-
korden ertönen, getragen auf der
Folie jener kostbaren Wandteppi-
che aus burgundischen Werkstät-
ten, die noch die Nachklänge van
Eyckscher Tradition bewahren
mit minniglichen Jungfrauen auf
blumengewirktem Grund in reich-
blühender Landschaft. Auch hier
offenbart sich dem Meister eine
Fülle von Schönheit. Ausgehend
von solch dekorativ gehaltenen
alten Kostbarkeiten sucht auch
Kaulbach seine Gemälde auszu-
wägen, abzurunden, in der wei-
sen Verteilung von Farbwerten
in wohlgeordneten Klängen, die sich zu einem organischen Ganzen wieder-
um zusammenschließen. Das, was die alten Meister in jenen Geweben so
wundervoll zum Ausdruck gebracht, das übersetzt Kaulbach in eine eigne
moderne Formensprache. Nur ein Künstler, dessen ganzes Wesen von der alten
Kunst innerlich durchglüht ist, konnte der Verkünder neuer Werte sein, ja eine
tieferliegende Notwendigkeit zwang ihn zur Neugestaltung. Studium von Einzel-
heiten gehörten hierzu, und es entstand im Lauf der Zeit so manches Studien-
blatt aus der Erinnerung nach einem Erlebnis, landschaftliche Bilder von eigen-
artigem Zauber. Selbst über der Landschaft, die den idyllischen Garten seines
Landhauses in Ohlstadt mit den blauen Bergen der Alpen als Hintergrund zeigen,
liegt ein verklärender Hauch, der nichts mit der brutalen Wirklichkeit zu tun
hat, sondern als Dichtung über den Alltag sich erhebt. Wie denn seine ganze
Kunst, namentlich dort wo es sich um die Paraphrase des ewig Weiblichen handelt,
Dichtung und Wahrheit genannt werden darf. In stille, weltabgeschiedene Ein-
samkeit pflegt er seine Frauen zu versetzen, in eine Welt blühender Gärten,
in welchen das Geräusch des Alltags keine schrillen Laute hineinträgt und man
nur leise klingende Naturlaute zu hören glaubt oder weithin verhallenden
Gesang. Hier der stille Garten mit geheimnisbergendem, dunklen Gebüsch,
dort der wildverwachsene Park. Floch ragen die Eichen, Pinien und Zypressen.
Auf dunklen Teichen, wo Seerosen blühen, ziehen weiße Schwäne ihre stille Bahn,
vorbei an bemoosten Steinbildern und marmornem Gelände aus längst-
entschwundener Zeit. Murmelnde Quellen plätschern über grünbesponnenes
Gestein, verschwinden unter dichtem Gesträuch. Erscheinungen beleben diese
Gründe, die erhobenen Hauptes dahinschreiten oder ausruhend in stillem Genuß,
in kostbar schillerndem Brokat, in lichten knisternden Seidenstoffen, sinnend die
Augen in die Ferne richten oder mit fragenden Blicken in die Ferne sehen, so
lieblich und doch wieder so königlich ernst. Schlanke, zerlich gebaute, gleich
Elfen schwebende Menschenkinder, von zartem, weißblondem Ton, denen ein
Hauch von Reinheit und Empfindungsadel entströmt, daß man wunschlos,
andachtsvoll diese Gestalten an sich vorübergleiten läßt und ihnen nachblickt
mit dem Gefühle, den hellen Abglanz reinster unschuldvollster Weiblichkeit
gesehen zu haben. Vor solchen Gemälden des Meisters denkt man an die edelsten
Gestalten der Dichtkunst, an die Vestalinnen der Römer, an eine Iphigenie, an

die beiden Leonoren. Selbst die
Traumtänzerin Madeleine in ihrem
lang herabfließenden Gewände,
den träumerischen Blick in die
Ferne gerichtet, gleicht eher einer
Seherin, einer Kassandra, und bei
der Guerrero hindert uns nur das
spanische Kostüm um nicht an
eine der edlen rassigen Erschei-
nungen des antiken Rom zu den-
ken. — Von feierlicher Traum-
haftigkeit war ein noch unvoll-
endetes Frauenbild in seiner Werk-
statt, das wohl einen Glanzpunkt
in dem jetzigen Schaffen des
Meisters darstellt und gerade viel-
leicht durch das noch nicht ganz
Ausgesprochene einen so fesseln-
den Eindruck hinterließ, daß jene
helle, lichte, in graublau fließende
Gewandung gehüllte Frauengestalt
mir noch lange im Geiste wie aus
dem Märchenlande haften blieb.
Auch ohne Landschaft enthüllt
sich beim Meister ein großer Reich-
tum an Gliederung in Licht, Farbe
und Formen. Wie weise der
Künstler diese innerhalb seines
Werkes einzuordnen pflegt, er-
scheint selbstverständlich. Eine
weihevolle Ruhe, eine festliche
Stimmung entströmt den Gebil-
den, und Gaben wie sie die Natur
nur selten spendet, bietet hier die
Kunst, getragen von einem ganz
persönlichen Stil, geworden durch
das Selbstempfundcne und Selbst-
erlebte. Bei dem steten Suchen
nach Abgeschlossenheit und har-
monischer Auswägung der maleri-
schen Werte, tritt doch stets das
Betonen der seelischen Elemente
in den Vordergrund. Für Kaul-
bach ist das menschliche Antlitz
eine Offenbarung geworden, und
heute viel mehr als in früheren
Jahren steht er auf dem Gebiete der Bildnismalerei als Herrscher da, der mit
foimender Kraft in seinen dargestellten Menschen die äußere Erscheinung im
Einklang mit dem inneren Wesen zu bringen imstande ist, daß wir seine Personen
ganz enthüllt, ganz erklärt vor uns sehen. Dies gilt auch von seinen Männer-
bildnissen, die in großer Anzahl im Laufe der Jahre entstanden, einen Glanz-
punkt der alljährlichen Ausstellungen im Glaspalast bildeten. Wir denken da
an die edle Greisengestalt des verstorbenen Prinzregenten, die er so oft und
mannigfaltig gegeben, an die Männer der Wissenschaft und Kunst. Da steht auch
der Meister der Geige Joachim, noch sinnend und versunken nach dem eben
verklungenen Spiel, und wie hier der Künstler alles auf den wundervollen Greisen-
kopf konzentrierte, so schrieb er nur mit den wenigsten Pinselstrichen, den eben
noch ausreichenden Mitteln, das Antlitz Ludwig Ganghofers hin. Kaulbach
dringt gerade in solch schnell und unmittelbar erfaßten Köpfen als Forscher
und Seelendeuter in größere Tiefen, um das Innerste der menschlichen Gesinnung,
um den Charakter heraufzuholen, aufzudecken, zu entschleiern, bis in die feinen
Regungen vorzudrmgen und das festzubannen, was sich im Antlitze, dem Träger
aller menschlichen Gefühle zeigen kann und muß. In einem plötzlichen Auf-
zucken der Mienen und den fein zitternden Reflexbewegungen lassen sich Ge-
danken erraten und ergründen. Diese mit Tageshelle zu beleuchten und malerisch
zu bannen, ist wohl die schwerste, aber auch die edelste Aufgabe, welche die
Bildnismalerei stellt. Hier herrscht der Künstler gleichsam souverain und gibt
m einem solchen Schaffen mehr als in Wirklichkeit dem oberflächlichen Beschauer
zugänglich ist, er gibt gesteigerte, rein subjektiv beabsichtigte, innerlich erschaute
und ergründete Natur. Charakteristisch hierfür ist der wundervolle Studienkopf
in dei stillen Innigkeit und Sinnigkeit und dem leisen Anklang von Melancholie.
Gerade in solchen Frauenköpfen kommt am edelsten und feinsten diese
Psychologie seiner Malerei zum Ausdruck. Ferner in jenen vornehm aristo-
kratischen Erscheinungen, in denen vollkommene Grazie, Anmut und schwellende
Korperschonheit sich vereint die Hand reichen. Hier fand Kaulbach ganz neue
Offenbarungen, die sich bis auf das reizvolle Linienspiel erstrecken, das in wechsel-
vollem Rhythmus auf der Leinwand ausklingt. — Ganz eigenartig sind diese
Elemente in dem Bildnisse der Miß Farrar mit sicherem Taktgefühl gegeben
odei in dem Bilde der Gattin des Künstlers mit der Jüngsten auf dem Arm.

F. A. v. Kaulbach: Josef Joachim.

Copyright 1907
by Franz Hanfstaengl, München.
 
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