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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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23. Heft
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Neisser, Artur: Richard Strauß' Josephslegende
DOI Artikel:
Otto, Friedrich: Das Flugzeug in der Praxis
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0698

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294

MODERNE KUNST.

armselig erscheinen. Es klafft jedenfalls zwischen dem Buche und Straußens
Musik ein fast unüberbrückbarer Abgrund. Oder soll man sich gewaltsam zu dem
Ästhetenschwulst des Grafen Keßler zwingen, soll man alle Phasen der Josephs-
tänze psychologisch nachzeichnen, nur um scheinbar dadurch dem „Neuen“
der Legende gerecht zu werden? Da ist es denn gut, daß uns Straußens Musik
die Aufgabe leicht macht. Der klar entwickelte Aufbau seiner Partitur erübrigt
zum Glück wieder einmal einen noch so „vergeistigten“ Kommentar. Ich glaube:
auch wenn statt des in seiner Kunst noch allzu linkischen und befangenen Tanz-
epheben Miassine ein Tanzgenie wie Nijinsky den Joseph „vertanzkörpert“
hätte, auch wenn statt der Opernprimadonna Marie Kusnetzoff die Pawlowa
oder Ida Rubinstein Potipliars Weib dargestellt hätte, auch dann wäre diese
Kunst (ebenso wie die des Dekorations- und Kostümmalers, der ein bewußt breiter
Platz gegönnt ist) durch Straußens Musik übertönt worden. Wie stark die Indi-
vidualität dieses Tondichters ist, zeigt sich darin, daß diese Partitur nicht zum
Besten zu zählen ist, was dieser fleißige Künstler produziert hat. Ich möchte auch
nicht die ganze Schuld daran den Schwächen des zu sehr gedehnten Buches zu-
messen. Vielmehr zeigt es sich, daß Strauß ein zu starker Syphoniker und Kontra-
punktilcer, auch ein zu begeisterter Instrumentator ist, um sich an der Rhythmik
als solcher, der eigentlichen Seele des Tanzes, zu neuen Tongebilden zu begeistern.
Gerade von einem Strauß will es uns nicht genügen, daß er für das Wesen der
Gestalten, daß er für die starre Eisigkeit des ertöteten Gefühlslebens in Potiphars
Weib nur die rechte Ausdrucksart fand, daß er für die „leichte, biütenhafte und
frische" Art Josephs den angemessenen Ton anschlägt; es hat mich sogar leise
peinlich überrascht, daß Strauß, als er die innere Seligkeit schildert, in die
Joseph gerät, wenn er Gott gefunden hat, daß ein Strauß dann sieh so über-
pietätvoll an die Reigentänze Glucks wenn auch nicht sklavisch anlehnt, so
doch recht deutlich von ihrem Rhythmus inspirieren läßt. Dadurch wird auch
seine innere Ohnmacht, auf dem Ballettgebiete musikalisch der gleiche geniale
Neuerer zu sein, wie als Ausdruckstonpoet, offenbar. Davon abgesehen aber ge-
winnt die verschwommene, von den beiden Malern, Jose Maria Sert und Leon Bakst
entworfene kopistische Stilistik Paolo Veroneses erst Relief und Farbe. Es
muß hier darauf hingewiesen werden, daß mir gerade dieser dekorative
Rahmen, daß mir diese Verlegung der Handlung in ein phan-
tastisches'Venedig (wobei noch der Veronese so ganz
wesensfremde Palladio als architektonisches
Vorbild hinzutritt) ,absolut unglücklich er-
scheint. In diesem Prunkvenedig f
Veroneses erscheinen
plötzlich ägyptische
Boxkämpfer halb- y f f
nackt (in den Vor-




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proben sollen sie sogar zum Entsetzen aller Kunstphilister dreiviertelnackt gewesen
sein!) und versuchen vergebens, durch ihre wilden Kämpfe Potiphars Weib zu Lust
und Gier aufzustacheln! Diese stilwidrige Szene bildet für mich aber gerade den
Höhepunkt in Straußens Partitur. In der schleichenden Steigerung des Rhythmus
in der wild durchkreuzten Harmonik und in der dicken und doch nicht undurch.
sichtigen Instrumentation erkennen wir den Strauß der Elektraszenen wieder,
der inzwischen an Kühnheit, aber auch an Aufhellungssicherheit derartiger harmoni-
scher Wirrnisse noch gewonnen hat. Auch der hysterische Reigen der Klageweiber,
die Joseph von ihrer Herrin beschwörend trennen wollen, als diese von Joseph
zurückgewiesen wird, auch dieser orgienhaft durchklüftete Tanz bietet Strauß
Anlaß, seine Kakophonik ungeachtet aller Angriffe schrankenlos zu entfalten,
um sich dann in der apotheotischen Schlußszene der Legende, wenn Joseph
durch den Erzengel von der verfaulten Potipharwelt den lichten Gefilden des
Himmels zugeführt wird, wieder zu jenen blütenweiß schimmernden Melodien
aufzuschwingen, die das eigenste, man darf ohne Übertreibung sagen, das un-
sterbliche Teil seines Wesens ausmachen. Aber Strauß ist in dieser seiner klassi-
schen inneren Abklärung eben fast diesmal unbewußt zu weit gegangen; seine
Musikerseele ist zu gesund, vielleicht auch zu spezifisch süddeutsch, sein Humor
zu derb, um für den schwülen barocken, nicht recht faßbaren Veronesestil der
Vorlage den erschöpfenden Ausdruck zu finden. Mit dürren Worten ausgedrückt:
das innerlich nicht durchgereifte Buch, das viel zu effektbewußt mit den Hilfs-
mitteln des Dekors und Tanzes rechnet, hat offenbar Strauß nicht genügend
geistig inspiriert, so daß er sein absolutes Musikertum mehr entfalten mußte,
als es gerade für ein Ballet gut ist. Der ziemlich achtungsflaue Beifall, den ich
meinesteils herauszufühlen vermochte aus dieser historisch wichtigen Urauf-
führung eines deutschen Werkes an der Pariser Großen Oper, spiegelte meines
Erachtens etwas von dem geheimen Ärger der eleganten Snobs wieder, denen das
Ganze, namentlich das nicht venezianisch, sondern russisch, fast byzantinisch
überladene Kostüm ebenso fremd in diesem Hause erscheinen mochte, als die
reine Knabeneinfalt des keuschen Joseph!
Mich will diese ganze Josephslegende nur wie ein Gelegenheitswerk anmuten,
das Strauß nur geschrieben hat, um dem „russischen Ballett“ seine
Reverenz zu erzeigen. Mit Ungeduld erwarten wir von der
dreiaktigen Märchenoper, die er eben in seinen ge-
liebten, windumpeitschten bayerischen Bergen
schreibt, wieder einen ganzen Strauß,
in dem die Echtheit der Inspi-
» ration sich nicht vor
der Geschraubtheit
des Textbuches zu
schämen braucht!


Das Flugzeug in der Praxis,

Von Friedrich Otto.

<j>Vs hat sehr lange gedauert, ehe das Flugzeug in der Praxis eine Verwendung
q7 fand. Die erste wertvolle nützliche Leistung, die das moderne Flugzeug im
„täglichen“ Leben vollbrachte, wurde in den deutschen Kolonien von Südwestafrika
ausgeführt, wo das deutsche Reichskolonialamt einen ausgedehnten Luftverkehr
einrichtete. Das Reichskolonialamt hat in Karibib einen Flugplatz angelegt
und die erforderlichen Gebäude für die Maschinen aufführen lassen. Die wichtigste
Aufgabe, die die Flugzeuge dort ausführten, war neben der Beförderung von
Ärzten der Transport der Diamanten. Auf dem Landwege ist dieser sehr umständ-
lich und kostspielig, da für jede Sendung ein starkes Truppenaufgebot notwendig
ist. Bei dem verschwindend kleinen Gewicht der Diamanten ist gerade das Flug-
zeug ein ideales Transportmittel.
Echt amerikanisch mutet folgende „praktische“ Verwendung eines Flug-
bootes an, die sich in dem Seebad Miami im Staat Florida abspielte. Ein erfindungs-
reicher Detektiv namens Shade verfolgte seit längerer Zeit einen Neger, der in einem
Hotel eine große Anzahl Schmucksachen entwendet hatte. Es war dem Dieb
gelungen, auf einem Dampfboot zu entfliehen. Mittels drahtloser Telegraphie
stellte der Detektiv nun den Aufenthaltsort des Schiffes fest, bestieg ein Wasser-
flugzeug und ließ sich von dem Flieger an das Schiff bringen. Dort verhaftete er
den Neger, schleppte ihn ins Flugzeug und führte ihn „im Fluge“ nach Miami
zurück. Hier konnte er zwar die Verhaftung nicht aufrechterhalten, die nach den
Gesetzen Floridas nur möglich ist, wenn sie im Lande erfolgt, immerhin gelang es
ihm aber, dem Dieb seine kostbare Beute wieder abzujagen.
Die Flugkunst hat bisher nur deshalb wenig Verwendung gefunden, weil
das Fliegen bis heute noch immer ein ziemlich teures Vergnügen geblieben und
auch immer noch nicht genügend gefahrlos geworden ist, obwohl in dieser Hin-
sicht vieles übertrieben wird. Denn die Flugtechnik hat doch schon so viel Fort-
schritte gemacht, daß die jetzigen Flugzeuge bei nicht allzu schlechtem Wetter
und genügender Sachkenntnis ziemlich sichere Fahrzeuge geworden sind. Die
einzigen praktischen Versuche waren bisher gelegentliche Verwendungen für
postalc Zwecke. Ferner flog in Frankreich der bekannte Senator Reymond viel
in seinem Wahlkreis umher, um Versammlungen abhalten zu können. Auch wurde

[Nachdruck verboten.!
aus Amerika ein Fall bekannt, in dem ein Arzt zum eiligen Besuch eines Kranken
ein Flugzeug benutzte. Schließlich könnte man auch die Versuche eines Fliegers
an der französisch-schweizerischen Grenze Schmuggelei im Flugzeug zu betreiben,
hierbei mitrechnen. Im allgemeinen aber wird das Flugzeug bisher nur für sport-
liche und militärische Zwecke benutzt.
Erst in neuerer Zeit scheint das Flugzeug im praktischen Leben etwas mehr
an Boden zu gewinnen. So befinden sich jetzt schon in Amerika mehr als 40 Flug-
boote im Besitz von Sportleuten, die meistens als ihre eignen Flugführer die
Apparate zu Ausflügen benutzen. Es sollen von diesen Privatleuten ungefähr
230 000 km in einem Jahre ohne nennenswerte Unfälle zurückgelegt worden sein.
Ein regelmäßiger Passagierverkehr mit Flugbooten zwischen Tampa in Florida
und einem 12 km entfernten Badeort hat sich so sehr bewährt, daß zwei neue
fliegende Boote eingestellt werden mußten. Es ist ferner eine bekannte Tat-
sache, daß einige Kanalflüge von London nach Paris auch praktischen Zwecken
dienten.
Interessant ist die Tatsache, daß die russische Luftpost bei Beginn des Früh-
jahrs einen regelmäßigen Dienst einrichtet. Sie erhebt eine Postgebühr von einer
Mark für je einen Brief. — Eine amerikanische Elektrizitätsgesellschaft hat den
Flieger Forbes verpflichtet, wöchentlich zweimal die der Gesellschaft gehörigen
Kabellinien zwischen Oakland und Oroville zu untersuchen. Es machte bisher
immer große Schwierigkeiten und verursachte unangenehme Zeitverluste, Brüche
aufzufinden. Diesem Übelstand kann die Flugmaschine tatsächlich leicht ab-
helfen. Um auch sofort Ausbesserungen vornehmen zu können, wird der Flieger
von einem Arbeiter mit dem erforderlichen Werkzeuge und Ausbesserungsmaterial
begleitet. — Ein bekannter französischer Mäzen will im Flugzeug zu Grabe ge-
flogen werden und hat einem Flieger ein Legat von einer halben Million hinter-
lassen, an das die Bedingung geknüpft ist, daß er die sterblichen Reste des Erb-
lassers in seinem Flugzeug zur Begräbnisstätte zu schaffen hat. Das ist gewiß ein
eigenartiger Wille, der in noch merkwürdigerem Lichte erscheint, wenn man
erfährt, daß der Erblasser zeitlebens nicht einmal zum Besteigen eines Motorwagens
zu bewegen gewesen ist.
 
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