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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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24. Heft
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Dorret, M.: Ich lasse dich nicht, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0721

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3'oo

Ich lasse dich nicht. -

Von M. Dorret.
[Fortsetzung.]

nach der stürmischen Umschlingung kam für Harry Tennow
Erwachen. Es war brutal, lächerlich. Margret Kerstens
ld vor ihm, die Arme schlaff herabhängend, die Lippen halb
geöffnet, scharfe rote Flecken in dem blassen Gesicht. Margret Kerstens
Ekelhaft war das alles. Er riß an seinem engen hohen Kragen. Er war
sich mit einem Male wieder sehr klar.
„Verzeih, kleine Margret“, sagte er heiser. Er ging einen Schritt ihr

[Copyright 1914 by Rieh. Bong.]
noch ein paar Stunden lang! Aber es klang doch sehr erregt, als er sich
zu dem Mädchen wandte, das stumm, mit einem hilflosen, suchenden Blick
zu ihm aufsah.
„Bitte, Margret, was soll das. Wer soll denn jetzt zur Kirche?"
Sie faßte nach seiner Hand, ihre Finger waren kalt und unruhig.
„Ich bitte dich, Heinrich, komme mit. Die Eltern wünschten es so
sehr, daß wir mit ihnen in den Dom fahren. Ich sollte dir das vorhin



Oskar Frenz ei: Kühe am Bach.

entgegen, nur um irgend etwas zu tun, nervös, zwecklos .... Und da sah
er, daß ihre Augen naß waren. Sie hob den Kopf, der Schein der Lampe
lag nun voll auf den unregelmäßigen Zügen:
„Ich danke dir. Ach, ich danke dir so.“
Er sah in ihr ruhiges, ganz verklärtes Gesicht mit einem ungläubigen,
grenzenlosen Staunen. Dann begriff er.
Und plötzlich packte ihn die Empörung darüber, daß Margret Kerstens
unwissende Jungmädchenliebe genommen, was der Vergangenheit gegolten.
Dieser Vergangenheit, die bis heute früh Gegenwart gewesen ....
Ein leises, sehr diskretes Klopfen an der Tür. Ihm war es eine-Erlösung.
Er rief unnötig laut und forsch „Herein". Der Diener in seiner einfachen
schwarzen Livree stand stramm, als er die beiden sah.
„Seine Exzellenz lassen die Herrschaften bitten, sich zum Kirchgang
zurechtzumachen. In einer Viertelstunde fährt der Wagen vor."
Gerade so lange bis der Mann sich entfernt hatte, hielt Harry Tennows
Fassung. Er spürte immer deutlicher die sich steigernde quälende Über-
reizung, und er dachte nun eigentlich nur das eine: Ruhe, Ruhe. Durchhalten

schon sagen. Und dann — die Sylvesterfeier dort ist so schön. Gerade
heute“ ....
Er fand nicht gleich die richtige Antwort. Sein „Nein“, sollte nicht zu
schroff klingen. Dennoch — das war ja zu blödsinnig. Solche Zumutungen
ließ man am besten gleich von vornherein gar nicht aufkommen .... Aber
mit einem Male besann er sich, daß er in einem Rettungsgürtel hing. Die
Geduld seiner Gläubiger war erschöpft. Die seiner Vorgesetzten wahrscheinlich
sehr bald auch. Merkwürdig lange war man an seinem Privatleben mit ge-
schlossenen Augen vorbeigegangen. Nun stand aber die Hauptmanns-
qualifikation bevor.
Ganz rasch ging es ihm auch durch den Kopf: ja, nun genoß man
gleich die Vorteile des reichen Hauses. Hatte ein gewisses Recht darauf.
Er erinnerte sich sehr wohl der etwas schwerfällig eleganten, mit dunkel-
grünem Damast ausgeschlagenen Kerstensschen Equipage, zu der er hin
und wieder das Mädchen nach dem Ende irgendeines Festes begleitet.
Er entsann sich, daß einmal, als er dann mit hochgeklapptem Kragen
zu Fuß durch den peitschenden kalten Regen heimgelaufen, der Gedanke
 
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