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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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24. Heft
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Heilborn, Adolf: Jahrmarkt in Thüringen
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0728

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MODERNE KUNST.

307



Jahrmarkt
Ein Aquarell von

in Thüringen.

s läutet zu Mittag, und die Schule
G7 ist aus. Die steilen Gassen zum
Markt klipperts und klapperts von
Holzpantoffeln und nägelbeschla-
genen Schuhen, und kleinen Wässern
gleich, die der durstige Sommer in
hüpfende Rinnsale zerriß, nun weiße,
dünne Fäden nur, jetzt spiegelnde
Lachen und endlich in gleichemFluße
ein Bächlein, treibts und plapperts
dahin: Mädel mit geflochtenen Ta-
schen, bunte Bauernblumen sind
drauf gestickt, und Buben mit
Rückenranzen, Rehe und Hunde,
Jäger und Schäfer prangen in grellen
Farben auf dem Plüsch, teilt sich
und eint sich wieder, füllt die ganze
Straße und ergießt sich stockend
und wieder weitersprudelnd längs
der Budenreihen. Die steigen mit
der Straße höher und höher, eine an
der andern, und sammeln sich im
Runde der alten Linden zu einem
Städtchen mit Leinwanddächern und
bunten Wimpeln. Dahinter das froh-
ernste Grün der Waldhügel, hier ein
Häuschen mit roten Ziegeln, dort
eines mit Erkern und Türmchen,
und über allem der blaue Sommer-
sonnenhimmel, von dem’s wie goldne Blitze sprüht. Ein Leiterwagen mit
Buchenstämmen windet sich durch das Gewimmel, der Knecht knallt unablässig
,,Hü“ und „Hott“, die Räder rattern und ächzen, die Ketten klirren, und das
Sielenzeug der Braunen klingelt darein. Bauersfrauen, die Kiepe auf dem
Rücken, ein länglichrundes Körbchen draufgebunden, um den Kopf wie einen
Turban ein dunkelbuntes Tuch gewunden, drängen sich dazwischen. An kurzem
Seile führt ein barhäuptiger Bursch eine scheckige Kuh, die brüllt ängstlich,
bleibt stehen, wendet den Kopf, wird weiter gezerrt und .trabt schwerfällig, in
den Fesseln knickend. Lind alles umfließend das lärmende Bächlein der'Kinder.
Dort vor der Bude des Zuckerbäckers staut es sich zu breiter Woge. Eine weiße
Papiermütze auf dem Kopfe, raspelt der Bäcker Kokosnußflocken, und ist
überall mit den Augen und preist unaufhörlich den roten und gelben türkischen
Honig, die Zuckererdbeeren mit den giftgrünen Blättern, die Waffeln, das Eis . . .
In einem Kasten drei blecherne Büchsen mit schweren Deckeln, und drei Schul-
buben drehen sie mahlend gleichsam in
dem raschelnden Eise, daß der Saft darin
sich zum Teige balle und erstarre, der
Schweiß läuft ihnen nur so über das
braune, sommersprossige Gesicht. Da-
neben die Alte hat Körbchen feil aus
buntem Spahn und gelbblankem Hasel-
holz, und die Mädel staunen darum
und deuten mit dem Zeigefinger und
fragen und fragen: „Erseht bring a
Geld“ sagt die Alte.
Und nun fängt dort droben, wo
die Wagenburg das Karussel und die
Seiltänzerbude schirmt, ein Leierkasten
zu pfeifen und quäken an, und wie die
wilde Jagd stürmt alles holterdipolter
dorthin. Und die Jungen lüpfen die
buntgestreifte Leinwandhülle des ge-
heimnisvollen Zeltes und stecken die
Köpfe darunter und fahren zurück und
kreischen. Ein Clown tritt aus dem
Zelte mit roter Zipfelperücke, ganz mit
Mehl das Gesicht gepudert und zwei
blaue Tupfen auf den Wangen. Er
führt am Zaum einen grellgeputzten
Schimmel, drauf sitzt in Gazeröckchen,
wie in einer Wolke, eine Frau in rosen-
farbenem Trikot mit Bändern und Ro-
setten. Nun hebt der Clown die ver-
beulte Trompete zum Mund und bläst

Richter-Berlin: VarietS.

Adolf Heilborn.
[Machdruck verboten.]
ein schmetterndes Signal, kaum ver-
mag er sich durch das Gewog und
Branden durchzuschlängeln, Schritt
vor Schritt nur schreitet mit nicken-
dem Federbusche der Schimmel,
stutzend und scheuend. Die Fenster
längs der Straße werden aufgestoßen,
alles schaut hinaus und hört dem
Clown zu: „Einem hochverehrten Pu-
blikum wird hiermit kundgetan“ . . .
Täterätä . . tärätcrä — täterä — tä-
teretä . . . Und dazwischen das Quie-
ken und Ächzen der Leierkasten,
das Jauchzen der Kinder, Gelächter
aus den Schenken, das Rufen der
Händler, die heisere Glocke des Poli-
zisten, der, ein Papier in der Linken,
mit schallender Stimme etwas vor-
liest, man hört kein Wort davon in
diesem Tosen.
Und allgemach verebbt das
Wogen zu gleichmäßigem Fluten, die
Kinder gehen heim. Nur hier noch
bleibt einer stehen und dort und
feilscht um eine Sense, ein buntes
Tuch, eine Kette „garantiert echt
plattiert“, eine rote, weißgeränderte
Fahne hängt vor der Bude weit herab,
und mit weißem Band ist auf das
Tuch genäht: „Hurra, hurra, der billige Jakob ist da!" Drüben, wo die Straße
sich zu einem Winkel buchtet, hat' eine Töpfersfrau wie im Märchen vom König
Drosselbart ihr irdenes Geschirr, die lustigbunten Schüsseln und Töpfe, grün,
gelb, braun, blau zu gebrechlichen Hügeln gehäuft, zu getürmten Reihen ge-
ordnet und sitzt mitten drin auf niederem Hocker und schlürft aus braunem
Becher ihren Kaffee. Und die Mädel in den grellen Kopftüchern, die Harke vom
Heuen geschultert, die Sichel in der Rechten, buchstabieren sich die Verse zu-
sammen, die auf dem Rande der Teller und Schüsseln in ungelenken, halbver-
wischten Zügen stehen: „Liebe mich allein oder laß gar sein“, „Lieben und nicht
beisammen sein, o, das ist eine schwere Pein" . . . Und die Frau auf dem Hocker
titscht ihre Semmel in den Kaffee und läßt sich das nicht kümmern, daß die Mädel
vorsichtig mit den nackten Füßen über die Topfhügel stelzen, Kannen in die
Höhe heben, Teller mit rauhem Klirren ineinandersteilen ... In breitem, gelbem
heißen Lichte liegt der ganze Markt, er hält gleichsam Nachmittagsruhe.

Wilhelm Jäckel: Der Kampt.
 
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