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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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25. Heft
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Hartmann, H.: In Berns Visitenstube
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0753

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3 [8

MODERNE KUNST.


Auf der Landesausstellung in Bern.


Jierns ^isifenshtße.
Von H. Hartmann, Interlaken.



[Nachdruck verboten.]
Von der Ausstellungsstadt Bern bringt uns eine nicht allzu beschwerliche, wenig
mehr als halbstündige Bahnfahrt schon zur schmucken Pforte des Berner Oberlandes,
nach dem malerischen Thun und an den Thuner See, wo sich die Wege nach allen Rich-
tungen verbreiten. An den Ufern liegen freundliche Dörfer, vornehme Schlösser und
Villen, besonders aber auch bekannte Kurorte, wie Oberhofen, Hilterfingen, Gunten,
Merligen und darüber angesichts der gewaltigen Jungfraukette das große Beatenberg.
Rechtsufrig führen Bahn und Straße der „Riviera“
des Oberlandes entlang und durch ihre reizenden,
stark im Aufschwung begriffenen Kurorte nach dem
alten Pilgerheiligtum Sankt Beaten, das heute, d. h.
seit Erschließung seiner vielbesuchten Sehenswürdig-
keiten, seiner stimmungsvollen Einsiedelei und der
unterirdischen Felslabyrinthe der Beatushöhlen neuer-
dings zum Wallfahrtsort geworden ist. Die flotten
Salondampfer führen quer durch den See oder in
Zickzackfahrt von Ufer zu Ufer, die ein schönes
Naturbild nach dem andern aufrollt, nach der be-
rühmten Oberlandmetropole Interlaken. Das linke
Thunerseeufer hat seine Fahrgelegenheit in der welt-
berühmt gewordenen Lötschbergbahn, die mit ihren
elektrischen Riesenlokomotiven von 2500 Pferdekräften
das mächtigste Krafterzeugungsmittel besitzt, was die
Industrie bisher erschuf. Diese Bahn, die auf kurzer
Strecke 137 Millionen Franken verschlungen hat, führt
ihre Passagiere bereits heute von Scherzingen-Thun
weg am elektrischen Draht zum freundlichen Spiez.
Von hier weg geht’s entweder nach Interlaken oder
direkt südwärts abschwenkend in die Täler der Kan-
der, vorbei am Bad Heustrich, dem Gesundbrunnen
der deutschen Kaisersöhne. Von der nächsten Station
Miilenen aus steigt eine Drahtseilbahn auf die groß-
artige Riesenpyramide, einen Aussichtsberg, der seit
dem Mittelalter nicht aus der Mode gekommen ist.
Als die ersten gelehrten Besteiger zur Zeit Luthers
hier oben ankamen, fanden sie bereits alte lateini-
sche und griechische Inschriften vor. Die Berner

\Gyon einem der freundlichen Luginslande, die rings um die schweizerische Bundes-
V stadt Bern ausgiebig zu finden sind, schaute vor mehr als 200 Jahren ein Ahn
des deutschen Kaisers, Markgraf Albrecht von Brandenburg, hinüber zu den weiß-
schimmernden Zinnen der bernischen Hochalpen. Das war zur Zeit, da das Gebirge für
die Menschheit seine Schrecken zu verlieren begann, da ernste Forscherarbeit die
Geheimnisse dieser ungeheuren Werkstätte der Natur entschleierte und ihre stille
Pracht und großartige Schönheit in der Literatur oft-
mals gefeiert wurde. Diese Zeit gebar ja gerade zu
Bern den klassischen Dichter der Alpen, Albrecht
von Haller. Solche Regungen des Zeitgeistes waren
auch an jenem deutschen Fürsten nicht spurlos vor-
übergegangen. Darum wurde bei seinem Schauen auf
einer höheren Warte Berns in Albrecht, einem Sohne
des großen Kurfürsten, der Wunsch wach, selbsteigen
das Wagnis zu unternehmen, die „Kuriositäten“ der
Gletscher des Grindelwaldes zu besichtigen. Noch ist
aus öffentlichen Dokumenten erweisbar, welchen Auf-
wandes es für die bernische Behörde bedurfte, diesen
Wunsch eines befreundeten Monarchensohnes zu er-
füllen. Denn der Markgraf ist die erste hohe Persön-
lichkeit, welche nachweisbar die Grindelwaldgletscher
besuchte.
Welcher Unterschied heute gegenüber einer Glet-
scherreise von damals! Wie herrlich reist sich’s jetzt
nicht von Brandenburg nach Bern im Schlaf- oder
Durchgangswagen? Man weiß kaum, wie man aus dem
deutschen Norden ins Herz der Schweiz gelangt ist.
Wie gern unterbricht man aber dennoch in der heime-
lig-altertümlichen Residenz der eidgenössischen Räte,
in der Bundesstadt, Bern die lange Fahrt zum Wun-
derland der Firnen. Ein Halt hier lohnt sich in diesem
Jahre um so mehr, als ihre Darbietungen schweizeri-
scher Arbeit, schweizerischer Produktionskraft und
schweizerischen Gewerbefleißes in der weißen, male-
rischen Ausstellungsstadt des Viererfeldes für jedes
Reiseprogramm eine reiche Abwechslung bedeutet.

Am Oeschinen-See.
 
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