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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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25. Heft
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Anwand, Oskar: Vom Leben der Vögel
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0756

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MODERNE KUNST.

Vom Leben

Wir Deutschen sind nicht eben reich an
Mappen und Werken, die sich zu Bilder-
folgen mit organischem Zusammenhang zu-
sammenschließen und dabei künstlerisch auf
hoher Stufe stehen. Die wenig vorhandenen
bewegen sich hauptsächlich um Motive litera-
rischen oder philosophisch-bildnerischen In-
halts. Fast völlig fehlt dagegen jene Art, die
man Bilderbücher edelsten Stils nennen könnte,
da in ihnen scheinbar schlichte Lebensdinge
mit künstlerischen Sinnen erfasst sind. Frei-
lich werden diese Bücher nur für Menschen
geschaffen, die wirklich sehen können, während
es im Faust heißt, daß die Mehrzahl von
ihnen ihr ganzes Leben blind bleibe. So ist
es auch verständlich, daß die Künstler sich
bisher von solchen undankbaren Aufgaben fernhielten. Aber mit der neu
erwachenden Graphik und dem neu erwachenden Verständnis für vornehme
graphische Kunst ersteht der Versuch, auch dieses Gebiet zurückzuerobern.
Es ist ja doch kein Grund vorhanden, warum unsere Zeit hinter dem Mittel-
alter, dem Anfang der Neuzeit, dem Rokoko, kurz allen vorangehenden nach-
stehen sollte. Daß sie wirklich den Versuch macht, den Weg zu stiller reiner
Kunst zurückzufinden, (nachdem sie sich an den grobstofflichen Vorzügen der
Photographie lange Genüge getan hat) das geht z. B. aus Emil Pottners beiden


der VögeL

Emil Pott n er: Elstern


Emil Pottner:

Das Frühstück.

Folgen von Stein Zeichnungen hervor, die den Titel „Eindrücke aus dem Leben
der Vögel", und „Sommertage im Geflügelhof“ führen.*) Den einfachen Text,
der so eindringlich von dem Blick des Künstlers und seiner Liebe zu seinen
Geschöpfen spricht, hat Pottner gleichfalls beigefügt, sich fast hierfür ent-
schuldigend, da ihm jeder schriftstellerische Ehrgeiz fern liege.
Es ist etwas selten Schlichtes und Köstliches, was hier geboten
wird, oder vielmehr was Pottner, der mit den Vögeln wie ein Freund
unter Freunden lebt und wie Jung-Siegfried ihre Sprache zu verstehen
scheint, aus seinen Erlebnissen gleich handgeschöpftem reinsten Quell-
wasser hervorholt. Man fühlt sich an die Klarheit der homerischen Welt
gemahnt, die hier auf die Stufe der Tiere erweitert ist. Freude am
Dasein und Sonnenschein, Kampfbegier, Ritterlichkeit, Hunger und viel
Liebe, das sind die ständig wiederkehrenden Motive der Zeichnungen.
Aber statt des Pathos schwebt über ihnen etwas Unhomerisches,
Modernes — ein feiner Humor, der jedoch niemals die Vorgänge kari-
kiert oder entstellt, sondern nur ihren wahren Lebensgehalt mit liebens-
würdigem leisen Lächeln begleitet und die Wichtigkeit der scheinbaren
Nichtigkeit tief mit empfindet. Das gilt von dem geistigen Gehalt, der
Pottners Steinzeichnungen zugrunde liegt. Ihrem Stile nach entstammen
sie einem modernen Künstler, der den Impressionismus mit seinen Forde-
rungen der Wiedergabe spontaner Bewegung, und der Luft- und Licht-
stimmungen ebenso wie den Japanismus mit seiner Zierlichkeit, Kultur
und dekorativen Wirkung kraft seiner Eigenheit überwunden hat.
In erstaunlicher Weise vermag Emil Pottner, der selbst von sich
sagt, daß er ohne Sonne matt liege, den Sonnenschein z. B. auf der
Steinzeichnung, die unsere Abbildung „Sonnenschein im Geflügelhof"
wiedergibt, zum Ausdruck zu bringen.
Als eine Textprobe möge seine Bilderläuterung hier wiedergegeben sein:
„Morgensonne schien schon lange durch die Ritzen unsres Stalles, doch nun
*) Im Verlage „Graphisches Kabinett“ J. B. Neumann, Berlin W.

ist die Pforte offen und der Jubel unermeßlich.
Ach wie haben wir gehungert, nun soll uns das
Frühstück schmecken!“ Gleich einer Schaar
von Sonnenanbetern schreiten seine Gänse,
begleitet von den Hühnern und Truthühnern
dahin, die Flügel schlagend, ihre Stimmen
erhebend, ganz die neue „heilige“ Frühe aus-
kostend. Und im Gegensatz dazu die Ab-
bildung „Es regnet in Strömen“ ! Alles Erden-
ungemach, alle nur erdenkliche Peinlichkeit,
Schlabbrigkeit, pfütziges Mißbehagen, das sich
an die Federn haftet und alle Verständnis-
losigkeit gegenüber der sinnlosen Einrichtung
des Regens tritt hier bei den Hühnern, die
ihr schützendes Obdach suchen, in Erschei-
nung, während die Gänse den Freuden eines
Bades bereits aufkeimendes Verständnis entgegenbringen.
Ebenso wie Pottner das Atmosphärische erfaßt, gelingt ihm die Bewegung,
die sich hier bei den Vögeln sehr vielseitig zeigt. Das Ansichhalten, Rucken,
Picken, das Längerwerden des Halses aus der Halskrause heraus bei den
Hühnern, das hastige Sichwenden streitender Elstern, die elegante Silhouette
der Kraniche mit ihren leicht geschwungenen Hälsen, das wutzelige Sich-
Schütteln und Federn-Aufpusten der Sperlinge, das
Ruhen der Staare auf Baumzweigen, zu denen sie
gleich Beeren zu gehören scheinen — alles das liegt
seinem Können ebenso wie die Wiedergabe huschenden
Laubschattens und tanzender Sonnenlichter. Damit
hängt die sichere Charakteristik der einzelnen Vögel
zusammen, deren Eigenart Pottner aufs tiefste erfaßt
hat. Das gilt z. B. von dem Hahn, der seinen Hühner-
hof als würdiger Pascha beherrscht, aber auch den
Hennen gute Bissen zukommen läßt. Mit welcher
Würde betritt er etwa den Brutstall, nach einer Henne
ausschauend, die über ihren Eiern brütet, oder er
fordert die Schar zum Schlafengehen auf. Das gilt eben-
so von den Gänsen, die für Pottner alles andere als
dumme Tiere sind, von den Enten, Tauchern, Elstern,
Staren, und allen anderen. Dabei betont der Künstler
das Wesen dieser Tiere nicht etwa lehrhaft; sondern
die lebendige Szene, die im Augenblick erfaßte Wir-
kung bleibt für ihn die Hauptsache, der sich seine
Beobachtungsgabe einfügt. Man könnte an Bruno
Liljefors Meisterschaft der Wiedergabe des Tieres
denken; aber der Deutsche steht durch seine mensch-
liche wie künstlerische Persönlichkeit als Eigener da.
So vereinigen sich in diesen Blättern sichere Naturerfassung und ein über-
legener, vereinfachender Stil, um dem Beschauer ein immer tieferes Verständnis
und eine immer klarere Freude zu erschließen, bis er mit Pottners reinen
Künstler- und Kinderaugen diese Welt in sich aufnimmt. Dr. Oskar Anwand.


Emil Pottner: Es regnet in Strömen.

XXVIII. 25. Z.-Z.
 
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