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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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25. Heft
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Marilaun, Carl: Die andere Hofburg
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0757

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MODERNE KUNST

Die andere Hofburg.

Von Carl Marilaun.

[Nachdruck verboten.]


ie alte Hofburg zu Wien, man weiß es, ist in den Altersjahren des öster-
reichischen Kaisers immer mehr verödet. An ihre Stelle trat das
theresianische Gartenschloß von Schönbrunn, in dem sich Franz Josef
den größten Teil des Jahres aufhält, und das er nur verläßt, um wie irgendein
bescheidener, alt-österreichischer Beamter „auf Urlaub“ zu gehen. Nach Ischl, wo
man von dem einstigen traditionellen Prunk habsburgischer Hofhaltungen noch
viel weniger spürt als in dem räumlich ebenfalls ziemlich beschränkten und
kaum kaiserlichen Schönbrunn.
Die Villa im oberösterreichischen Ischl und das von hundertjährigen Park-
bäumen überschattete Altersschloß am „schönen Brunnen“ sind das alte, fran-
zisko-josefinische Österreich. Im Abendrot eines fast schon historisch gewordenen
Kapitels österreichischer Geschichte glänzen die Fenster von Schönbrunn, und
wer hier vorüberkommt, dämpft unwillkürlich in der großen Stille seine Schritte.
Das Ischler Sommerhaus entzieht sich vollends den Blicken der Neugierigen;
ein weitläufiger, dem Publikum streng verschlossener Park verbirgt das Dach,
unter dem der Kaiser von Österreich seiner sommerlichen Muße froh wird.
Ganz anders mutet das Schloß auf der Rennweger Höhe im dritten Bezirk
von Wien an. Ein prunkhafter, weitläufiger Bau, der schönsten österreichischen
Schlösser eines, beherrscht dieser Palast einen nach zwei Seiten hin in Terrassen
abfallenden Park, und wenn weit drüben im Westen schon die Abendschatten
um das bescheidene Dach von
Schönbrunn weben, strahlen die
goldgeknauften, grünen Kuppeln
jenes Fischer von Erlachschen
Prachtbaues auf dem Wiener Renn -
weg noch hell in der Sonne. Jeder
Wiener, jeder Österreicher kennt
das Schloß Franz Ferdinands; sein
Name ist in dem letzten Jahrzehnt
fast ein Programm geworden, das
tönende Manifest einer halb und
halb schon zur Gegenwart gewor-
denen Zukunft: Belvedere! — Dies
prachtvollste Wiener Palais liegt
im schönsten, zumindest kost-
barsten Garten des an schönen und
großen Gärten nicht eben armen
Wien. Hingelagert auf die sonn-
bestrahlte Höhe marmorner Park-
terassen, macht es ein wenig den
Eindruck einer üppigen Opern-
dekoration. Im Schönbrunner
Rokoko ist es nicht schwer, den
wienerischen Einschlag nachzu-
weisen : Stil der Sonnenkönige,
in die weichere, umgänglichere,
gemütlichere Tonart des Wieners
transponiert. Ganz streng, ganz
hochgebietend und nur prächtig ist der Palast, den der Erzherzog Franz Ferdi-
nand nach seiner Vermählung mit der kleinen böhmischen Gräfin bezog. Selbst

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Emil Pottner: Morgensonne im Geflügelhof.


Emil Pottner: Streitende Elstern.

Emil Pottner: Ein Wafiengang.
die Natur benimmt sich hier feudal, die Blumenbeete sehen wie spanische Hals-
krausen aus, die Bäume sind eingeschnürt in fremde Zierformen, in glatten
Laubwänden spielen Brunnen-
puttis, mythologische Herrschaften
treiben verjährte Spiele, und
aus leeren Augenlöchern starren
schweigend hingelagerte, steinerne
Sphynxen. Einzig der allerdings
weitläufige Park trennt das Schloß
von der Straße; aber zwei Jahrhun-
derte scheinen vor den schmiede-
eisernen Prunktoren zu warten,
eine neue Zeit hat nicht Einlaß
gefunden in den Garten, den man
sich auch heute noch von den
Rokokofigürchen belebt denken
kann, mit denen Canaletto einst
Park und Schloß Belvedere ge-
malt hat.
Prinz Eugenius von Savo5’en
baute diesen Palast, um hier von
seinen Siegen auszuruhen und die
Strapazen des Ruhms zu ver-
schmerzen. Der pompöse Schwung
der Freitreppe, die vier Kuppel-
türme, die mit Genien und Puttis
überreich bevölkerten Prachtgiebel
deuten auf den Zeichenstift Fischer
v. Erlachs, der eine Wiener Barocke
schuf und hier nicht zu sparen
hatte. Lukas Hildebrand baute, was sein Meister in einer seiner freigebigsten
Launen auf dem Papier entwarf, der bayrische Gartendirektor Girard legte
den Garten an. Ihr Werk ist heute noch völlig unversehrt, sorgsam schneiden
die Gärtner Jahr für Jahr die Zierformen der Alleen; den früher etwas ver-
wahrlosten Palast hat Franz Ferdinand mit großen Kosten instand setzen lassen,
ohne daß an der Fassade auch nur das geringste geändert werden durfte. So
strahlt und prunkt Belvedere mit seinen vier malachitgrünen Kuppeln wie einst
zur Stadt hinüber, die dem eugenischen Schloß zu Füßen liegt. Vom ersten
Stock des Palastes dürfte man einen der schönsten Rundblicke auf Wien genießen,
die es überhaupt gibt. Canaletto, dessen in zwei Jahrhunderten nachgedunkelte
Bilder im Hofmuseum hängen, hat auch diese Aussicht gemalt, und das Wien
der Basteien sah von der Belvederestraße gesehen kaum anders als die heutige
Millionenstadt aus, die ihre steinernen Glieder bis an die Parkmauer gedrängt
hat. Noch ragt über Dächern der steingraue Pfeil des Stefansturms, die Barock-
kuppeln der frommen Salesianer Klosterfrauen und der vom Vater Maria
Theresias erbauten Karlskirche begrenzen das Stadtbild, und in weicher Rundung
wächst über den Schwalm und Rauch der Gassen der laubrauschende Schwung
des Kahlenbergcs mit der Burg der Babensberger Markgrafen.
So berühmt und oft genannt Belvedere in den letzten Jahren wurde —
eines ist es nie gewesen: populär. Dieser Park, dieses Prunkschloß glich wenigstens
in dem einen seinem Besitzer — es hielt die Leute gern in anständiger Ent-
fernung. Der Garten war ja wohl, wenigstens zum größeren Teil, dem Publikum
geöffnet. Aber volkstümlich wie der ehemals kaiserliche Prater, geliebt wie die
Parkwälder von Schönbrunn ist Belvedere nie gewesen. Man spürte zu sehr die
betont feudale Atmosphäre dieses Parks, der übrigens so gut wie gar nichts von
 
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