Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 25.1915

DOI Heft:
Heft 1
DOI Artikel:
Benn, Joachim: Probe auf die Kunst: (Kunst und Krieg)
DOI Artikel:
Heymel, Alfred Walter: Der Tag von Chaleroi
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.26491#0037

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Dcr Tag von Charlcroi.

zelne Jndividualität und damit wohl auch persönlich
gefärbt, echt und wahr doch aber nur ist, insofern in
dieser Jndividualität allgemeine und absolute, intuitive
Ahnung der Welt war. Jnsofern das Kunstwerk Abbild
der gesamten Welt ist, ist denn in ihm auch der Krieg
schon irgendwie vorhanden; fehlte dieses Element, nicht
als Gegenstand der Darstellung, sondern als Wissen
darum, das beurteilende Gefühl würde es spüren und
die Fälschung der Welt, die Teilwahrheit des Werkes
brandmarken. Das ist schon so etwas wie Gottähnlichkeit,
was damit dem Künstler beigelegt wird, und dieser
Gottähnlichkeit scheint nur eine einzige Grenze gesetzt
zu sein, die manchmal bizarre, dem Nicht-Künstler immer
wieder peinliche Eifersucht, mit der ein Künstler immer
auf den andern losgeht, schnaubend gleich einer Hyäne.
Allein nicht einmal sie widerstreitet seiner Berufung;
denn wenn sie ihn gegen Gott abgrenzt, so stellt sie ihn
doch noch immer über viele Menschen: Diese Eifersucht
ist ja nur eine heilige Eifersucht auf dem Wege, dem
Ällumfassenden, Absoluten und Göttlichen so nahe zu
kommen wie möglich, wo sich mit ihm ganz zu ver-
einigen dem einzelnen Lebenden unmöglich ist.

Und also ist die Kunst unbesieglich.

Joachim Benn.

er Tag von Charleroi*.

Von Alfred Walter Heymel.

„Als Buben hatten wir einen Nachbaronkel, der
1870/71 das Eiserne Kreuz erstritten hatte. Jhr könnt
euch denken, wie der mit Fragen über den Krieg be-
stürmt wurde; aber immer wich er unserem kindlichen
Drängen mit dem Bemerken aus: Ach, Jungens, laßt
das, ich spreche nicht gern davon, es wurde damals ein

bißchen viel geschossen-So geht es auch mir, liebe

Freunde," sagte der Oberleutnant, der gerade aus der
Schlacht an der Marne, weil er krank geworden war, für
kurze Zeit zurückgekehrt, sich zu Hause erholte und von
den Seinen gedrängt wurde, erlebte Einzelheiten aus
der Schlacht zu erzählen. „Wwklich, ihr Lieben," fuhr
er fort, „es wurde auch diesmal da unten ein bißchen
viel geschossen, so auch bei Montmirail, von wo ich
gerade herkomme, ja eigentlich war es überall so."

Nun wollten natürlich die Zuhörer Einzelheiten wissen,
welchc Gefühle man hätte, wenn man so durch das
Granaten- und Schrapnellfeuer reiten müßte oder still
in einem Graben in Deckung lage und die Geschosse
dicht vor einem auf der Straße oder auf einem nahen
Felde krachend aufschlügen und zerplatzten oder in der
Luft puffend zerstöben.

Unser Krieger antwortete: „Mir hat eigentlich nichts
in den Schlachten von Namur, Etreur, St. Quentin
und an der Marne, die mitzufechten ich die Gnade und
das Glück hatte, einen besonders fürchterlichen Eindruck
gemacht, nicht einmal dies heftige, herrische, recht-
haberische, unerbittliche, bösartige französische Artillerie-
feuer, denn meine eigene, meiner Eskadron und meines

* Aus dem KriegS-Almanach 1915 deL JnselverlagS. Siehe
Besprechung auf Seite 40.

Regiments, unserer ganzen Division Feuertaufe in
Charleroi war so über alle Begriffe schauerlich, so nichts
war in uns auf diese zuerst zu bestehenden Greuel vor-
bereitet, daß alles, was der schwere Feldzug später
gebracht hat, viel leichter zu ertragen für uns war, voraus-
gesetzt, daß an diesem ersten Tag des Schlachtens die
Nerven ganz heil geblieben waren.

Wenn ihr mir versprecht, mich nie wieder nach persön-
lichen Erlebnissen und Einzelheiten des Feldzuges auszu-
fragen, so will ich im Iusammenhang dies Graßliche und
zugleich Großartige erzählen, aber ihr müßt Geduld
haben, denn es hat nur Sinn, wenn ich euch den ganzen
Verlauf des SchreckenStages von Stunde zu Stunde vor
Augen führe, damit ihr einen Vollbegriff des KriegeS
bekommt."

Natürlich waren die andern mehr als einverstanden,
füllten die Gläser neu und rückten um den Tisch enger
zusammen.

„Unser Reiterregiment", begann der Erzähler, „wurde
in der Nähe der feindlichen Grenze ausgeladen und kurze
Zeit auf einem Truppenübungsplatze aufgehalten, weil
sich dort unsere Division, der wir als Aufklärungs-
kavallerie zugeteilt werden sollten, sammelte.

Schon hatten viele von uns ungeduldige Angst, wir
könnten noch länger auf den Vormarsch an die Front
zu warten haben; wir hörten von der großen Festung
nahe an der Grenze, um die in den Tagen hart gekämpft
wurde, den Kanonendonner der Haubitzen herüber-
dröhnen; wir hörten von den haarsträubenden Grausam-
keiten, die ein jahrelang welsch und katholisch verhetztes
Volk aus Wut über unseren Bruch einer Neutralität,
die es selbst tausendfach vorher gebrochen hatte, an
unseren Landsleuten, Soldaten, Zivilisten, Frauen
und Kindern begangen haben solltc. Wir kochten unser-
seits innerlich, diese Schandtaten zu rächen, und einige
Verse aus meinem Kriegstagebuch deuten unsere da-
malige Stimmung vielleicht am besten.

Die wartenden Reserven.

WaS donnern die Haubihen
von Lüttich zu uns her,
wir wollen hier nicht sihen,
wir wollen zum vorderen Heer.

Wir halten Roß und Leute
und unsere Herzen kaum,
und jeder dcnkt nur heute,
und morgen ist ein Traum.

Wir sind uns weggenommen,
gehören uns nicht an,
das Land hat uns bekommen
zu eigen Mann für Mann.

Wir drängen all nach vorne,
nur hinten ist uns bang,
wir sind voll Grimm und Zorne,
bis unser Säbel sang,

bis daß er sang Verderben
auf dies verworfne Land:
ganz Belgien geh in Scherben
am eignen Mord und Brand.

Froher und freier wurde es uns um die Brust, als wir
bald darauf über die Grenze marschierten, die ersten, zur
Strafe niedergebrannten Häuser sahen, ein aufwieg-
lerischer Pfarrer in einem nahen Wäldchen an einem

r?
 
Annotationen