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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 25.1915

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Heft 6
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Westermann, Charlotte: Joseph Görres
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https://doi.org/10.11588/diglit.26491#0215

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(V-oseph Görres.

H Die lange Reihe der deutschen Enthusiasten zieht
sich lückenlos durch die Aeiten, und der jüngste reicht
dem ältesten die Hand, denn gemeinsam ist ihnen die
Leidenschaft zur persönlichen Freiheit und die Annahme
des Berufenseins. Es ist viel gedacht worden von ihnen,
aber mehr noch phantasiert und ausgestreut. Jhnen
fehlte die besonnene Rechenkunst und das leichtere Be-
schwingtsein der romanischen Brüder; immer hing ihnen
ein Gewicht nach, und der freundliche Erwerbssinn
regulierte ihre Traume nicht. Das frühe Mittelalter
gor sich nach den Beherrschern der Wirklichkeit, die mit
ihrem Reich von dieser Welt, klein oder groß, glorreich
bestanden oder untergingen, die Könige der unsichtbaren
Reiche durch wirr zusammenstoßende Bewegungen in
den Mystikern aus. Die gedankliche und künstlerische
Arbeit der Humanisten durchbrachen dunkel glühende
Stammler, die kochenden Blutes den Drang der Ieit
aus Gelehrtenstuben in Ereignisse hineintrugen und von
den einfachen Tatsachen zerrissen wurden.

Als das tragische Sein der deutschen Nation im habs-
burgisch-römischen Reich aufgehoben und durch die Ge-
wohnheit ersetzt wurde, nahmen Dichter und Denker sich
des ungeheuren geistigen Ballastes an; aufgestapelte
oder verschleuderte Werte wurden in kreisende umge-
ordnct. Nun schieden sich, scharfer als in der Renaissance,
die phantasierenden Entdecker von den schaffend Be-
reichernden. Die Enthusiasten, die das Volk sich selbst
zeugt, um die treibenden Mächte zu entschleiern und in
Gang zu bringen, die Weiser, die es aufrichtet an den
Kreuzwegen seines Geschickes, konnte es nicht mehr aus-
senden. Der Ausammenhang des Gefühls fehlte jetzt;
wie sonst die Geschehnisse den Nährboden für eine geistige
Auffrischung hergaben, so leiteten in der bewußten
Atmosphäre des aufgehenden 19. Jahrhunderts fremde
Jdeen eine Umwälzung der staatlichen und sozialen Ver-
hältnisse ein. Daß sie befruchtend auf alle wirkten, die
den merkwürdigen Traumsinn des germanischen Empfin-
dens hatten, der aus Überspannungen herkommt, sie
veräußern will und, abgeschlagen, sich bis zur Selbst-
vernichtung darein verbohrt oder in einer andern Ent-
ladung seine Kraft verbrauchen muß — das war nicht
neu und weder Entartung noch gar Unterwerfung unter
andersvölkische Uberlegenheit. Neu war nur, daß die
Geisteselemente nicht alle sich auf dies frische Leben ver-
teilten, sondern daß Gruppen entstanden, dercn kleinste
dann zur einflußreichsten, oft sogar zur ausschlaggebenden
wurde. Es kam die Schar der Männer, die nicht Wahn
oder Tat wie von selber auf die Menge der Ergriffenen
oder Teilnehmenden oder Gezwungenen eindringen
ließ, vielmehr die Bearbeitung zur Tat oder zum Wahn
diesem vorausschickte, und so in ihrer noch unbefangenen
und unausgebildeten Ersterscheinung wirklich wie das
Gewissen der Nation verstanden wurde. Sie besaßen
die Genieanlage der alten Volksweckcr, mit krästigen
Mitteln für einen Aweck in ihre Aeit zu rufen.

Dieser junge Stand war die „fünfte Großmacht",
wie Napoleon in jenem respektvoll schmeichelnden Ton,
dessen er sicher war, sagte, war Joseph Görres, der erste
deutsche Publizist großen Stils. Am Rhein wuchs er auf,

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in der vom Fieber überm Strom am heftigsten erhitzten
Stadt; und so übermäßig der junge Görres Koblenzer
von 1793 war und sich jedem Rausch von drüben fra-
ternisierte: zweierlei war stärker in ihm und formte den
romantischen Politiker — möglich als reales Wesen in
der Epoche der Ierstreuung — so gut als den roman-
tischen Gelehrten, denkbar auf dem noch nicht umge-
brochenen Acker der Volkskunde: sein südliches Blut und
sein Umgang mit Clemens Brentano in der rheinischen
Gymnasiastenzeit. Joseph Görres hatte in Koblenz,
dem er am 25. Januar 1776 den Antrittsbesuch zur Welt
machte, zum Vater einen Floßhändler, der in seinem
unruhigen und dabei behäbigen Geschäft mitten im Auf
und Ab des Lebens stand, und zur Mutter eine Jtalie-
nerin, rasserein und unvermischbar. So kreuzten sich in
Görres ein rasches und gelegentlich lautes Wesen mit
einer von jäh aufrasender Glut unheimlich durchzuckten
Starre. Der junge Görres war ein vulkanisches Mittel
zu irgendeinem Aiel, wenn es nur groß genug schien,
um einem freien Menschensinn Jnhalt zu sein — der
spatere Görres ein unbeugsamer Aweck, um die un-
veränderlich grandiose Form einer Weltinstitution zu
stützen, ein Dauerhaftes zu stabilisieren im Wechsel des
Menschenschicksals, diese vergehenden Aeitlichkeiten selbst
nur ein cinziges Mittel. Um durch kein Hereinstürzen
von Tagesgewalten mehr gestört zu werden, hat er die
Jakobinermütze und den altdeutschen Rock von sich ge-
worfen und trug das Banner der gekreuzten Schlüssel
voran, leibeigen dem Wappenspruch der Hierarchie, mit
Menschen nicht zu rechnen, doch mit Ewigkeiten.

Jm Disputierklub zu Koblenz, der sich an Carmagnole
und Marseillaise begeisterte, ehe noch der erste Ton davon
diesseits des Rheins zu hören war, darin hochrote Köpfe
über noch rötere Reden aneinandergerieten, saß Georg
Forster mit Karoline Böhmer neben haarbeutel-
schüttelnden Schwarnigreisen und grüner Jntelligenz in
Pantalons und mit kurz verschnittenem Haar. Es redeten
alle — ein erstes Gebot der deklarierten Menschen-
rechte — in Praris eine Pein besonderer Art, und
zuweilen schrien sie — Ohrenschmaus für die horchende
Karoline. Erhob sich aber ein schlanker blasser Jüngling
in pelzbesetztem Rock, ein Holbeingesicht von erasmischem
Schnitt der Wangen und des Mundes, mit den Augen
die Ruhe fassend, die plötzlich eintrat, so begab es sich
auch bei den Adoranten der Gleichheit, daß über Partei-
und Sprechinteresse hinaus die Persönlichkeit sich ein-
stempelte in oft gehörte Phrasen, und es geschah öfter
als erlaubt, daß man nicht sich betaumelt hatte, sondern
hingerissen worden war. Der Koblenzer Gesandtschaft,
die man großartig 1799 nach Paris schickte, um dem
Konsulat seine Dienste und das rechte Rheinufer anzu-
bieten, gehörte auch der 19jährige Görres an. Der
müde Forster war in Paris schon fünf Jahre zuvor an
seinen unheilbaren Jdealen entschlafen, Görres aber
sprühte von Glauben und Jugend zugleich. Sein
Glaube verbrannte in Paris vor den Siegen des ersten
Konsuls, der die Bürger vom Rhein nicht mehr darüber
zu täuschen brauchte, daß der Donner seiner Schlachten
die Reden des Konvents bereits gründlich übertönt hatte.
Seine Jugend nahm er unerschüttert mit in das Land
zurück, dem er die Freiheit hatte von Westen holen
 
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