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Verein für Historische Waffenkunde [Hrsg.]
Zeitschrift für historische Waffen- und Kostümkunde: Organ des Vereins für Historische Waffenkunde — 9.1921/​1922

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https://doi.org/10.11588/diglit.44571#0051

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LITERATUR

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zufällig zusammen, in der gleichen Rechnung von St Gallen vor.
Die Blide blieb neben den Feuergeschützen noch bis über den
von Geßler besprochenen Zeitraum hinaus in der Schweiz
ganz allgemein im Gebrauch. Das Drehkraftgeschütz — der
Springolf — findet sich 1431 neben den Pulvergeschützen auf
den Türmen Freiburgs i. Ue.
Sehr wertvoll sind auch die dokumentarischen Feststellungen
über tatsächlich erreichte Schußweiten und die Angaben
über die Schußgeschwindigkeiten der großen Büchsen,
die mit 1000 m und mit 18 Schuß in 8 Stunden weit über das
gewöhnlich angenommene Maß hinausgehen. Letztere hängt
nun wohl zum Teil mit der schon sehr frühe aufgekommenen
Verwendung fertiger Kartuschen zusammen. Bilder und Rech»
nungen geben davon eine deutliche Vorstellung. Dann haben
sich kaum anderwärts irgend so eingehende Nachrichten über
das Brescheschießen erhalten wie in den Berichten
über die Beschießung des „Stein“ im Jahre 1445. Der 13 Fuß
dicke, aus festen Quadern gefügte Rundturm wurde auf 100 m
Entfernung aus 4 großen Büchsen beschossen. Ein Schuß wurde
neben den andern gesetzt. Nach 30 Schuß fielen die ersten Steine
heraus. Von den Enden der gewollten Breschelänge wurden dann
von unten anfangend die Schüsse senkrecht nach oben verlegt,
so erst ein „Horizontalschnitt“ und dann je ein „Vertikalschnitt“
ausgeführt, bis die Mauer niederbrach. 1436 bei der Belagerung
von Zürich ist sogar auf 500 m Entfernung Bresche geschossen
worden, eine Tatsache, welche die große Treffähigkeit der
damaligen Büchsen und die Sachverständigkeit der Büchsen»
meister in einem sehr günstigen Lichte erscheinen läßt.
Die Schicksale einzelner Büchsen lassen sich an der Hand
der Eintragungen in den Bestandsbüchern und der sonstigen
Nachrichten genau verfolgen. 1428 gießt der Meister Oswald
Klein aus Rottweil zu Basel zwei große Büchsen im Gesamt»
gewichte von 115 Zentnern. Über diese Büchsen sind folgende
Einzelheiten bekannt. Es wog die größere Büchse 6800 Pfund,
deren Geschoß 206, die Ladung 23 Pfund, die kleinere Büchse
4700 Pfund, deren Geschoß 210, die Ladung 19 Pfund. Es ent»
sprach also das Gewicht des schwereren Rohres 30 Geschossen
zu je 9 Ladungen, das des leichteren Rohres 22r/s Geschossen zu
je 11 Ladungen. Die beiden Büchsen hatten das gleiche Kaliber
von 45 cm. Der geringe Gewichtsunterschied der beiden Ge»
schosse erklärt sich durch eine ganz geringfügige Verschieden»
heit der spezifischen Gewichte der beiden gewogenen Kugeln.
Die schwerere Büchse hieß der „Drache“, die leichtere die
„Rennerin“. Über den Lebenslauf der letzteren liegen genaue
Nachrichten vor. 1444 bei der Belagerung von Fahrnsberg
ging sie an „die von Falkenstein“ verloren. Diese verkauften
sie für 500 Gulden an „die von Rheinfelden“. Bei der Be»
lagerung des „Stein“. 1445 befand sich der „Drache“ unter
den beiden Hauptbüchsen von Basel, die mit zwei anderen
von Bern zusammen die Breschbatterie bildeten. Die „Rennerin“
stand im „Stein“, wurde durch die einstürzende Mauer ver»
schüttet, gelangte aus dem „Stein“ in den Besitz der Baseler
zurück. 1476 war sie bei der Belagerung von Blamont, 1477
vor Blaiche tätig, 1491 verfiel sie als ein Opfer der Neuzeit,
wie es stets das Los aller aus Bronze gefertigten Geschütze
war, dem Umgusse. Mehr als 60 Dienstjahre waren ihr be»
schieden. Den immerhin handlichen Ausmaßen von 42 Zentner
Rohrgewicht und der noch ausreichenden Breschwirkung des
2 Zentner schweren Geschosses verdankte das Geschütz seine
vielfache und langdauernde Verwendung.
Die berichteten Tatsachen bieten reiche Belehrung und er»
weitern wesentlich unsere Kenntnisse von dem Geschützwesen

in den Anfangszeiten der Feuerwaffe. Ganz besonders aner»
kennenswert und wohltuend ist das durchaus Sachgemäße in
den Deutungen, das sich freihält von philologischer Wort»
klauberei und von kunsthistorischen Betrachtungen. Für die
Beurteilung der Feuerwaffen ist das Pulver das ABC; an das
„Schießen“ allein, an die Geeignetheit hierfür muß man sich
halten. Diesen Grundfragen ist Geßler dankenswerterweise
nachgegangen. Mißverständnisse bei den Lesenden entstehen
meist dadurch, daß der Autor viel zu viel von seinen eigenen
Anschauungen bei ihnen voraussetzt. Falsche Vorstellungen
geben dann falsche Bilder. Will man klar und überzeugend
wirken, dann darf man sich auch nicht vor Wiederholungen
scheuen. Geßler hat mit einfachen Worten klar zu schildern
verstanden.
Schließlich stellt Geßler die Frage, ob sich über Zeit
und Ort der „Erfindung“ des Pulvers und der Feuerwaffe
auf Grund der bisher bekannt gewordenen Tatsachen eine Ent»
Scheidung fällen lasse. Er verneint sie. Zwei verschiedene An»
schauungen über den Ursprung, die Erfindung, stehen sich
gegenüber. Eine, die romanische, sucht den Ursprung in
maurischsspanischen Einflüssen, — in Deutschland vertreten
durch General Köhler — die andere, die deutsche, — vertreten
durch Max Jähns — sieht ihn in Berthold Schwarz, nicht im
Sinne einer historischen Persönlichkeit, aber als Verkörperung
des deutschen Büchsenmeisters. Aus der Zahl und der Zeit
der Nachrichten über das Vorkommen der Feuerwaffen hat
man über diese Frage eine Entscheidung zu treffen gesucht.
Und da fällt der Stand der Erforschung der Archive sehr ins
Gewicht Die meisten Länder sind hierin Deutschland weit
voraus. Napoleon»Fave standen alle Archive Frankreichs offen,
Angelucci hat planmäßig die oberitalienischen Archive durch»
forscht, Henrard hat für Belgien, Geßler jetzt das gleiche für
die Schweiz geleistet. In Deutschland hat Essenwein aus dem
zerstreut veröffentlichten Material die „Quellen“ geschaffen,
hat sich dabei hauptsächlich auf den leider ganz unzuverlässigen
Würdinger gestützt. Planmäßige Forschung in den Archiven
liegt allein der höchst anerkennenswerten Studie von Jacobs
über das Aufkommen der Feuerwaffe am Niederrheine zu
Grunde. Aber auch er gibt nur einzelne Daten, nicht das
gesamte Material und er baut seine Schlüsse auf der irrigen
Annahme auf, daß in einem im Reichsmuseum zu Amsterdam
erhaltenen dickbauchigen, kurzen Eisenrohr mit einer kleinen
engen Kammer die älteste Steinbüchsenform im Original erhalten
sei. Tatsächlich kann man aber in diesem Geschütz nur einen
ganz späten minderwertigen Mörser erkennen. — Altmann, auf
den Geßler bei seiner abwägenden Betrachtung hinweist, ist
über die ersten Anfänge seiner Untersuchung am Oberrhein
nicht hinausgekommen. Das Fehlen von Archivnachrichten in
von Kriegen durchfurchten Gegenden wie gerade am Oberrhein
ist leicht erklärlich. Ein Beweis „ab nihilo“ ist an sich aber
überhaupt kein Beweis. Trotzdem begründete Köhler gerade auf
der Spärlichkeit der für Deutschland vorliegenden Nachrichten
seine der romanischen Anschauung entsprechende Ansicht, daß
Deutschland als Ursprungsland der Feuerwaffe anzunehmen
„auch nicht der Schatten einer Berechtigung“ vorläge, 1346
werde erstmalig für Trier der Ankauf einer Eisenbüchse nach»
gewiesen und dann klaffe bis 1356 eine Lücke, bis zu dem
Jahre, in dem für Nürnberg erst wieder eine Nachricht auf»
tauche. — Geßler hat die Reihe der über das früheste Vorkommen
der Feuerwaffen allgemein genannten Nachrichten, angelehnt
an Sixl und an Feldhaus, aufgeführt. In dieser Reihe stehen
Trier und Nürnberg an der 25. und an der 40. Stelle. — Eine
 
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